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Wirtschaft: Niemand darf wissen, was hinter der Fassade ist

Mit einem Riesenspektakel präsentierte der deutsche Software-Riese SAP vor zwei Jahren im Hyatt Hotel in San Francisco eine Reihe neuer Produkte. Die Software, die über die Zukunft des Unternehmens entscheidet, hat nur ein Problem: Sie ist noch nicht fertig.

Mit einem Riesenspektakel präsentierte der deutsche Software-Riese SAP vor zwei Jahren im Hyatt Hotel in San Francisco eine Reihe neuer Produkte. Die Software, die über die Zukunft des Unternehmens entscheidet, hat nur ein Problem: Sie ist noch nicht fertig.Tausend potentiellen Kunden stellten die SAP-Entwickler in jenem März eine Software vor, die zwar wie ein fertiges Produkt aussieht, aber offenbar speziell für die Konferenz hergestellt wurde. "Es war eine Täuschung", sagt der ehemalige SAP-Berater Greg McKee, der an der Präsentation beteiligt war. "Niemand durfte wissen, was hinter der Fassade war." Das bestreitet SAP-Vorstandsmitglied Peter Zencke. Das Unternehme habe der Öffentlichkeit seine künftigen Produkte zeigen wollen, niemals aber behauptet, ein voll betriebsfähiges Produkt zu haben. Wie auch immer: Die Episode zeigt, daß ein Unternehmen, das wegen seiner außerordentlichen Entwicklungsfähigkeiten berühmt geworden ist, bei der Herstellung seines seit Jahren wichtigsten Produktes riesige Probleme hat.Mit der Produktgruppe New Dimensions will das Unternehmen aus dem hessischen Walldorf seine Position als erfolgreichster Software-Entwickler Europas verteidigen. SAP hofft, mit New Dimensions in einen Markt mit hohen Wachstumsraten einzudringen. Es ist eine Software, die Unternehmen mit der Welt außerhalb verbindet: Verkäufern, Lieferanten und Kunden zum Beispiel. Das verspricht hohe Rationalisierungseffekte. In nur drei Jahren könne New Dimensions einen Umsatzanteil von 30 Prozent erreichen, hofft SAP. New Dimensions würde den sinkenden Umsatz des bisherigen SAP-Flaggschiffs R/3 ausgleichen, das interne Unternehmensabläufe wie Buchhaltung, Lohn- und Gehaltsabrechnung und Personalmanagement vernetzt und optimiert.Doch New Dimensions scheint ein Problemkind zu werden. Intern gibt es schon eine Menge Spott über das Programm. Eine Komponente sei so unzuverlässig, daß die Entwickler sie bereits "Live Crash" getauft haben. Drei der vier zentralen Bestandteile von New Dimensions sind inzwischen auf dem Markt. Doch nur eins davon ist voll funktionsfähig. Selbst langjährige Kunden üben massive Kritik. "Es ist nicht fertig, und es kann zahlreiche Probleme einfach nicht lösen", sagt Susanna Berendes, die ein Produkt von New Dimensions für ihr Unternehmen, die Thyssen-Krupp AG, testet. Das vierte Produkt von New Dimensions hinkt dem Zeitplan hinterher.SAP mag zwar diese Probleme noch lösen, doch beleuchten die Entwicklungsschwierigkeiten bei New Dimensions ein Dilemma: Wie kann sich ein Unternehmen, dessen Erfolg auf einem Produkt beruht, neu ausrichten, wenn die Nachfrage nach diesem Produkt stagniert? SAP ist aus dem Nichts zu einer Sofware-Weltmacht aufgestiegen, indem es Programme entwickelte, die die zentralen Probleme großer Unternehmen löste. Doch für ein Unternehmen mit einem einzigen Beststeller ist es schwer, sich an der Spitze zu halten.Die Entwicklung von New Dimensions habe von Anfang an Probleme gemacht, erklären SAP-Manager. Ein Teil der Konzernspitze sei von dem Erfolg der R/3-Software so geblendet gewesen, daß nicht rechtzeitig in die Entwicklung neuer Produkte investiert worden sei. Selbst als Konkurrenten bereits aktiv ähnliche Strategien entwickelten, lehnten einige SAP-Mitarbeiter die Entwicklung von New Dimensions ab. Hasso Plattner, einer von zwölf Vorstandssprechern und Mitbegründer von SAP, räumt ein, einige Produkte wären zu spät auf den Markt gekommen. Doch das Unternehmen werde seine Konkurrenz besiegen. "Die Geschichte zeigt: Nicht der siegt, der zuerst auf dem Markt ist", sagt Plattner. "Entscheidend ist, daß man sehr viel besser als die Konkurrenz ist."Und doch deutet einiges darauf hin, daß der Markt sich von SAP wegbewegt. Viele Unternehmen erklären, die Optimierung der internen Betriebsabläufe sei nicht mehr so interessant wie Anfang der neunziger Jahre. Stattdessen sucht man nun nach Lösungen, die das Internet einbinden, um mit Menschen außerhalb des Unternehmens in Verbindung zu treten. Dafür ist R/3 nicht konzipiert worden.Die Geschichte von New Dimensions begann im Jahr 1994, wurde allerdings in den ersten zwei Jahren nicht ernsthaft vorangetrieben. Nach einer dreimonatigen Debatte beschloß SAP im Jahr 1996, anstelle weiterer R/3-Komponenten eine Reihe einzelner Software-Pakete zu entwickeln. Das Unternehmen nahm sich ein Projekt in beängstigender Größe vor. New Dimensions sollte unter anderem Software für Logistik und Distribution umfassen, Software für Außendienstler und Software, die es Unternehmen möglich macht, online voneinander Produkte zu kaufen. Außerdem erklärte SAP, man werde für 19 Branchen unterschiedliche Versionen herstellen. Das Projekt wurde langjährigen Top-Managern, unter ihnen Peter Zencke, unterstellt.Zencke selbst stand dem Projekt damals skeptisch gegenüber: Er zweifelte daran, daß es für New Dimensions einen Markt gebe. 1997, der Markt für R/3 boomte weiterhin, nahm die interne Kritik am neuen Produkt zu. Als SAP 1998 New Dimensions in San Francisco präsentierte und noch mit der Vollendung der Produkte kämpfte, verkauften kleinere Software-Unternehmen wie 12, Ariba und Siebel Systems schon vergleichbare Produkte. Die Kunden warteten nicht, bis die Anstrengungen von SAP Früchte trugen: Große Kunden wie Nike, Siemens und der Pharmahersteller Bristol Myers Squidb wurden der unerfüllten Versprechungen müde und gingen zur Konkurrenz. Im vergangenen Jahr erklärte SAP, daß die Software in 60 Punkten nachgebessert werden müsse, bevor das Unternehmen seine Handelsaktivitäten im Internet damit abwickeln könne. "Da sich SAP auf kein ernsthaftes Gespräch mit mir einließ, gab ich auf", sagt Joe Postiglione, Direktor für weltweiten Einkauf des Pharma-Herstellers.Die Bemühungen um New Dimensions wurden erst wieder verstärkt, als SAP seine Unternehmenszahlen für das erste Quartal bekanntgab, in denen die neue Software bereits einen Umsatzanteil von über 10 Prozent hatte. Analysten erklärten jedoch, daß ein Großteil dieser Einnahmen von nur einem New Dimensions-Produkt herrührte: einem Analyse-Instrument für Datenbanken. Dieser Markt sei aber bei weitem nicht der interessanteste Markt, den SAP eigentlich im Visier habe. So erwartet SAP für das gesamte Geschäftsjahr nur einen fünfprozentigen Umsatzanteil von New Dimensions. Die Software für Außendienstmitarbeiter sollte schon längst auf dem Markt sein. Doch hartnäckige Produktfehler stoppen den Verkauf, gesteht Vorstandssprecher Plattner ein.Das Ergebnis: Viele ranghohe Manager verlassen inzwischen das Unternehmen, vor allem im amerikanischen Geschäftsbereich gibt es einen Exodus. Im vergangenen Jahr haben der Vorstandsvorsitzende und Präsident von SAP America, Paul Wahl und Jeremy Coole, ihre Kündigung eingereicht. Auch Angestellte haben SAP verlassen. Zum Teil sicher, weil das deutsche Gesetz die Vergabe von Aktienoptionen als Erfolgsbeteiligung für Mitarbeiter verbietet. Vor allem aber aus Frustration über die Unternehmensentwicklung.

MATTHEW ROSE

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