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Wirtschaft: Paul Schuster

Geb. 1930

Von David Ensikat

Es lag ihm sehr am Herzen, Recht zu haben. So sehr, dass er es sich mit vielen Leuten schnell verdarb Man sagte, er sei Hitlerist, Klassenfeind, Titoist und Kosmopolit, alles auf einmal. Dass er streitbar war, dass er keinem Konflikt aus dem Weg ging, koste es, was es wolle, das warf man ihm so nicht vor.

Bukarest 1951, Paul Schuster arbeitete seit zwei Jahren als Reporter der deutschsprachigen Tageszeitung „Neuer Weg – Organ des antifaschistischen Komitees“, er hatte sich fehlverhalten, und man stellte ihn, wie das so damals üblich war, zur Rede – Kritik und Selbstkritik. Paul Schuster, der Klassenfeind, wurde wieder in die Heimat geschickt, ins rumänisch-deutsche Siebenbürgen, um dort als Dorfschullehrer zu arbeiten.

Vier Jahre später kehrte er, inzwischen Literat, zurück nach Bukarest, schrieb viel und wurde wichtig. Mitglied des „Erweiterten Leitungsausschusses des rumänischen Schriftstellerverbandes“ war er, ums Ressort Prosa der Zeitschrift „Neue Literatur“ kümmerte er sich, zum Vizevorsitzenden des „Rates der deutschsprachigen Werktätigen“ ernannte man ihn.

Etwa 400000 Deutsche gab es damals in Rumänien, und die wurden von Staat und Partei recht pfleglich behandelt. So gab es für die hundert Köpfe zählende deutsche Literaturszene des Landes eine eigene Monatszeitschrift mit zehn Mitarbeitern, die „Neue Literatur“. Wie gesagt, Paul Schuster war für die Prosa zuständig. Und er fand, dass die hundertköpfige Literaturszene ein paar mehr junge Köpfe vertragen konnte, machte sich mit einem Freund und Mitstreiter auf den Weg in die Provinz, um dort an den Gymnasien Talente zu suchen. Er fand sie, sie hießen zum Beispiel Rolf Bossert, Herta Müller, Richard Wagner und Ernest Wichner.

Seid mutig, seid politisch! Schreibt, was ihr denkt!, sagte er zu den Talenten. Das Land braucht Reformen, es braucht junge Leute, die sich was trauen!

Die jungen Leute freuten sich, dass jemand aus Bukarest sich um sie kümmerte, sie trauten sich was, sie schrieben.

Und plötzlich war Paul Schuster weg, war im Westen geblieben, einfach so. War es die Schweizerin, die er gerade liebte? War es die Hoffnung auf den Bucherfolg im Westen? Ein österreichischer Verlag hatte die ersten beiden Teile seines Romanzyklus’ „Fünf Liter Zuika“ herausgebracht.

Nach ein paar Monaten erreichte die rumänischen Freunde ein 19-seitiger Brief von Paul Schuster (seine Briefe waren oft so lang). Darin stand, dass er erst jetzt zum wirklichen Marxisten gereift sei, dass man den Marxismus im Kapitalismus erst begreifen könne, und dass Rumänien mit diesem Marxismus nicht viel zu tun habe. 1971 war das, und man muss wohl sagen, dass er nicht ganz unrecht hatte.

Es lag Paul Schuster sehr am Herzen, Recht zu haben. So sehr, dass er es sich mit vielen Leuten schnell verdarb. Zum Beispiel mit den jungen Talenten, die er einst in Rumänien gefördert hatte, und die in den siebziger und achtziger Jahren ebenfalls nach Deutschland kamen. Paul Schuster, der hochtalentierte Erzähler, der kritische und doch heftig überzeugte Linke, der Mann, der Bescheid wusste in der Welt, war damals ihr Mentor und wollte es nun wieder sein: am liebsten Grandseigneur der rumäniendeutschen Literaten.

Die Nachgezogenen jedoch hatten längst eigene Wege eingeschlagen, literarisch und politisch. Den Mann aus der großen Stadt, der Mut macht und der sagt, wo es lang geht, den brauchten sie nicht mehr. Als sie eine Antologie neuer rumäniendeutscher Exilliteratur herausgaben, da sahen sie es gar nicht ein, Schusters Texte in der ihm angemessen erscheinenden Länge aufzunehmen. Er fand, es gehörten von ihm die längsten Geschichten dort herein.

Paul Schuster schrieb wieder einen seiner langen Briefe, kopierte ihn vielfach und schickte ihn an den bundesdeutschen Literaturbetrieb. Der sollte die Wahrheit erfahren über die undankbaren Kinder, die ahnungslosen, intriganten.

Doch der Literaturbetrieb interessierte sich nicht so sehr für ihn sondern vielmehr für die Kinder. Längst erwachsen, brachten sie ihre Bücher heraus und wurden interviewt, während Paul Schuster schrieb und schrieb, auch an Romanen – und keinen Roman mehr veröffentlichte.

War es, weil er sich verzettelte? Weil er an immer wichtigeren Projekten gleichzeitig werkelte? Lag es an seiner Art, dem Alles-oder-nichts, das jede Zusammenarbeit mit ihm zur Schwerstarbeit werden ließ? Jedenfalls, da sind sich auch die einig, die längst nicht mehr zu seinen Freunden zählen, konnte er wunderbar erzählen und auch schreiben.

Paul Schuster bewies das nicht nur in den Erzählungen und Essays, die er, da er mit keinem Verlag überein gekommen war, selbst herausgab, er zeigte sein Gespür fürs Geschriebene auch in den Schreibkursen, die er in Berlin und anderswo seit vielen Jahren leitete. Dass er der beste Schreiblehrer des Landes war, dessen war neben etlichen seiner Schüler auch er selbst sich sicher – und so verdarb er’s sich mit allen anderen Schreiblehrern, mit denen er zu tun bekam, und die es wagten einmal anderer Meinung zu sein als er.

Im vergangenen Jahr hat ein kleiner Verlag begonnen, die „Fünf Liter Zuika“ noch einmal herauszugeben, jenen großen Roman über seine ferne Heimat, den Paul Schuster in den sechziger Jahren angefangen hatte. Oh ja, er schreibe auch den letzten Teil noch, doch dazu brauche er mehr Geld – viel mehr Geld, als der kleine Verlag bezahlen konnte. Über diesem letzten großen Streit des Paul Schuster drohte die ganze Sache fast zu scheitern.

Ein paar Tage nach seinem Tod kam die Zusage einer Stiftung: Der Schriftsteller sollte ein Stipendium bekommen, um sein Werk endlich zu Ende zu bringen.

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