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Wo kommen sie her, die Ingenieure? Von deutschen Hochschulen natürlich, aber in absehbarer Zeit deutlich zu wenig.

© p-a/dpa

Fachkräftekonzept: Offene Grenze für Ärzte und Ingenieure

Der Fachkräftemangel gefährdet den Wohlstand, sagt Bundesarbeitsministerin von der Leyen. Die Bundesregierung legt nun ihr Konzept gegen das Problem vor.

Berlin - Deutsche Unternehmen sollen künftig leichter Ingenieure und Mediziner aus Ländern außerhalb Europas einstellen können. Die Bundesregierung will ab diesem Mittwoch die Vorrangprüfung für Maschinen- und Fahrzeugbauingenieure, Elektroingenieure und Ärzte aussetzen. Das bedeutet: Arbeitgeber müssen dann nicht mehr nachweisen, dass sie für offene Stellen keine geeigneten Bewerber in Deutschland oder der EU finden konnten. „Wir brauchen qualifizierte Zuwanderer, die hier Arbeitsplätze besetzen, die sonst leer ständen“, sagte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU).

Die Maßnahme ist Teil des Fachkräftekonzepts, auf das sich die Bundesregierung nach monatelangem Ringen verständigt hat. Ob das Zuwanderungsrecht auch darüber hinaus gelockert werden soll, ist in der Koalition weiter umstritten. Arbeitsministerin von der Leyen, Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) und die FDP treten für eine stärkere Liberalisierung ein, während vor allem die Unions-Innenpolitiker bremsen.

Nach Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland bis 2025 um 6,5 Millionen sinken. Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) erwartet, dass bis zum Jahr 2020 allein 240 000 Ingenieure auf dem deutschen Arbeitsmarkt fehlen werden. Auf mittlere Sicht sei der Fachkräftemangel „die stärkste Bedrohung für Wohlstand und Wirtschaft“, meint Arbeitsministerin von der Leyen.

Einen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt es derzeit laut Bundesagentur für Arbeit nicht, aber Engpässe in bestimmten Regionen (vor allem Süddeutschland) und Berufsgruppen (Ingenieure, Ärzte, Altenpfleger). Die Bundesregierung setzt in ihrem Konzept neben der Zuwanderung auch darauf, mehr Frauen und Ältere für den heimischen Arbeitsmarkt zu gewinnen. So seien derzeit rund 6,3 Millionen Frauen im erwerbsfähigen Alter nicht berufstätig – viele mit mittlerer und hoher Qualifikation.

Noch keine Einigung gibt es in der Koalition bislang darüber, ob auch das Mindesteinkommen gesenkt werden soll, das Hochqualifizierte aus Nicht-EU-Ländern verdienen müssen, um in Deutschland für sich und ihre Familien ein Daueraufenthaltsrecht zu bekommen. Derzeit liegt die Grenze bei 66 000 Euro. Im Jahr 2010 kamen weniger als 700 Zuwanderer auf diesem Weg nach Deutschland. „Die bisherige Einkommensschwelle liegt viel zu hoch. Selbst Fachkräfte verdienen nicht auf Anhieb so viel“, sagte der FDP-Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel dem Tagesspiegel. Die FDP halte eine Zielmarke von 40 000 Euro für realistisch. Das würde laut Arbeitsministerium dem Anderthalbfachen eines durchschnittlichen Bruttoeinkommens entsprechen. In Koalitionskreisen hieß es, die Frage solle vor der Sommerpause geklärt werden.

Im Anschluss an die Kabinettssitzung hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Mittwoch die Spitzen der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften zu Beratungen über den Fachkräftemangel nach Schloss Meseberg eingeladen. Vielen Wirtschaftsvertretern gehen die bisherigen Pläne der Bundesregierung nicht weit genug. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), bezeichnete es zwar als richtig, die „bürokratische Vorrangprüfung“ für einige Berufe auszusetzen, weil sie gerade viele mittelständische Unternehmen davon abschrecke, sich im Ausland nach Fachkräften umzusehen. „Weitere Mangelberufe sollten aber bald folgen“, sagte er dem Tagesspiegel. Außerdem sei die Einkommensschwelle für Hochqualifizierte mit 66 000 Euro pro Jahr viel zu hoch, und zwar nicht nur für Berufseinsteiger. Der Hightech-Verband Bitkom kritisierte, es sei „ völlig unverständlich“, dass Informatiker bei der Abschaffung der Vorrangprüfung nicht berücksichtigt wurden.

Um dem Fachkräftemangel vorzubeugen, ist nach Ansicht von IZA-Direktor Klaus Zimmermann ein Punktesystem zur Zuwanderung notwendig – ähnlich wie in den Einwanderungsländern Kanada und Australien. Im internationalen Wettbewerb würden viele Länder schon seit langem um hochqualifizierte Arbeitnehmer werben. „Die Demografie lässt uns keine Zeit mehr. Eine gesteuerte Zuwanderung ist nötig“, forderte der Wissenschaftler. Doch für ein solches Auswahlverfahren tritt innerhalb der Bundesregierung bislang lediglich die FDP ein.

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