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Teures Heim: Die gesetzliche Pflegeversicherung reicht nicht, um einen Platz zu bezahlen.

© dapd

Pflege: „Gigantische Verschwendung“

Die Regierung will die private Pflegevorsorge fördern. Doch weder Verbraucherschützer noch die Versicherer sind vom geplanten "Pflege-Bahr" begeistert.

Die Kritik kommt von allen Seiten. An den Plänen von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), die private Pflegevorsorge künftig mit einem staatlichen Zuschuss zu unterstützen, lässt kaum jemand ein gutes Haar. Selbst die Versicherungswirtschaft, die sich auf viele neue Verträge freuen kann, ist unzufrieden. Weil die Koalition nur Verträge bezuschussen will, die auf eine Gesundheitsprüfung der Bewerber verzichten, würden die neuen Tarife „zwangsläufig teurer“ als die Angebote, die derzeit schon auf dem Markt sind, warnt der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV). Bei der Allianz spricht man freundlich von einer „Herausforderung“, die neuen Tarife zu kalkulieren.

Verbraucherschützer wie der Chef des Bundes der Versicherten, Axel Kleinlein, geißeln die „gigantische Verschwendung von Steuergeldern“ und warnen vor einem „versicherungsmathematischen Super-Gau“. Gesunde würden weiterhin die günstigeren, bereits heute erhältlichen Angebote abschließen, meint der Versicherungsmathematiker. Dagegen würden Kranke und Menschen mit hohem Pflegerisiko auf den „Pflege-Bahr“ ausweichen. Konsequenz: Die Versicherer müssten zusätzliche Risikozuschläge in die Prämien einkalkulieren, die Policen für die geförderten Versicherungen würden deutlich teuer als die herkömmlichen Angebote.

Und die sind gefragt – auch ohne Förderung. Rund 1,9 Millionen Menschen haben bereits eine private Pflegezusatzversicherung, davon haben sich knapp 1,7 Millionen für eine Tagegeldversicherung entschieden. Das ist die Variante, die der Staat künftig finanziell belohnen will. Das Geschäft läuft gut, heißt es in der Branche. So hat die Allianz in den ersten fünf Monaten des Jahres fast 300 Prozent mehr Policen ihrer Pflegetagegeldversicherung verkauft als 2010.

Das Problem: Wer bereits einen Vertrag hat, kann nur in Ausnahmefällen darauf hoffen, für diesen die neue staatliche Förderung zu bekommen. „Die meisten Verträge erfüllen die Förderbedingungen nicht“, räumt ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums ein. Dennoch sollten vor allem junge und gesunde Versicherte ihre laufenden Verträge nicht kündigen, um – mit Blick auf den staatlichen Zuschuss – in die neuen Fördertarife zu wechseln. „Es wird ungünstiger“, heißt es beim PKV-Verband.

Mit den Zusatzversicherungen wollen die Menschen die Lücke schließen, die im Pflegefall droht. Die gesetzliche Pflegeversicherung deckt das finanzielle Risiko nämlich nur zum Teil ab. 1550 Euro im Monat zahlen die Kassen für einen Heimplatz bei Pflegestufe 3, für die häusliche Pflege und für niedrigere Pflegestufen gibt es noch weniger. Doch selbst die 1500 Euro reichen nicht aus. Ein guter Heimplatz ist unter 3000 Euro im Monat kaum zu finden.

Das Problem wächst: 2,4 Millionen Menschen erhalten derzeit Leistungen aus der Pflegeversicherung, Experten erwarten, dass die Zahl bis 2020 auf 3,4 Millionen steigt. Deshalb will die Regierung die private Vorsorge ausbauen. 100 Millionen Euro sind im Bundeshaushalt pro Jahr eingeplant, das reicht für knapp 1,7 Millionen neue Verträge.

Nach Meinung der Kassen ist das jedoch der falsche Weg. „Wichtig wäre eine Stärkung der sozialen Pflegeversicherung und ein ergänzendes Angebot aus einer Hand“, sagte Jürgen Graalmann, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, dem Tagesspiegel. „Es wird eine Chance vertan“. Zwar sei es grundsätzlich richtig, Anreize für mehr Eigenvorsorge bei der Absicherung des Pflegerisikos zu setzen, räumt Graalmann ein. „Es wird mit dieser Förderung aber nicht gelingen, privatwirtschaftliche Versicherungsmathematik und sozialpolitischen Anspruch zu verknüpfen“, kritisierte der AOK-Verbandschef. „Ich fürchte, dass die Prämien für eine freiwillige private Pflegezusatzversicherung gegenüber heute deutlich teurer werden“, schließt sich Graalmann der Kritik aus der Versicherungsbranche an.

Auch Verbraucherschützer halten die Förderung von Privatverträgen für die falsche Strategie. „Weil das Pflege-Risiko nicht kalkulierbar ist, muss es solidarisch abgesichert werden“, fordert der Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (VZBV), Gerd Billen. „Im Zentrum aller Anstrengungen sollte die Stärkung der gesetzlichen Pflegeversicherung stehen“, sagte Billen dem Tagesspiegel. Der Verbraucherschützer fürchtet, dass der „Pflege-Bahr“ eine Karriere wie die Riester-Rente nehmen könnte. „Die geplante staatliche Förderung darf kein Selbstbedienungsgeschäft für die Versicherungsbranche werden“, warnt Billen vor hohen Abschlusskosten und niedrigen Renditen für die Versicherten. „Die Regierung darf die Fehler bei der Riester-Förderung nicht wiederholen.“

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