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© dpa

Musikindustrie: Weihnachten ist ein Hit

Die Gelddruckmaschine in Dur und Moll: Lieder zum Fest sind die liebsten Geschenke der Musikindustrie. Aber neue Songs lassen sich nicht wie Lametta aus dem Ärmel schütteln.

Düsseldorf - „Last Christmas“ kann man nicht entgehen. Wer die Popschnulze von Wham! dieses Jahr noch nicht gehört hat, der ist entweder taub oder besitzt kein Radio. Mit einer Zähigkeit, wohl nur vergleichbar mit dem NDR-Fernsehsketch „Dinner for One“, kehrt der Song jeden Advent in die Charts zurück – und das schon seit 25 Jahren. Ein Selbstläufer sei das Lied geworden, sagt Sebastian Hornik von Sony Music Entertainment. „Und das hat für uns auch einen wirtschaftlichen Effekt.“

Sony Music ist im Besitz des Labels, bei dem der legendäre Popsong 1984 erschien. Im Januar 2008 erreichte er mit Platz vier in den deutschen Charts seine beste Platzierung. Am vergangenen Freitag lag er schon wieder auf Platz 18 – Tendenz steigend. Musikfans nennen „Last Christmas“ einen Evergreen. Betriebswirtschaftler würden den Song eine Cash Cow nennen – ein Produkt also, das wie ein Goldesel verlässlich hohe Gewinne abwirft. Allein im ersten Jahr verkaufte sich die Single mehr als eine Million Mal. Genaue Umsatzzahlen sind nicht veröffentlicht, doch eines steht fest: Für George Michael, den Komponisten, Dichter und alleinigen Besitzer der Urheberrechte, ist „Last Christmas“ eine Gelddruckmaschine in C-Dur und a-Moll.

Das Schöne an Weihnachten ist, dass es garantiert jedes Jahr wiederkommt. Für die Musikindustrie ist es der Höhepunkt des Jahres. Fast jedes siebte Geschenk unter dem Weihnachtsbaum sei ein Musikprodukt, meldete unlängst der Bundesverband Musikindustrie (BVMI). Musik-CDs, DVDs, Download-Gutscheine, Konzerttickets, MP3-Player und Fanartikel sind die beliebtesten Geschenke in Deutschland. „Der Herbst ist für die Musikbranche die veröffentlichungsstärkste Zeit“, sagt Hornik von Sony Music.

Aber neue Songs lassen sich nicht wie Lametta aus dem Ärmel schütteln. Aus dem Grund feiert ein Genre jedes Jahr eine teils wunderbare, teils schaurige Wiederauferstehung: die Weihnachtsmusik. Dieses Jahr singt Tenor Andrea Bocelli seine „ganz persönlichen Lieblingsweihnachtslieder“, darunter „O Tannenbaum“, „White Christmas“ und „Stille Nacht“. Rolf Zuckowski hat gleich fünf Weihnachtsalben der letzten drei Jahrzehnte zum Sammelschuber „Rolfs großer Weihnachtsschatz“ kondensiert. Die „Brigitte“-Redaktion hat die „schönsten Weihnachtslieder aus Pop, Jazz und Klassik“ zusammengestellt, Schlagerstar Nicki intoniert andächtig „Heidschi Bumbeidschi“ und Barbara Schöneberger – „Nochmal, nur anders“ heißt ihr aktuelles Album – swingt sich mit „Jingle Bells“ durch „Die ultimative Chartshow“.

Dutzende Weihnachtsplatten erscheinen jedes Jahr. Die meisten davon landen bei Wolfgang Martin auf dem Schreibtisch. Der Musikchef von Antenne Brandenburg, laut Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse mit täglich 770 000 Hörern der führende Sender in Berlin und Brandenburg, stellt jeden November das Programm für den Advent zusammen. „Uns wird vieles ans Herz gelegt“, sagt Martin, darunter auch „ganz furchtbare Schlager-Weihnachtsplatten“, bei denen man das Gefühl habe, „dass da einer mal eben für einen Tag ins Studio gegangen ist, um mit dem Thema Weihnachten Kohle zu machen.“ Von 20 neuen Alben blieben drei oder vier übrig. Auch Barbara Schöneberger hat es in den Weihnachtspool des Senders geschafft. Dort ist sie bei Weitem nicht die einzige Interpretin von „Jingle Bells“. „Davon können wir bestimmt 20 Versionen spielen“, sagt Martin.

Die Interpretationsfreude kommt nicht von ungefähr. Der Vorzug der alten Volkslieder, in denen der Schnee leise rieselt oder die Kinderlein kommen, liegt darin, dass niemand mehr da ist, der die Hand aufhalten könnte, wenn ein Künstler sie öffentlich spielen will. Man könne davon ausgehen, „dass ein Großteil der deutschsprachigen traditionellen Weihnachtslieder frei ist“, sagt Peter Hempel von der Gema. Denn die beteiligten Komponisten und Textdichter sind lange tot.

Nur eine kleine Zahl von Weihnachtstiteln ist noch durch das Urheberrecht geschützt. Die sind darum unter Musikfirmen begehrte Schätze. Der Irving-Berlin- Klassiker „White Christmas“ zum Beispiel ist laut seinem Verleger, der New Yorker Irving Berlin Music Company, die meistverkaufte Platte aller Zeiten und wurde mehr als 500 Mal gecovert. Die Zahl der verkauften Alben wird auf mehr als 100 Millionen geschätzt. Die Urheberrechte gingen nach Berlins Tod im Jahr 1989 auf seine Erben über. „Im Jahr 2008 wurden allein in den USA 125 000 Kopien von White Christmas verkauft“, sagt Bert Fink von Irving Berlin Music. Pro Kopie bekommt der Urheber Schätzungen zufolge vier Prozent der Verkaufserlöse, das Plattenlabel rund 30 Prozent. Hinzu kommen Lizenzgebühren und Einnahmen aus Merchandising-Artikeln.

„Es gibt Menschen, die können von den Einnahmen eines Weihnachtsliedes sehr gut leben“, sagt Michael Ohst, Geschäftsführer von Bosworth Music. Der Berliner Musikverlag hat selbst vor Jahrzehnten die Verlagsrechte an dem Weihnachtshit „Eine Muh, eine Mäh“ erworben, ein Werk des Komponisten Wilhelm Lindemann und des Dichters Waldemar Alfredo. Lindemann starb in den 40ern. Große Popularität errang sein Lied aber erst in den 50er Jahren, als Peter Alexander den Titel sang. Danach haben sich laut Gema-Datenbank mindestens 39 Interpreten an „Eine Muh, eine Mäh“ versucht, darunter Peter Maffay, Götz Alsmann und die Punkbank „Die Abstürzenden Brieftauben“. Wie viel Geld jede Coverversion dem Verlag und den Erben von Lindemann und Alfredo einbringt, das bleibt Vertragsgeheimnis.

George Michael hat inzwischen mehr als 100 Millionen Platten weltweit verkauft. Vor einem Jahr veröffentlichte er ein zweites Weihnachtslied, diesmal gratis. 24 Stunden lang konnten sich Fans den „December Song“ aus dem Netz herunterladen. Doch George Michael scheint sich besonnen zu haben. Ganz aktuell veröffentlichte er den Titel ein zweites Mal – jetzt für 2,99 Pfund.

Andreas Menn

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