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Mehr als ein Transport von A nach B. Nachtzugfahrten haben Literaten und Regisseure inspiriert, aber die Deutsche Bahn muss rechnen. 2015 fuhr das City-Night-Line-Geschäft ein Minus von 31 Millionen Euro ein.

© picture alliance / dpa

Protest gegen Pläne der Deutschen Bahn: Der Nachtzug soll bleiben

Aus für den Nachtzug: Die Deutsche Bahn streicht ihr Angebot Ende des Jahres, weil es sich nicht mehr rechnet. Doch die Liegewagen haben eine lange Tradition und prominente Fans.

Man kann Billy Wilder bemühen oder Alfred Hitchcock, Agatha Christie oder Pascal Mercier, um zu belegen, dass eine Fahrt mit dem Nachtzug mehr ist, als von A nach B zu reisen. Oder man kann rechnen wie die Deutsche Bahn: 2015 hat das Geschäft mit den Liegewagen bei einem Umsatz von rund 90 Millionen Euro einen Verlust von 31 Millionen Euro eingefahren. Die letzte Verbindung wird deshalb im Dezember angeboten – danach ist Schluss. „City Night Line: Reisen Sie im Schlaf“, so wird der Schienenkonzern nicht mehr werben. Schon jetzt kann man viele Strecken nicht mehr buchen. Das „Nischengeschäft“, wie der Konzernvorstand sagt, ist mit den teils 40 Jahre alten Nachtzugwaggons immer unprofitabler geworden.

„Glauben Sie den Damen und Herren kein Wort“, sagt Joachim Holstein. „Das Defizit hat sich nicht vergrößert, es wurde vergrößert.“ Holstein ist Sprecher des Wirtschaftsausschusses der Bahntochter DB European Railservice, die für Betrieb und Service in den Nachtzügen verantwortlich ist. Er wirft dem Management vor, das Geschäft bewusst unprofitabel gerechnet zu haben. Statt der offiziellen Zahl von 1,4 Millionen Fahrgästen seien es zuletzt 2,6 Millionen gewesen, wenn man die den Nachtzugteilen angehängten herkömmlichen Wagen hinzurechne. „Auf der Schiene sind die Nachtzüge profitabel“, behauptet Holstein, „das Defizit entsteht im Bahn-Tower.“

Online-Petition sammelt 29.000 Gegenstimmen

Die Kritik stößt auf breite Unterstützung bei Bahn-Freunden. Am Dienstag übergab Holstein eine Online-Petition für den Erhalt der Auto- und Nachtzüge an den Verkehrsausschuss des Bundestags. Fast 29 000 Stimmen kamen zusammen. Die Petition ist Teil einer Kampagne gegen die Pläne der Bahn, die eine Allianz aus Verkehrsexperten organisiert. Am Dienstag präsentierte das „Bündnis Bahn für alle“ in Berlin die Vision eines neuen, europaweiten Nachtzug-Systems. „LunaLiner“ setzt auf die Kooperation der großen Bahn-Betreiber in Europa und dürfte in dieser Form wohl niemals Realität werden. Den Initiatoren geht es vielmehr darum zu zeigen, dass die Infrastruktur und die Nachfrage vorhanden wären, um ein Netz von Nachtzugverbindungen in Europa aufzuspannen – mit einer theoretischen Kapazität von 10 000 bis 12 000 Fahrgästen pro Nacht, wie Dieter Doege, Landesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn Berlin/Brandenburg , sagte.

Michael Cramer, Europa-Parlamentarier der Grünen und Vorsitzender des Verkehrsausschusses, hält ein solches Angebot klimapolitisch für notwendig. „Eine europäische Verkehrswende ist überfällig, und die Nachtzüge sind dabei unverzichtbar“, sagte er. Ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen komme aus dem Verkehr. Er sei der einzige Sektor, in dem die Emissionen zuletzt gestiegen seien – um 22 Prozent – während die Emissionen aus der Industrie um 38 Prozent gesunken seien. Cramer verwies auf den „unfairen Wettbewerb“, in dem die Bahn im Vergleich zur Straße oder zum Luftverkehr stehe. Letztere würden in der Steuer- und Abgabenpolitik bevorzugt. Mit der Reduzierung ihres Angebots „rollt die Bahn den roten Teppich für ihre schlimmsten wettbewerber aus“, sagte Cramer.

GDL-Chef Weselsky: Bahn kann nicht machen, was sie will

Scharf ging Claus Weselsky, Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL, nicht nur mit der Bahn, sondern auch mit der Politik ins Gericht. „Man muss sich darauf besinnen, dass die Bahn Eigentum des Bundes ist“, sagte er. Das Bahn-Management könne nicht „machen, was es will“. Die Bundestagsabgeordneten stünden nun in der Pflicht, die Interessen des Gemeinwohls zu vertreten. Der amtierende Bahn-Vorstand habe die Aufgabe, „Fehlentscheidungen zu korrigieren“, die von Managern getroffen wurden, die gar nicht mehr im Amt seien. „Nachtzüge sind ein Politikum, keine innerbetriebliche Angelegenheit der Bahn“, pflichtete Sabine Leidig Weselsky bei. Die verkehrspolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion forderte den Verkehrsausschuss auf, die Stilllegungspläne der Bahn zu verhindern.

Sollte dies nicht gelingen, haben – Gerüchten zufolge – die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) Interesse daran, Teile des Bahn-Angebots zu übernehmen. In den nächsten Wochen will sich die ÖBB dazu äußern. Schon heute bedient die ÖBB Nachtzug-Strecken in Deutschland – etwa von Wien nach Berlin oder München. Nach Angaben von Winfried Wolf, Chefredakteur des Kampagnenmagazins „LunaPark21“, macht das Nachtzuggeschäft rund 15 Prozent des Umsatzes im ÖBB-Fernverkehr aus. Die Österreicher wollten zudem 30 Millionen Euro in das Geschäftsfeld investieren. Die Expansion wurde noch von Christian Kern beschlossen, der kürzlich zum österreichischen Bundeskanzler gewählt wurde.

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