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Nicht mehr Holz schlagen als nachgepflanzt wird. So funktioniert Nachhaltigkeit.

© imago/Rainer Weisflog

Ob G-20 oder Geschäftsbericht: Warum alle immer von "Nachhaltigkeit" reden

Vor 30 Jahren erschien der Brundtland-Report, heute ist das Thema in aller Munde. Trotzdem sehen Experten in vielen Bereichen Rückschritte.

Rund 300 Jahre hat es gebraucht, bis aus dem Ansatz des kursächsischen Oberberghauptmanns Hans Carl von Carlowitz eine Orientierungsmarke für die Welt wurde. Der Begriff Nachhaltigkeit ist inzwischen geläufig und wird auch beim G-20-Treffen in Hamburg am kommenden Wochenende in den Kommuniqués auftauchen. Wie bereits 2009 in Pittsburgh, als sich die G 20 auf das Ziel eines „starken, nachhaltigen und ausgewogenen“ Wachstums verständigten. Nachhaltigkeit bedeutet, nicht mehr zu verbrauchen als vorhanden ist, um die Grundlage für die nächsten Generationen zu bewahren. Wie Anfang des 18. Jahrhunderts in Sachsen.

Der Bergbau bedrohte damals die Wälder. Holz wurde verwendet als Brennmaterial für Schmelzöfen und als Baumaterial für den Grubenausbau. 1713 forderte Carlowitz, dass nur so viel Holz geschlagen werden sollte, wie an Nachschub durch die Aufforstung, durch Säen und Pflanzen gewährleistet sei.

Unter Nachhaltigkeit wird heute alles Mögliche verstanden

Zumindest in unseren Breitengraden gilt der Sachse damit als Erfinder der Nachhaltigkeit. Der Begriff hat die Wälder längst verlassen und umfasst heute ein Zieldreieck, in das alles Mögliche gepackt werden kann. „Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen“, formuliert der Rat für nachhaltige Entwicklung, den die Bundesregierung 2001 ins Leben rief. „Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen.“

In Deutschland – und auf der Welt. Denn Umweltverschmutzung, Klimawandel, Ressourcenknappheit, Armut und Not machen nicht Halt an staatlichen oder kontinentalen Grenzen. Wenn die Menschen im Süden keine Perspektive haben, werden sie im Norden ihr Glück suchen.

Die Vereinten Nationen befassten sich erstmals 1972 auf einer Umweltkonferenz in Stockholm mit dem Thema, das aber erst 1987 mit dem Brundtland-Report in Schwung kam. Der Begriff sustainable development wurde von der Kommission unter der Leitung Gro Harlem Brundtlands, der damaligen Ministerpräsidentin von Norwegen, geprägt. Im Laufe der Zeit setzte sich dann Corporate Social Responsibility (CSR) als Chiffre durch für nachhaltiges Wirtschaften. Adressat sind vor allem Unternehmen, die in der Globalisierung erheblichen Einfluss haben auf die ökonomischen, sozialen und ökologischen Zustände. Unternehmen bauen Produktionsstätten, für die sie Rohstoffe und Arbeitskräfte brauchen; sie benötigen Verkehrswege und -mittel, Handelsstrukturen und Lieferanten.

Im vergangenen März hat der Bundestag die Umsetzung einer EU-Richtlinie beschlossen, die vom Geschäftsjahr 2017 an Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter verpflichtet, einen sogenannten CSR-Bericht zu verfassen. Darin ist dann darzulegen, wie die Firma Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelange berücksichtigt, wie sie es mit Menschenrechten hält und was sie zur Bekämpfung von Korruption und zur Förderung von Vielfalt tut. Ein großes, neues Geschäftsfeld für die Beraterbranche, die vor allem für kleinere Unternehmen das Berichtswesen übernehmen dürfte.

Wie Konzerne bei der Nachhaltigkeit abschneiden

Das Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) bewertet seit mehr als 20 Jahren die entsprechenden Berichte deutscher Firmen und würdigt sie in einem Ranking. Besonders stark gewichtet werden „Vision und Strategie“ des Managements sowie die Verantwortung für das Produkt und die Lieferkette. Adidas, Otto und Puma, Alnatura, Hessnatur, Hochland, Hofpfisterei, Lebensbaum und Vaude „heben sich im Reporting ihrer Lieferkettenverantwortung positiv vom Feld ab“, schreibt das IÖW.

Der Bericht von Lebensbaum, Hersteller von Bio-Kaffee, Tee und Gewürzen landet auf Platz eins, weil er die „Transparenzanforderungen über die Breite der Nachhaltigkeitsthemen“ erfüllt. Für Lebensbaum gehört der Bericht zum Geschäftsmodell, bei anderen Unternehmen dürften Marketingaspekte eine Rolle spielen. Grün und sozial kommt bei Konsumenten gut an. Tatsächlich bewertet das IÖW, auch finanziert mit Steuermitteln, vor allem die Kommunikationsleistung der Unternehmen. Wie nachhaltig die Firma tatsächlich wirtschaftet, wie sauber und sozial ihre Produkte sind, steht auf einem anderen Blatt.

Stefan Schaltegger ist Chef des „Centre of Sustainability Management“ in Lüneburg. 2003 wurde dort der erste MBA Sustainability Management eingerichtet. Obgleich das Thema Nachhaltigkeit seit Jahrzehnten Konjunktur hat, sieht Schaltegger „in vielen Bereichen eher Rückschritte“. Er verweist auf den letzten Living-Planet-Report des WWF aus dem Herbst 2016. Danach verbraucht die Menschheit 60 Prozent mehr, als die Erde bereithält. „Setzt sich dieser Verbrauch ungebremst fort, sind 2030 zwei komplette Planeten nötig, um den Bedarf an Nahrung, Wasser und Energie zu decken“, heißt es in dem Report. „Unser Planet steht vor dem Burn-out.“

Experten sorgen sich um den Verlust der Vielfalt

Schaltegger sorgt sich vor allem um die Biodiversität. Es gibt Schätzungen, wonach der Verlust an biologischer Vielfalt jährlich einen Schaden von mehr als sechs Billionen Dollar anrichtet, was rund ein Zehntel des globalen Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Schaltegger hält das sogar für eine „eher konservative“ Schätzung. An zweiter Stelle der ökologischen Bedrohungen sieht er den Klimawandel. Soziale, ökologische und ökonomische Verwerfungen macht er deutlich am Beispiel des Jordan, von dessen Wasser Israelis und Palästinenser leben. Es sei „absurd“, wenn wir Avocados aus Israel importierten, und die Israelis gleichzeitig Palästinensern das Wasser vorenthielten. Zur Nachhaltigkeit gehört eben auch verantwortlicher Konsum.

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