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Die Arbeitsbedingungen, unter denen Kleidung für Hugo Boss hergestellt wird, wird als "besonders kritisch" eingestuft.

© dpa/picture alliance

Prekäre Arbeitsbedingungen: Luxusmarken sind nicht fairer als Primark

Billigketten wie Primark lassen Kleidung unter fragwürdigen Bedingungen fertigen. Aber sind die Luxuskonzerne besser? Im Gegenteil, sagen Kritiker - und beschuldigen Hugo Boss und Co.

Von Carla Neuhaus

Ein T-Shirt für 2,50 Euro, die Jeans für neun Euro. Es sind vor allem die niedrigen Preise, die Kunden in die Filialen der Billigkette Primark locken. Diese Woche hat der Konzern aus Irland einen weiteren Laden in Berlin eröffnet. Während drinnen die Primark-Chefin den irischen Ministerpräsidenten empfing, appellierten auf dem Alexanderplatz Demonstranten an das Gewissen der Konsumenten. „Mörderpreise“ stand zum Beispiel auf ihren Transparenten. Doch hängt es wirklich rein vom Preis ab, ob ein T-Shirt unter fairen oder menschenunwürdigen Bedingungen gefertigt wird?

Glaubt man Aktivisten, die seit Jahren die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie untersuchen, sind die Billigketten längst nicht mehr die größten Übeltäter der Branche. Abgelöst haben sie die Luxuskonzerne – also ausgerechnet diejenigen, die ihre Kleidung zu besonders hohen Preisen verkaufen. Untersuchungen von Initiativen wie „Rank a brand“ oder der „Kampagne für saubere Kleidung“ zeigen, dass die Produktionsbedingungen, unter denen Konzerne ihre Premiummarken fertigen lassen, mindestens ebenso schlimm sind wie die der Billigketten.

„Der Preis eines T-Shirts sagt rein gar nichts über die Produktionsbedingungen aus“, sagt Mario Dziamski von Rank a brand. Einmal im Jahr untersuchen er und seine Kollegen, wie stark sich Textilfirmen für Nachhaltigkeit und menschenwürdige Arbeitsbedingungen einsetzen. Sie überprüfen, ob die Konzerne Kinder- und Zwangsarbeit verbieten. Ob sie einen Existenzlohn zahlen, der zum Leben reicht. Oder ob die Arbeiter sich in Gewerkschaften organisieren können. Luxuskonzerne schnitten bei der letzten Untersuchung besonders schlecht ab. Prada, Escada, Versace, Armani, Hermès, Marc Jacobs und Louis Vuitton: Sie alle stuft Rank a brand als „nicht empfehlenswert“ ein.

Takko und Orsay "bedingt empfehlenswert"

Billigketten wie Primark, Takko oder Orsay hält die Kampagne dagegen immerhin für „bedingt empfehlenswert“. Der Grund: Sie informierten besser über ihr Engagement und seien – anders als viele Luxuskonzerne – Mitglied von Initiativen wie der Ethical Trading Organisation oder der Fair Wear Foundation. Das heißt, sie arbeiten mit Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zusammen und lassen die Arbeitsbedingungen von Dritten überprüfen.

Zudem haben die Billiganbieter mittlerweile gelernt, mit Krisen umzugehen. Als Primark-Kunden kürzlich eingenähte Hilferufe in ihrer Kleidung fanden, war die Aufregung groß. Doch der Konzern reagierte prompt und kündigte Untersuchungen an – und das, obwohl er selbst davon ausging, dass die Hilferufe gar nicht echt sind.

„Luxuskonzerne verhalten sich im Vergleich zu günstigeren Verbrauchermarken viel defensiver und intransparenter“, sagt Dziamski. Das zeigt zum Beispiel ihr Verhalten vor gut vier Jahren. Damals hatten mehrere Nichtregierungsorganisationen aufgedeckt, dass Arbeiter an Silikose (Staublunge) erkrankten, weil sie Jeans mit Sandstrahlen bearbeiteten. „Die Luxusmarken waren damals besonders ignorant und uneinsichtig“, sagt Bettina Musiolek von der Kampagne für saubere Kleidung. Viel später als andere hätten die Luxuskonzerne auf die Anschuldigungen reagiert und sich bereit erklärt, künftig auf das Sandstrahlen zu verzichten. „Dabei müssten sie doch eigentlich die Ersten sein, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen und mit gutem Beispiel vorangehen“, meint Musiolek.

Näherinnen in der Türkei und Osteuropa werden mindestens genauso ausgebeutet

Während Billigketten ihre Kleidung vor allem in Asien fertigen lassen, wird Luxusmode oft in der Türkei oder in Osteuropa, zum Beispiel in Bulgarien, Rumänien oder Kroatien, genäht. Die Konzerne werben mit dem Label „Made in Europe“. Das sieht seriöser aus als „Made in Bangladesh“. Doch auch wenn ein Konzern in Osteuropa oder der Türkei fertigen lässt, ist das keine Garantie für würdige Arbeitsbedingungen. Im Gegenteil, heißt es bei der Kampagne für saubere Kleidung. Sie hat 300 Näherinnen in Osteuropa und der Türkei befragt. Dort, so das Ergebnis, sei die Kluft zwischen ausgezahlten und existenzsichernden Löhnen „teilweise noch größer als in asiatischen Produktionsländern“. Und die Regierungen vor Ort könnten dagegen wenig tun. Denn: „Die Unternehmen drohen damit, die Produktion in ein anderes Land zu verlagern, sollten die Löhne steigen“, sagt Musiolek.

Harte Vorwürfe gegen Hugo Boss

Für besonders kritisch hält die Kampagne die Arbeitsbedingungen bei Hugo Boss. Die Aktivisten haben mit 84 Arbeiterinnen gesprochen, die für den Konzern in Kroatien und der Türkei Kleidung fertigen. Nicht nur sollen die Löhne weit unter dem Existenzlohn liegen. Arbeiterinnen berichteten gegenüber den Aktivisten auch von „sexueller Belästigung, Anschreien und Einschüchterung“. Näherinnen sollen zudem erzählt haben, sie hätten unterschreiben müssen, dass sie in den kommenden fünf Jahren nicht schwanger werden dürften. „Eine der befragten Arbeiterinnen sagte, dass eine ihrer Kolleginnen eine Abtreibung vornahm, weil sie befürchtete, ihren Job wegen dieser Vertragsverletzung zu verlieren“, heißt es in der Studie. Auch sollen Näherinnen bestochen oder erpresst worden sein, damit sie aus der Gewerkschaft austreten. Und es würden immer wieder Stellen in neue Schwesterunternehmen ausgelagert.

Der Konzern weist die Anschuldigungen zurück: „Nach unseren umfangreichen Informationen können wir keinen dieser Vorwürfe mit einem unserer Partner in Verbindung bringen“, sagte eine Sprecherin auf Tagesspiegel-Anfrage. Hugo Boss kooperiere mit 240 Produktionspartnern, „mit denen wir eine langjährige und vertrauensvolle Zusammenarbeit pflegen“. Alle Betriebe seien ihnen bekannt. Und: „Unsere Sozialstandards sind fester Bestandteil einer jeden Lieferantenbeziehung.“ Ein Team von 130 Mitarbeitern sorge dafür, dass vor Ort alle Standards eingehalten würden. Zudem zahlten die Zulieferer den „ortsüblichen  Mindestlohn“.

Hersteller kennen ihre eigenen Fabriken nicht

Nichtregierungsorganisationen bemängeln dagegen, dass Textilhersteller den Überblick über ihre Lieferkette verloren hätten. Sie arbeiteten mit vorzeigbaren Lieferanten, die Aufträge dann an Subunternehmer weitergeben. Manche Hersteller sollen auch Agenten beauftragen, für sie besonders günstige Produzenten ausfindig zu machen.

Die Politik hat das Problem erkannt. „Wir brauchen eine Bewusstseinsänderung im Textilbereich“, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) dem Tagesspiegel. Für die Kunden müsse klar erkennbar sein, ob bei der Herstellung eines Kleidungsstücks soziale und ökologische Mindeststandards eingehalten wurden. Bereits zum zweiten Mal hat Müller sich deshalb kürzlich mit über 70 Vertretern von Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft getroffen. Im Gespräch ist unter anderem ein Siegel für die deutsche Textilindustrie. Bis Juli sollen Arbeitsgruppen Eckpunkte für ein Textil-Bündnis erarbeiten.

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