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Wirtschaft: Nur der Mittelstand schafft Jobs

Wirtschaftsförderer setzen auf kleine Unternehmen /Berlin zieht neuerdings Konzerne an

Düsseldorf - Zahlreiche Unternehmen wollen in diesem Jahr eine größere Zahl von Arbeitsplätzen schaffen – dennoch bleibt das Angebot an freien Stellen insgesamt gering. Dies ist das Ergebnis einer bundesweiten „Handelsblatt“-Umfrage. Lediglich einzelne Branchen expandieren und schaffen neue Jobs. Vertreter der Wirtschaft wiesen am Dienstag den Vorwurf des Bundeskanzlers vom Osterwochenende zurück, die Wirtschaft investiere nicht genügend in Deutschland.

„Schuldzuweisungen helfen nicht weiter. Viele Unternehmen investieren weiter hier, schaffen trotz schwieriger Bedingungen neue Arbeitsplätze“, sagte Ludwig Georg Braun, Präsident des Industrie- und Handelskammertages, der „Bild"-Zeitung. Auch Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser wandte sich gegen die Äußerungen von Gerhard Schröder. SPD-Chef Franz Müntefering sprach dagegen von einer gewissen Arroganz einiger deutscher Unternehmen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen.

Der Befund der „Handelsblatt“-Umfrage, wonach nur in wenigen Branchen neue Arbeitsplätze entstehen, deckt sich weitgehend mit den Ergebnissen einer Ifo-Untersuchung. Die Münchner Volkswirte sehen neue Jobs vor allem bei Softwarefirmen sowie in der Mineralöl- und Tabakverarbeitung. Außerdem dürften in der chemischen Industrie, der Medizin- und der Elektrotechnik und im Einzelhandel einige Arbeitsplätze entstehen.

Demnach will die Industrie in diesem Jahr vier Prozent mehr investieren als im Vorjahr. „Dies bleibt aber hinter der Dynamik früherer Aufschwünge zurück“, sagte Ifo-Branchenexperte Gernot Nerb. In den beiden vergangenen Jahrzehnten habe das Investitionswachstum im ersten Aufschwungjahr bei acht Prozent gelegen. Angesichts der fragilen Konjunktur rechnen Volkswirte für das laufende Jahr allenfalls mit einem geringen Zuwachs der Beschäftigung – im Februar war die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gegenüber dem Vorjahresmonat sogar gesunken. Das Hamburgische Weltwirtschafts-Archiv (HWWA) erwartet 0,6 Prozent mehr Beschäftigte; das RWI in Essen erwartet in seiner jüngsten Prognose einen Anstieg der Erwerbstätigen um knapp 300000 auf dann 38,69 Millionen. Das Angebot an Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt ist jedoch gering: Im Februar meldete die Bundesagentur für Arbeit 3,6 Prozent weniger offene Stellen als im Vorjahresmonat.

Eine erfreuliche Ausnahme ist das krisengeschüttelte Berlin mit einer Arbeitslosenquote von 19,4 Prozent: Gleich mehrere Konzerne verkündeten in den letzten Wochen die Schaffung neuer Jobs. Allein der Chemiekonzern BASF will 600 neue Arbeitsplätze in einem neuen Servicecenter schaffen. Wirtschaft und Politik in der Hauptstadt setzten auf positive Effekte für das Investitionsklima. IHK-Sprecher Holger Lunau hofft auf einen „Gegentrend“ zu den schlechten Wirtschaftsnachrichten aus Berlin. „Die Stadt hat eine lange Durststrecke hinter sich. Jetzt ist das Licht am Ende des Tunnels erreicht“, sagt er. Dafür spreche auch, dass das verarbeitende Gewerbe im Jahr 2004 in Berlin erstmals seit derWiedervereinigung gewachsen ist – um 2,3 Prozent. 22 Prozent der Unternehmen wollten nach einer IHK-Umfrage 2005 ihre Mitarbeiterzahl erhöhen. Im Vorjahr waren es 16 Prozent.

Bundesweit haben Großinvestitionen derzeit jedoch nur eine geringe Bedeutung. „Sie geben regional sicherlich einen Impuls, spielen für den gesamten Arbeitsmarkt aber keine Rolle“, sagte HWWA-Konjunkturchef Eckhardt Wohlers. Unter dem Strich entstünden Arbeitsplätze allenfalls bei kleinen und mittleren Unternehmen. Die Bundesländer setzen bei ihrer Förderung daher auf Kompetenzschwerpunkte, von denen vor allem kleinere Firmen profitieren sollen. „Wenn wir uns längerfristig konsolidieren wollen, müssen wir uns auf die Kräfte des Mittelstands zurückbesinnen“, sagte Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns dem „Handelsblatt“. Sein Land richtet die Wirtschaftsförderung künftig auf Wachstumsbranchen aus. Bislang werden vor allem schwache Regionen unterstützt, jetzt sollen starke Kerne entstehen.

Die westdeutschen Bundesländer müssen auf Subventionen meist verzichten. „Großansiedlungen können wir so nur im Ausnahmefall anwerben“, sagte Andreas Köpke von der Hamburger Wirtschaftsförderung. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums in Sachsen-Anhalt bestätigte, die bessere Fördermöglichkeit sei ein Hauptgrund vieler Investoren für ein Engagement in Ostdeutschland. „Im Wissen um die Förderkulisse versuchen die Interessenten, die ostdeutschen Bundesländer gegeneinander auszuspielen.“ (HB )

Christoph Kapalschinski

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