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Zerstörte Landschaft. Bagger transportieren Ölsand in der Nähe von Fort McMurray in der kanadischen Provinz Alberta. Foto: AFP

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Ölsand in Kanada: Segen oder Fluch

In Kanadas Sand liegen riesige Ölvorkommen. Die Regierung nennt es „ethisch einwandfreie Energie“, Umweltschützer protestieren.

Das rhythmische Trommeln und der schrille Gesang der Indianer liegt über dem Rasen vor dem Parlament in Ottawa. Rund 1000 Menschen haben sich eingefunden, um gegen die expandierende Ölsandindustrie und den Bau einer riesigen Pipeline von Kanada in die USA zu demonstrieren. „Unser Land wird niemals wieder so sein wie früher“, sagt eine Indianerin aus Nord-Alberta. Ihre Gemeinde hatte vor wenigen Monaten unter einem Pipeline-Leck zu leiden. Maud Barlow, Vorsitzende des Bürgerverbandes „Council of Canadians“, nennt Öl aus Teersand „das schmutzigste Öl der Welt“.

Die Kontroverse um die Gewinnung von Öl aus kanadischem Sand wird immer lauter. Umweltverbände in den USA und in Kanada arbeiten dagegen; die Industrie und die Regierung Kanadas werben für das „ethische Öl“, das Amerika unabhängiger machen soll von den Lieferungen aus undemokratischen Staaten. Konkret dreht sich der Streit um den Bau der Keystone Pipeline des kanadischen Unternehmens Trans Canada. Sie soll von Albertas Ölsandfeldern zu den Raffinerien an der US-Golfküste führen. Die US-Regierung will bis Jahresende über das sieben Milliarden Dollar teure Projekt entscheiden.

Mit Ressourcen von 175 Milliarden Barrel Öl, die mit Hilfe der heutigen Technologie abgebaut werden können, ist Kanada eines der ölreichsten Länder der Welt. Ein Barrel sind 159 Liter. 170 Milliarden Barrel liegen im Ölsand, einem Gemisch aus dickflüssigem, teerartigem Bitumen, Sand und Ton. Kanada erzeugt derzeit etwa 2,8 Millionen Barrel Rohöl pro Tag, davon etwa 1,5 Millionen aus Ölsand. Bis 2025 soll die Ölproduktion auf 4,7 Millionen Barrel ansteigen, davon 3,7 Millionen aus Ölsand.

Die energiehungrigen USA sind bereits jetzt Hauptabnehmer kanadischen Öls. 2600 Kilometer lang soll die neue, unterirdische Pipeline sein. Durch das Röhrensystem mit einem Durchmesser von 90 Zentimetern sollen ab 2013 täglich bis zu 830 000 Barrel Rohöl aus dem Norden Kanadas hinunter an den Golf von Mexiko fließen.

Anzeigenkampagnen, Boykottaufrufe und Demonstrationen auf der einen Seite, eine Werbeinitiative der Industrie und der kanadischen Regierung andererseits – mit dem Ausbau der Ölsandindustrie im Norden Albertas bei Fort McMurray wächst der erbitterte Streit um die Energiequelle. Kritiker verweisen auf Landschaftszerstörung und giftige Klärschlammteiche, den hohen Wasserverbrauch, Studien über Gesundheitsgefahren für Menschen und Tiere und die enormen CO2-Emissionen.

Für die Industrie und die konservative Regierung unter Premierminister Stephen Harper, die ihr Land gern als Energiesupermacht darstellt, ist der Ölsand eine unverzichtbare Ölquelle. Die Kritik beruhe auf Fiktionen, nicht auf Fakten. Öl aus Kanada, einem demokratischen Land mit strikten Umweltregeln, sei ethischer als Öl etwa aus Saudi-Arabien.

Es gibt allerdings auch ökonomische Einwände: Analysten wie Todd Hirsch von ATB Financial in Calgary verweisen darauf, dass für die Profitabilität neuer Ölsandprojekte ein Ölpreis von etwa 80 Dollar notwendig ist. In diesem Bereich bewegt sich der Barrelpreis zwar derzeit. Allerdings sind die Konjunkturaussichten alles andere als gut. Das könnte den Ölpreis künftig belasten und die Expansion des Ölsandabbaus verzögern.

Auch in den USA gibt es Befürworter und Kritiker der Ölsandförderung. In den US-Staaten Montana, South Dakota, Nebraska, Kansas, Oklahoma und Texas, durch die die Pipeline laufen soll, fanden in dieser Woche Anhörungen statt. Die abschließende Anhörung ist am 7. Oktober in Washington. Die Entscheidung der US-Regierung, ob die Pipeline im nationalen Interesse ist und gebaut werden soll, wird im Dezember erwartet. Die Genehmigung auf kanadischer Seite liegt bereits vor.

Vor allem bei den US-Demokraten gibt es Widerstand gegen die Pipeline, war Präsident Barack Obama doch angetreten, eine Wende zu einer sauberen Energie herbeizuführen. Kritiker rügen, mit der Pipeline werde die Abhängigkeit der USA von Ölsand größer. Und auch im konservativen Nebraska regt sich Protest. Die Pipeline streift das Gebiet, in dem der Ogallala Aquifer liegt, ein riesiges Grundwasserreservoir. Nachdem aber im August eine vorläufige Bewertung der Umweltfolgen durch die Energieabteilung des US-Außenministeriums keine grundsätzlichen Einwände gegen das Projekt enthalten hatte, rückt die Genehmigung durch Obama näher.

Angesichts der von TransCanada avisierten 20 000 Arbeitsplätze, die der Pipelinebau in den USA schaffen würde, gilt es als wahrscheinlich, dass der US-Präsident zustimmen wird. Für Kanadas Premierminister Harper steht dies außer Frage. „Der Energiebedarf der USA ist enorm und die Alternativen für die USA sind nicht gut“, meint Harper. Dennoch hat er seinen Botschafter Gary Doer aus Washington in die US-Provinz geschickt, damit er dort für die Pipeline wirbt.

Wenn die Entscheidung gefallen ist, kann sich Kanadas Regierung verstärkt einem zweiten Konfliktfeld zuwenden: Europa. Die Regierung wehrt sich vehement dagegen, dass Öl aus Ölsand in einer geplanten EU-Brennstoff-Richtlinie wegen seiner Umweltbelastungen negativ bewertet wird.

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