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Wirtschaft: Pflege auf Reserve

Die Koalition plant eine Reform der Versicherung – spätestens 2008 ist das Geld aufgebraucht

Berlin - Die Zeit wird knapp: Wenn die Pflegeversicherung nicht bald reformiert wird, kommt es zum Engpass bei den Geldern für ältere Menschen, die versorgt werden sollen. Spätestens 2008 werden die Mittel knapp, wenn zuvor nicht reformiert wird. Rund zwei Millionen pflegebedürftige Menschen gibt es in Deutschland, Tendenz steigend. Die Einnahmen reichen inzwischen nicht mehr aus, um die Ausgaben zu decken. Nur die Reserven, die zum Start der Pflegeversicherung angelegt worden waren, sichern die Leistung derzeit noch.

Die Koalitionspartner SPD und Union haben das Problem erkannt – sie wollen in diesem Jahr eine Reform der Pflegeversicherung auf den Weg bringen. Die Details müssen aber noch ausgearbeitet werden. Einig sind sie sich darin, den Zweig der deutschen Sozialversicherung zu erhalten, aber durch eine Demografiereserve zu ergänzen. „Die Pflegeversicherung bleibt als zentraler Baustein der Sozialversicherung erhalten“, sagte die SPD-Pflegeexpertin Carola Reimann dem Tagesspiegel am Sonntag.

Eines der Finanzierungsprobleme ist die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland – deshalb fließen die Beitragseinnahmen nicht wie gewünscht. Weil gleichzeitig die Ausgaben steigen, macht die Pflegeversicherung Defizite. Im Jahr 2005 lag das Minus nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums zwischen 300 und 400 Millionen Euro – und das, obwohl seit Jahresanfang Kinderlose einen zusätzlichen Beitrag von 0,25 Prozentpunkten zahlen.

Wie die Qualität der Pflegeversicherung verbessert werden soll, darüber haben die Koalitionspartner konkrete Vorstellungen: Die SPD-Politikerin Reimann kündigte an, dass die Pflegeleistungen künftig „mindestens an die Inflation“ angepasst werden sollen, um einer schleichenden Entwertung entgegenzuwirken. Außerdem soll es laut Reimann Verbesserungen für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz geben – etwa für Demenzkranke. Diese Personengruppe fällt nach den derzeitigen Regelungen durch das Raster, weil zu wenig Zeit für deren Unterstützung im Alltag vorgesehen ist.

Auch für die Finanzierung der Pflegeversicherung zeichnen sich Eckpunkte ab. Zum einen sollen „kapitalgedeckte Elemente“ für eine Demografiereserve eingeführt werden – in welchem Umfang, ist allerdings noch unklar. Zum anderen soll die gesetzliche Pflegeversicherung über einen Finanzausgleich zusätzliche Gelder von der privaten Pflegeversicherung erhalten. Der SPD-Sozialexperte Karl Lauterbach bezeichnete die Beteiligung der Privaten als gerecht: „In der gesetzlichen Pflegeversicherung zahlen Gutverdiener für Schlechtverdiener, mit Ausnahme der Privatversicherten.“

Lauterbach regt an, die private Pflegeversicherung solle rund drei Milliarden Euro zahlen. Diese Summe komme zustande, wenn man für die private Assekuranz einen Beitragssatz von 1,7 Prozent annehme – und die darüber hinausgehenden Einnahmen der Solidarversicherung zukommen lasse. Der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen warnt allerdings davor, für einen solchen Finanzausgleich die Ersparnisse der Privatversicherten anzugreifen. In der privaten Pflegeversicherung haben sich Rückstellungen in Milliardenhöhe angesammelt.

Der Mannheimer Ökonom Axel Börsch-Supan plädiert wegen der Generationengerechtigkeit dafür, das bisherige Solidarsystem in der Pflegeversicherung durch ein kapitalgedecktes Verfahren zu ersetzen. Da der Aufbau des Kapitalstocks einige Zeit dauere, müsse man früh damit anfangen, sagt der Leiter des Mannheimer Forschungsinstituts für Ökonomie und demografischen Wandel. Allerdings hält Börsch-Supan nichts von Schwarzmalerei. Ob das System tatsächlich auf den finanziellen Kollaps zusteuert, wie Raffelhüschen befürchtet, hält der Mannheimer Ökonom nicht für erwiesen. Zwar werde es in Deutschland immer mehr alte Menschen geben, räumte Börsch-Supan ein, andererseits sinke die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden, und die Verweildauer in den Pflegeheimen werde kürzer.

Raffelhüschen warnt davor, neue Leistungen in die Pflegeversicherung aufzunehmen. Sollte die Regierung die Pflege für altersdemente Menschen in der Pflegeversicherung verbessern und das schon zum 1. Januar 2007 umsetzen, sei das Geld schnell weg, sagt der Finanzwissenschaftler. „Spätestens im Sommer bekommen wir dann ein echtes Problem“, warnte Raffelhüschen. „Wenn eine Versicherung schon die bisherigen Leistungen nicht mehr zahlen kann, kann man ihr nicht neue Leistungen aufbürden.“

Einen ersten Schritt hat die Koalition unternommen: Die Kosten für Pflegekräfte in Privathaushalten sollen rückwirkend zum 1. Januar stärker von der Steuer absetzbar sein. Aufwendungen bis zu 6000 Euro im Jahr sollen mit einem Steuerabzug von 1200 Euro gefördert werden.

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