zum Hauptinhalt

ORTSTERMIN: Berliner Müllhalden

Maris Hubschmid lauscht Star-Architekt Meinhard von Gerkan dabei, wie er über die Hauptstadt herzieht.

Von Maris Hubschmid

Eigentlich hatte er 15 Minuten Eingangsworte sprechen sollen. Er redete länger als eine Stunde: Der Hamburger Architekt Meinhard von Gerkan, 77, hatte eigenen Angaben zufolge tief in der Fotokiste gewühlt und seine weltweiten Lieblingsplätze zusammengestellt für die Besucher der Konferenz „Öffentlicher Raum“, die am Dienstag im Hotel de Rome in Mitte stattfand. Zwar behauptete der gefragte Gast, 200 Bilder bereits wieder gelöscht zu haben, dennoch mussten mehrere Folgeredner Anschlusstermine absagen, 14 Referenten ihre Vorträge kürzen und alle Zuhörer einen Teil ihrer Mittagspause opfern. Dem Veranstalter dankte Gerkan Generosität und Flexibilität nicht direkt, immer wieder ließ er sich über die „Misttechnik“ aus. Das Publikum aber verfolgte gebannt seine Vorführung.

Da war zunächst die Piazza del Campo in Siena: der perfekte Platz, glaubt man von Gerkan. Kein Wunder: Angeblich haben Bürgerkomitees einst jedes neue Haus begutachtet und dann den Daumen darüber gehoben oder gesenkt – was nicht gefiel, wurde abgerissen. Auch von Gerkan sollte noch so manchen Daumen über längst Gebautes senken an diesem Tag. Entscheidend sei, wie ein Platz „baulich eingefasst“ sei, sagte er. Ob die Pariser Place des Vosges, der Markusplatz in Venedig oder der Petersplatz in Rom: Sie alle lebten davon, dass sie eine klare Begrenzung hätten, einen einheitlichen Rahmen.

Der Lehrter Bahnhof: Sein Sorgenkind

Auf Deutschland und Berlin kommt Gerkan erst zu sprechen, als er zu den Negativ-Beispielen übergeht. Dem heutigen Pariser Platz fehle solch ein Rahmen, er entbehre jeglicher gestalterischen Idee. Weiter geht’s zum neuen Hauptbahnhof, von ihm entworfen und gewissermaßen sein Sorgenkind – über abgeschnittene Dächer will er aber nicht reden. Stattdessen über das Brachland, in das der Bau eingebettet ist: „Der modernste Bahnhof Europas steht in der usbekischen Wüste.“ Fünf Fotos widmet er dem bereits verschwundenen Bundespressestrand. „Diese Buden und Container... ein Graus.“ Das Kernproblem der Stadt sei, dass jeder Flecken zu Geld gemacht werden solle. „Ich weiß, dass Berlin arm ist. Aber was man dem Ort antut, darüber denkt niemand nach.“

Auf das Kulturforum westlich des Potsdamer Platzes habe man eigens „Kulturforum“ draufgeschrieben, damit niemand es für eine Müllhalde halte. Den Großflughafen BER streift von Gerkan nur am Rande – im Mai hatte die Stadt seinem Büro die Generalplanung entzogen. Stattdessen präsentiert er den Flughafen Tegel, in den 60ern von ihm erschaffen. „Der ideale Flughafen.“ Dass er nie kopiert wurde, liege allein daran, dass die Welt so schlecht ist: „Wer sollte ahnen, dass Flughäfen mehr als Shoppingzentren denn zur Flugabfertigung dienen sollten? Alles muss gewerblich genutzt werden. Wir wussten auch nichts von Terror und der Notwendigkeit von Sicherheitskontrollen, haben beides also nicht eingeplant.“

Hat sich "vergeblich um Berlin bemüht": Architekt Meinhard von Gerkan, 77.
Hat sich "vergeblich um Berlin bemüht": Architekt Meinhard von Gerkan, 77.

© dpa

Den großen Geist zu unterbrechen traute sich niemand an diesem Vormittag. Nur einmal wurde er gestört, da klingelte ein Handy. Vorwurfsvoll blickte der Architekt in die Runde – und erkannte: es war sein eigenes.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false