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Neue Grenzen für Lebensversicherer: Gleichung mit Unbekannten

2012 sinkt der Garantiezins um 0,5 Prozentpunkte. Lebensversicherungen werden dadurch unattraktiver. Auch der Gau in Japan könnte den Renditen langfristig schaden.

An den Geldmärkten steigen seit Monaten beharrlich die Zinsen. Ob Festgelder, Tagesgelder, neue Anleihen oder Sparbriefe – Kunden dürfen sich querbeet über höhere Zinsen freuen. Wer ab Januar 2012 eine Lebensversicherung neu abschließt, muss sich dagegen mit schmaleren Sätzen zufrieden geben. Denn der Bundesfinanzminister hat den Lebensversicherern kürzlich neue Grenzen gesetzt: Statt 2,25 Prozent dürfen sie neuen Kunden ab Januar 2012 nur noch maximal 1,75 Prozent Zinsen auf den Sparanteil der Lebensversicherungen garantieren. Diese Garantie gilt für die komplette Laufzeit des Vertrages, also häufig länger als 20 oder 30 Jahre.

Das heißt: Wer ab Januar 2012 eine neue Police abschließt, wird nach gegenwärtigem Stand der Dinge am Ende für das gleiche Geld eine geringere Ablaufleistung erhalten als der Kunde, der bereits 2011 abgeschlossen hat, sagen die Experten der Stiftung Warentest. Denn mit dem Garantiezins sinkt natürlich auch der Zinseszins: Nach 20 Jahren etwa summiert sich die Gesamtrendite bei einem Garantiezins von 2,25 Prozent auf 56 Prozent, ab 2012 sinkt dieser Wert auf 41 Prozent.

Allerdings können die Lebensversicherer gegensteuern: Zusätzlich zur Garantieverzinsung zahlen die Unternehmen den Kunden eine Überschussbeteiligung aus, deren Höhe jedoch immer nur für das jeweilige Folgejahr feststeht und auch nicht garantiert wird. 4,08 Prozent schütten die Versicherer für dieses Jahr im Schnitt aus. Damit sind die Renditen wieder leicht gefallen: 2010 erhielten die Versicherten im Mittel 4,2 Prozent, 2009 waren es 4,3 und 2008 noch 4,5 Prozent. Für dieses Jahr haben 44 von 70 Anbietern ihre Überschussbeteiligung abgesenkt, darunter auch die Allianz mit einer Rücknahme von 4,3 auf 4,1 Prozent.

Die Versicherer haben damit aber vergleichsweise sanft an den Verzinsungen gespart – schließlich verharren die Leitzinsen seit Mai 2009 auf dem Rekordtief von einem Prozent. Die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen sind im vergangenen Herbst auf zwei Prozent gesunken.

Möglich wurden die kundenfreundlichen Renditen durch zwei Umstände: Erstens legen die Versicherer die Kundengelder langfristig an und profitieren heute noch von höheren Sätzen früherer Jahre. Zweitens haben sie noch eine Bewertungsreserve, die sich aus den Beiträgen speist und gezielt zur Glättung von Zinstiefs eingesetzt wird.

In der Zinswende jedoch wird die langsame Reaktionszeit der Versicherer zum Nachteil. Wenn Zinsen und Inflation steigen, reagieren die Renditen stark verzögert. Der Grund: Alte, noch im Zinstief gekaufte Staatsanleihen können jetzt nicht einfach verkauft werden, da die Kurse zum Teil unter ihre Einstandspreise gesunken sind. Vor 2014, schätzt Manfred Poweleit, „sollten die Versicherten daher nicht mit steigenden Überschussbeteiligungen rechnen“. Der Versicherungsexperte und Herausgeber des Branchendienstes Map-Report sieht auch für die Überschussbeteiligung im kommenden Jahr eine Gleichung mit mehreren Unbekannten: Wie werden die Finanz- und Zinsmärkte die japanische Katastrophe verarbeiten? Wie entwickeln sich die Aktienmärkte und vor allem die Zinsen von Pfandbriefen und Staatsanleihen? Die dramatische Entwicklung in Japan hat sogar die angekündigte Leitzins-Erhöhung der Europäischen Zentralbank im April unwahrscheinlicher gemacht. Die Schweizer Großbank UBS sieht die Chancen für einen raschen Kurswechsel der Notenbanker von 90 auf 60 Prozent geschrumpft. Auch am Markt hat Japan für Skepsis gesorgt: Die Renditen zehnjähriger deutscher Staatsanleihen gingen kurzfristig von 3,3 auf 3,1 Prozent zurück.

Für Neukunden von Lebensversicherungen bedeutet diese Gemengelage ab 2012: Sie müssen zum niedrigeren Garantiezins abschließen – aber ein vollständiger Ausgleich durch eine höhere Überschussbeteiligung wird nicht möglich sein. Gleichzeitig könnte die Inflation weiter steigen. Die Versicherer selbst wollen sich nicht zu künftigen Überschussbeteiligungen äußern.

Hinzu kommt: Laut Stiftung Warentest bleibt bei teureren Versicherern schon heute von 2,25 Prozent Garantiezins nur ein Prozent übrig, denn die Zinsen werden ja nur auf den Sparerbeitrag nach Kosten und Provisionen bezahlt. Nominal sehen die Zahlen anders aus: Die Allianz Leben etwa betont, man habe seit 2001 eine jährliche Gesamtverzinsung von 5,7 Prozent für die Kunden erwirtschaftet. Auch in Zukunft könne der Kunde mit attraktiven Verzinsungen deutlich über der Inflationsrate rechnen.

Weil sich 1,75 Prozent Garantiezins in Zeiten steigender Zinsen im Vertrieb nicht gut vermarkten lassen, liefen die Versicherer Sturm gegen die Weisung des Finanzministers. „Die Senkung war ein falsches Signal zur falschen Zeit“, sagt Katrin Wahl, Sprecherin des Marktführers Allianz Leben. Ins gleiche Horn stößt auch Poweleit, für den die Zinsrücknahme sogar „ein böses Geschmäckle“ hat. Der Bundesfinanzminister sei ja nicht nur Kontrollorgan, sondern gleichzeitig auch der größte Kunde der Lebensversicherer und wolle sicherstellen, dass die eigenen Niedrigzins-Anleihen weiter attraktiv blieben.

Mit den Konzernen spricht sich der Experte daher für eine Rücknahme der Garantiezins-Senkung aus. Dabei verweist er auf Luxemburg, neben Deutschland das einzige Land, das ein Versicherungsmodell mit Garantiezins anbietet. Dort wurde eine ebenfalls kürzlich verordnete Senkung inzwischen wieder zurückgenommen. „Dies wäre angesichts der steigenden Marktzinsen die einzig saubere Lösung“, glaubt Poweleit. Die gesetzlichen Vorschriften belegen das: Demnach darf der Garantiezins 60 Prozent der Renditen deutscher Staatsanleihen nicht überschreiten. Nach Berechnungen von Allianz-Vorstand Rieß wäre danach ein Höchstrechnungszins zwischen zwei und 2,4 Prozent zulässig.

Lebensversicherer würden nun wohl versuchen, mit dem Hinweis auf die nahe Garantiezins-Senkung verstärkt Kunden noch in diesem Jahr in eine Police zu drängen, warnen die Verbraucherschützer. Das normale Geschäft mit Neupolicen zeige ohnehin starke Dellen.

Lebens- und Rentenversicherungen passten auch nur zu wenigen Menschen, so die Experten von der Stiftung Warentest. Viele Verträge seien schlicht teuer und wenig ertragreich. Hinzu kommt, dass die Mehrzahl der Policen ohnehin nicht bis zum Vertragsende durchgehalten wird. 30 Prozent der Kunden kündigen in den ersten fünf Jahren, mindestens 50 Prozent bis zum Ende der Laufzeit. Da jedoch die Kosten, über die ersten fünf Laufzeit-Jahre verteilt, direkt von den Beiträgen abgezogen werden, bleibt gerade am Anfang oft nur sehr wenig vom eingezahlten Geld übrig.

Veronika Czisi

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