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Lars P. Feld (44) wurde zum 1. März von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in den Wirtschafts-Sachverständigenrat der Bundesregierung berufen. Seine Fachgebiete sind Finanzpolitik und die Schattenwirtschaft.

© KAY HERSCHELMANN

Neuer Wirtschaftsweiser Lars P. Feld: „Für Steuersenkungen fehlt die politische Kraft“

Der fünfköpfige "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" ist das wichtigste Beratergremium der Bundesregierung. Der neue Wirtschaftsweise Lars P. Feld spricht mit dem Tagesspiegel über die Folgen des Erdbebens in Japan, den Euro-Pakt und die deutsche Steuerpolitik.

Herr Feld, wie gefährlich sind die Folgen des Bebens in Japan für die Weltwirtschaft?
In allererster Linie sind das Beben, der Tsunami und die dadurch ausgelösten Unfälle in den japanischen Atomkraftwerken eine humanitäre und wirtschaftliche Katastrophe für Japan. Unabhängig von den gesamtwirtschaftlichen Folgen, stehen die Opfer und ihre Angehörigen im Mittelpunkt des Interesses. Japan wird durch diese Naturkatastrophe sicherlich auch einen Rückgang der Wirtschaftsaktivität verkraften müssen. Ob sich dies stark auf die Weltwirtschaft auswirkt, hängt vom Ausmaß der Schäden und der japanischen Reaktion darauf ab.

Kann eine neuerliche Krise in Japan auch andere Länder in die Tiefe ziehen?
Die Möglichkeit besteht natürlich. Allerdings kann der erforderliche Wiederaufbau bei einer geeigneten Geld- und Fiskalpolitik in Japan durchaus auch positive Impulse für andere Länder setzen.

Wird Deutschland die Auswirkungen spüren? Der bilaterale Handel zwischen Japan und Deutschland hat ein Volumen von immerhin 30 Milliarden Euro.
Die genannten Risiken bestehen auch für Deutschland. Gleichwohl erwarte ich keine besonderen negativen Auswirkungen auf die deutsche Konjunktur.

Wie sehen Sie die aktuelle Lage Deutschlands? Einerseits werden die Wachstumsprognosen erhöht, andererseits wächst die Angst vor Inflation, die Euro-Schuldenkrise schwelt, und viele Banken sind noch immer nicht über den Berg.
Ich bin ein vorsichtiger Optimist. Wir machen derzeit die Verluste wett, die in der Krise entstanden sind, das Wachstum ist auch 2011 recht dynamisch. Es gibt natürlich Risiken – etwa der steigende Ölpreis. Er wird für einen Dämpfer in Deutschland sorgen. Bremsend wirkt zudem die von der Europäischen Zentralbank (EZB) eingeläutete Zinswende. Aufgrund der Inflationsgefahren wird sie voraussichtlich im zweiten Quartal erstmals seit Jahren die Zinsen anheben. Doch ihr bleibt nichts anderes übrig angesichts der hohen Rohstoffpreise und der hohen Liquidität, die seit der Krise im Markt ist.

Die EZB muss einen Spagat vollziehen – einerseits sind in Wachstumsländern wie Deutschland höhere Zinsen nötig, andererseits könnte sich die Krise in den Schuldenländern durch höhere Zinsen verschärfen.
Die Eurozone ist noch nie ein optimaler Währungsraum gewesen. Vor zehn Jahren, als der Euro eingeführt wurde, haben die südeuropäischen Staaten und Irland geboomt, weil sie stark von den niedrigen Zinsen profitierten. Jetzt ist es umgekehrt: Das Zinsniveau ist für deutsche und französische Investoren günstig. Das bedeutet für die EZB einen Ritt auf der Rasierklinge. Sie muss angesichts der Preissteigerungen etwas tun. Hebt sie die Zinsen aber zu früh oder zu stark an, kommen die hoch verschuldeten Länder in Schwierigkeiten, und es gibt wieder Turbulenzen an den Finanzmärkten. Obendrein werden dann die Staatsanleihen der Schuldenländer, die die EZB gekauft hat, weniger wert. Das bedeutet Verluste.

Die Euro-Staaten haben sich auf Maßnahmen geeinigt, die die Währung stabiler machen sollen – den Pakt für Wettbewerbsfähigkeit, eine Aufstockung der Krisenfonds, neue Schuldenregeln. Haben Sie dabei ein gutes Gefühl?
Es kommt nicht so sehr auf das Gefühl als auf die Details der neuen Verschuldungsordnung in der Eurozone an. Griechenland zu retten war richtig, auch wenn das aus ordnungspolitischer Sicht nicht besonders schön war. Jetzt geht es darum, dem Haftungsausschluss für die Schulden anderer Länder wieder Geltung zu verschaffen, ohne die Finanzmärkte zu beunruhigen. Ich denke, man ist grundsätzlich auf dem richtigen Weg.

Der am Wochenende beschlossene Euro- Pakt soll für eine besser abgestimmte Wirtschaftspolitik sorgen. Eine gute Idee?
Ich bin sehr zurückhaltend. Es ist nicht sinnvoll, die Wirtschaftspolitik weiter zu zentralisieren – mehr Koordinierung bedeutet weniger Wettbewerb. Das könnte Deutschlands Autonomie aushöhlen, was das Bundesverfassungsgericht ja bereits moniert hat. Daher begrüße ich es, dass der Pakt eher vage formuliert ist.

Der Pakt zwingt zu nichts, er regt ein Nachdenken über das Renteneintrittsalter und die Arbeitsproduktivität an. Würde nicht eine einheitlichere Wirtschaftspolitik für weniger ökonomische Spannungen sorgen?
Im Bereich der Finanzpolitik halte ich Koordinierung für eine gute Idee. Allerdings muss es weiter einen gesunden Wettbewerb um das beste Steuersystem geben. Ohnehin ist es unwahrscheinlich, dass sich die Staaten ihre Haushaltshoheit aus der Hand nehmen lassen. Deswegen sollte man nationale Schuldenbremsen vorschreiben. Im Rahmen der Haushaltsautonomie binden sich die Länder dann selbst.

Die Euro-Regierungschefs haben sich zudem darauf geeinigt, den Rettungsfonds EFSF mit mehr Geld auszustatten, mit höheren Lasten für Deutschland. Ist die Währungsunion nun eine Transferunion?
Die Vereinbarung vom vergangenen Freitag ist ein erster, aber moderater Schritt in Richtung Transferunion. Die Bundeskanzlerin sollte verhindern, dass weitere Schritte in dieser Richtung folgen. In Zukunft muss wieder gelten, dass jedes Land für seine Schulden selbst verantwortlich ist und keine Hilfe von anderen bekommt. Ständig für Schuldensünder einstehen zu müssen, würde Deutschland irgendwann überfordern. Nur in Notfällen soll es Liquiditätshilfen für angeschlagene Staaten geben dürfen, damit diese ihre laufenden Ausgaben decken können – für Polizei, Militär oder Bildung.

Wird Griechenland mit seiner Haushaltssanierung Erfolg haben?
Die Griechen haben große Mühe, ihre Sparziele zu erreichen. Je nach Szenario kommen sie bereits 2013 auf eine Schuldenquote von mehr als 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das bedeutet heftigen politischen Sprengstoff. Daher sollte Griechenland bald eine Umschuldung angehen, etwa indem neben den staatlichen, auch die privaten Gläubiger die Laufzeiten ihrer Kredite verlängern. Sollte dies nicht genügen, könnte der EFSF Griechenland Kredite gewähren, um seine Anleihen unter dem Nennwert aufzukaufen. Da der Kurswert griechischer Anleihen um etwa 30 Prozent niedriger liegt, käme dies einer entsprechenden Umschuldung gleich.

Was würde das für Deutschland bedeuten?
Dass die Garantien, die Deutschland gewährt hat, fällig werden.

Wäre eine Umschuldung nicht der beste Weg gewesen? Dann hätten Investoren einspringen müssen, nicht die Steuerzahler.
Das wäre ordnungspolitisch sauberer gewesen, hätte aber womöglich starke Turbulenzen ausgelöst. Nicht einmal die Bundesregierung scheint zu wissen, in welchem Ausmaß die deutschen Banken in den überschuldeten Ländern engagiert sind. Sie haben ja nicht nur Staatsanleihen gezeichnet, sondern arbeiten auch mit Zweckgesellschaften und Kreditausfallversicherungen, die wir von der Finanzkrise als sehr intransparent kennengelernt haben. Die Banken taumeln zu lassen und dann einzusteigen, wäre ein Experiment mit ungewissem Ausgang gewesen.

Ist die Lage heute anders? Können die Banken es verkraften, auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten zu müssen?
Die Banken in der Eurozone, vor allem die deutschen und französischen, sind noch nicht so stabil, dass sie eine Umschuldung mehrere Länder verkraften könnten. Griechenland alleine könnten sie wohl bewältigen. Man muss daher einen behutsamen Übergang hinbekommen zu den neuen Regeln, zu einer Insolvenzordnung für Staaten mit einer geordneten Umschuldung, die es ab 2013 geben soll. Sonst läuft man Gefahr, dass der Interbankenmarkt wieder austrocknet, so wie nach der Lehman-Pleite 2008.

Ist es angesichts der Euro-Krise und der labilen Konjunktur ratsam, die Steuern zu senken, wie es die FDP will?
Eine umfassende Steuerreform noch in dieser Wahlperiode oder der nächsten ist schwierig. Insbesondere, weil die Schuldenbremse einen klaren Vorrang hat. Wer Steuern senken will, muss das irgendwo im Haushalt kompensieren.

Warum sollte das so schwer sein?
Weil die politische Kraft fehlt. Steuersenkungen sind immer möglich, wenn man das will. Aber nicht einmal die Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes traut sich die Politik als Gegenfinanzierung zu. Auch an sonstige Steuervergünstigungen will niemand ran, obwohl sich hier eine Menge Geld sparen ließe.

Ist eine Steuersenkung überhaupt nötig? Die Wirtschaft läuft doch gut.
Wir geben seit dem Zweiten Weltkrieg nur durch Steuerreformen den Menschen das zurück, was wir ihnen vorher durch die kalte Progression – also den Inflationsgewinn des Staates – weggenommen haben. Da muss dringend etwas geschehen.

Man könnte auch an anderer Stelle die Einnahmen erhöhen, durch eine höhere Mehrwertsteuer oder eine Pkw-Maut.
Eine noch größere Spreizung zwischen dem normalen und dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz wäre nicht gut. Das Volumen einer Pkw-Maut reicht womöglich, um an anderer Stelle Steuern zu senken. Ohnehin ist die Nutzerorientierung eine gute Idee. Ich würde das begrüßen.

Sie sind nun Wirtschaftsweiser. Wie groß ist der Einfluss des Sachverständigenrats auf die Regierung?
Der Einfluss auf das Tagesgeschäft war schon immer gering. Dafür hat der Rat viele grundsätzliche Denkanstöße gegeben, so etwa für die Schuldenbremse. 2002 hat er ein Gutachten vorgelegt, das Grundlage für die Agenda 2010 war. In den achtziger Jahren hat er der Angebotspolitik den Weg bereitet, in den Siebzigern für die Geldpolitik das von der Bundesbank aufgenommene Geldmengenkonzept empfohlen, in den sechziger Jahren für flexible Wechselkurse geworben.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

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