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Wirtschaft: Ohne Gewähr

Auch bei den Konjunkturdaten liegt das Statistische Bundesamt häufig daneben – und verärgert die Volkswirte der Banken

Berlin - Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hat sich nicht nur bei der Zahl der Minijobs verrechnet. Auch wenn es um das Wirtschaftswachstum in Deutschland geht, liegen die Beamten immer öfter daneben. Häufig müssen sie ihre Daten nachträglich korrigieren und bringen damit auch die Wirtschaftsforscher in die Bredouille.

Die Probleme der amtlichen Statistik sind mittlerweile so gravierend, dass die großen Wirtschaftsforschungsinstitute und Banken nur noch selten zutreffende Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung zustande bringen. „In den letzten zwei bis drei Jahren waren wir durch die doch heftigen Revisionen der Statistik großen Unsicherheiten ausgesetzt“, sagt Rolf Schneider, Leiter der Konjunkturabteilung der Dresdner Bank. Das Statistische Bundesamt neige dazu, das Wachstum im Aufschwung zu unterschätzen und im Abschwung zu überschätzen.

Am Mittwoch hatte der Tagesspiegel darüber berichtet, dass sich die Wiesbadener Behörde in den vergangenen Jahren bei der Zahl der Minijobber regelmäßig um zwei Millionen verrechnet hat. Immer öfter werden aber auch Zweifel an der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Amtes laut, die die Grundlage für die amtlichen Wachstumszahlen bildet.

Den Beginn des derzeiten Aufschwungs haben die Statistiker zum Beispiel viel zu spät erkannt. Anfang 2006 meldeten sie für das letzte Quartal 2005 noch Stagnation: 0,0 Prozent Wachstum. Erst deutlich später sah das Amt ein, dass die Wirtschaft doch gewachsen war. Im August 2006 stellten die Statistiker fest: „Die kontinuierliche Aufwärtsbewegung des Wirtschaftswachstums begann den neuesten Berechnungen zufolge bereits in 2005.“ Sie korrigierten die Wachstumszahl für das besagte vierte Quartal auf 0,3 Prozent nach oben.

Dresdner-Bank-Volkswirt Schneider berichtet, sein Haus verlasse sich oft nicht auf die Daten aus Wiesbaden. Zumindest die schnell veröffentlichten Wachstumszahlen für das jeweils vorangegangene Vierteljahr seien „zu revisionsanfällig“. Ein Beispiel dafür ist das vierte Quartal des vergangenen Jahres, für das die Statistiker zunächst ein viel zu schwaches Wachstum berechnet hatten. Mehrmals mussten sie die Zahl korrigieren. Dies hatte Auswirkungen auf den Wert für das Gesamtjahr, den die Statistiker zunächst mit 2,5 Prozent angegeben hatten und bis heute schrittweise auf 2,8 Prozent nach oben korrigierten. In wenigen Wochen steht die einmal jährlich stattfindende Jahresrevision an. Viele Volkswirte rechnen damit, dass sich die Zahl dann nochmals ändert – und damit ihre Prognosen für 2007 über den Haufen schmeißen würde, weil diese auf den Zahlen aus 2006 basieren.

Die vielfachen Korrekturen seien Ausdruck eines tiefergehenden Problems, meint Karl Brenke, Konjunkturforscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. „Bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukt gibt es das große Defizit, dass man nicht recht weiß, welchen Beitrag die Dienstleistungen haben.“

Auch beim Statistischen Bundesamt gibt man zu, dass man in der Dienstleistungsstatistik erhebliche Unsicherheiten habe. Während man alles, was mit Landwirtschaft und Industrie zu tun habe, sehr ordentlich zählen könne, sei das bei dem derzeit dynamischsten Bereich der deutschen Wirtschaft nicht so. Hier hinke man auch den anderen europäischen Ländern hinterher.

„Was die Statistik anbelangt, leben wir im vorletzten Jahrhundert“, sagt Forscher Brenke. Zwar würden bei den Dienstleistungen im Einzelhandel oder im Gastgewerbe Umsatzzahlen erhoben. „Über wesentliche Bereiche wie Softwareentwicklung oder Unternehmensberatung weiß man aber nichts.“ Brenke zieht ein verheerendes Resumee: „Wir koppeln uns von der realen Welt ab, weil die statistischen Grundlagen immer zweifelhafter werden.“ Doch die Probleme der amtlichen Statistik beruhen nicht allein darauf, dass die Statistiker noch auf dem Weg sind, die richtigen Erhebungsmethoden für die neuen Branchen zu finden: Ihnen fehlt auch der richtige Nachwuchs.

So stellte der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer im vergangenen Jahr beim Wissenschaftlichen Kolloquium des Statistischen Bundesamtes bitter fest, dass die Ausbildung der Statistiker in Deutschland „dem Erkenntnisfortschritt in der Ökonomie eher im Wege (steht)“. Krämer kommt zu dem Schluss, dass sich die konventionelle Statistik „von den Bedürfnissen der Anwender zusehends entfernt“. stek/uwe

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