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Wirtschaft: Protest auf IG-Farben-Hauptversammlung angekündigt

FRANKFURT (MAIN) (ro).Der von den beiden Liquidatoren der IG Farben in Abwicklung angekündigte Kurswechsel beeindruckt die ehemaligen Zwangsarbeiter und die kritischen Aktionäre nicht.

FRANKFURT (MAIN) (ro).Der von den beiden Liquidatoren der IG Farben in Abwicklung angekündigte Kurswechsel beeindruckt die ehemaligen Zwangsarbeiter und die kritischen Aktionäre nicht.Sie halten die Hinweise auf die Gründung einer Stiftung, auf die Beschleunigung der seit über 50 Jahre andauernden Abwicklung des Unternehmens und auf einen Neuanfang für pure Taktik."Die Gesellschaft soll bestehen bleiben, es gibt keine Hinweise, daß die Entschädigungsinitiative ernst gemeint ist", sagt der 83jährige Peter Gingold, der fast alle Verwandten in Auschwitz verloren hat.Deswegen werden er und 100 weitere Überlebende des Holocaust und kritische Aktionäre die Hauptversammlung der IG Farben am Donnerstag in Frankfurt (Main) wie seit 12 Jahren wieder massiv zu stören versuchen.Und sie werden eine konkrete Forderung auf den Tisch legen: Die Gründung einer Stiftung spätestens zum 1.Januar 2000.Dort soll das gesamte Vermögen der IG Farben eingebracht werden, "um alle Opfer der IG Farben oder deren Hinterbliebene schnellstmöglich und in größtmöglichem Umfang zu entschädigen".

Damit steht fest, daß die Hauptversammlung am Donnerstag genauso turbulent verlaufen wird wie in den vergangenen Jahren.Ende Februar hatten die neuen Liquidatoren der IG Farben, Volker Pollehn und der CDU- Bundestagsabgeordnete Otto Bernhardt, angekündigt, das Unternehmen in etwa vier Jahren aufzulösen und dann einen Großteil des Vermögens ehemaligen Zwangsarbeitern zukommen zu lassen.Dabei setzen die beiden Manager, die nach dem überraschenden Ausscheiden des IG Farben-Großaktionärs Minninger an die Spitze der Gesellschaft gerückt sind, auch auf die Rückerstattung von ehemaligem IG Farben-Vermögen in der Schweiz, das jetzt angeblich in den Händen der Schweizer Großbank UBS liegen soll.Dabei soll es um immerhin 4,4 Mrd.DM gehen.

Auf der Hauptversammlung wollen sich die beiden Liquidatoren von den Aktionären den Auftrag zur "Vorbereitung der Gründung einer Stiftung zum Zwecke der Entschädigung von Opfern von I.G.Farben, der Aufarbeitung der Geschichte der IG Farben sowie ähnlicher Aktivitäten" absegnen lassen.Ehemalige Zwangsarbeiter und kritische Aktionäre vermuten hinter dem Antrag nur Taktik.Der Verweis auf das angebliche Vermögen in der Schweiz solle nur ablenken.Der Versuch, dieses Geld zurückzukommen, sei vor 16 Jahren schon einmal fehlgeschlagen, sagt Gingold.Allerdings sind sich die Kritiker nicht ganz einig: Natürlich müßte den Ansprüchen nachgegangen werden, damit das Geld an die Opfer weitergeleitet werden könne, betont Hans Frankenthal, der 22 Monate lang in Auschwitz Zwangsarbeit leisten mußte und heute im Vorstand des Auschwitz-Komitees sitzt.

Der IG Farben werfen die Kritiker vor, solange mit der Durchführung der HV gewartet zu haben, bis die Entschädigung der Überlebenden der NS-Zwangsarbeit im Sinne der deutschen Firmen geregelt sei."Aber jener Entschädigungsfonds entlastet nur die Unternehmen und schafft für die Überlebenden nur neues Unrecht", sagt Gingold.IG Farben hat sich bislang allerdings nicht an diesem Fonds beteiligt.Drei ehemalige Zwangsarbeiter haben das Unternehmen jetzt auf Entschädigung verklagt, nachdem sie wie viele andere Zwangsarbeiter in den 60iger Jahren von IG Farben mit Summen von 2500 DM oder maximal 5000 DM bedacht worden waren.Weitere Klagen sollen folgen.

Damit scheint die Auflösung des Unternehmens nicht in Sicht.Die Gesellschaft war 1952 von den Alliierten gegründet worden und sollte Entschädigungen und Ansprüche des ehemaligen Chemiegiganten möglichst schnell abwickeln.Rund 30 Mill.DM zahlte das Unternehmen an einen Teil der ehemaligen 350 000 Zwangsarbeiter.Ein Großteil der Opfer, vor allem in Osteuropa, hat nie einen Pfennig Geld gesehen.Der Chemiekonzern beschäftigte im Krieg nicht nur Zwangsarbeiter, er lieferte auch das Vernichtungsgas Zyklon B.

Statt es aufzulösen, haben die Liquidatoren das Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten ausgebaut, nach der Wiedervereinigung - allerdings ohne Erfolg - auf ehemalige Grundstücke in der ehemaligen DDR geschielt und das vorhandene Kapital gleichzeitig ins Immobiliengeschäft gesteckt.Heute besitzt die IG Farben über eine Tochter rund 500 Wohnungen.Der Anteilsschein der IG Farben wird immer noch an der Börse notiert.

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