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Brandenburger Idylle. Seit den 1970er Jahren existiert der Senftenberger See. Zuvor wurde dort Braunkohle abgebaggert.

© picture alliance / dpa

Tagebau in der Lausitz: Raus aus der Kohle, rein ins Wasser

Eine Landschaft im Wandel: Mehr als 100 Jahre hat Braunkohle die Lausitz geprägt. Das ist bald vorbei. Eine Reportage.

Wann kommt endlich das Wasser? Hoteldirektor Gerold Schellstede hat sein Haus Seehotel genannt, aber der See ist nicht da. Seit 2007 wird der ehemalige Tagebau Großräschen geflutet, und ein paar Jahre wird es noch dauern, bis das Loch voll ist. Das Gewässer ist verbunden mit dem Sedlitzer See, der Wasser verliert, weshalb sich auch der Großräschener See langsamer füllt als geplant. Ärgerlich für Schellstede, dessen Vier-Sterne-Haus ein paar Meter neben dem neuen Hafen steht. Dieser nimmt Gestalt an – auf dem Trockenen. Pfeiler für Bootsstege stecken im Sand. Ein bizarres Bild in der geschundenen Lausitzer Landschaft.

Schellstede hat Millionen in das Hotel mit 123 Betten investiert und müsste eigentlich verzweifeln. Doch der Lausitzring, ein paar Kilometer weiter, hilft über die Zeit: Auf der Rennstrecke testen Autohersteller und die Dekra Fahrzeuge. Und sie quartieren ihre Teams bei Schellstede ein. Das denkmalgeschützte Gebäude des Seehotels hat die Ilse-Bergbau-Aktiengesellschaft vor bald 100 Jahren für ihre ledigen Ingenieure gebaut. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier Braunkohle gefördert – bis 1995. Dann kam Schellstedes Zeit.

Der Niedersachse war mit einem Möbelhaus in Oldenburg zu einem wohlhabenden Mann geworden. Dann, so erzählt der heute 75-jährige Unternehmer, rief die ebenfalls aus Niedersachsen stammenden Treuhandpräsidentin Birgit Breuel an. „Du musst als Aufbauhelfer kommen.“ Schellstede baute ein Möbelhaus in Großräschen und entdeckte schließlich die Ruine des Ledigenheims. Heute versorgen 37 Mitarbeiter an 364 Tagen im Jahr die Gäste. Nur Heiligabend ist das Hotel geschlossen.

Die Menschen wollen wissen, wie es weitergeht

„Die Lausitz – eine Region im Wandel“, unter dieses Motto stellte Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) kürzlich eine Tour nach Welzow, Großräschen und Senftenberg. Im Augenblick ist er oft in der Gegend, weil „die Leute verunsichert sind“, wie er sagt. Es geht um die Kohle. Vattenfall will die Braunkohleaktivitäten verkaufen, und wegen der hohen CO2-Emissionen bei der Verstromung sind die Jahre der Kohle sowieso gezählt. Doch nur mit der Braunkohle als Brückentechnologie könne die Energiewende gelingen, betont Gerber bei jeder Gelegenheit. Aber wie lange gilt das noch?

Vor 25 Jahren förderten in der Lausitz 17 Tagebaue 200 Millionen Tonnen Braunkohle. Im vergangenen Jahr waren es noch 62 Millionen Tonnen aus fünf Tagebauen, die in vier Kraftwerken Strom für etwa 16 Millionen Haushalte produzierten. 1990 arbeiteten rund 80000 Personen in der Lausitzer Kohle, heute sind es 8000. „Ich bin überzeugt, dass die Lausitz noch lange mit und für die Kohle leben wird“, sagt der Potsdamer Minister. In der DDR stammten 88 Prozent des Stroms aus der Kohle, heute erzeugt allein Brandenburg fast zwei Drittel seines Strombedarfs mit Wind und Sonne.

Brandenburg - Land der 3000 Seen

Blick auf das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde. Vattenfall will sich aus dem Geschäft mit der Braunkohle zurückziehen.

© dpa

Kathrin Winkler hat Bergbau studiert und im Tagebau gearbeitet. Jetzt ist sie Geschäftführerin des Tourismusverbandes Lausitzer Seenlands und spricht viel vom Wasser. Rund 3000 Seen gibt es im Land Brandenburg, und dazu gehört die größte künstliche Wasserlandschaft Europas in der Lausitz. Zehn Seen sind hier inzwischen „touristisch nutzbar“, wie Winkler sagt, also für Wassersport und zum Baden geeignet. Ein Dutzend Gewässer befindet sich „in der Flutung“, in ein paar Jahren sollen zehn Seen über Kanäle miteinander verbunden und schiffbar werden.

Mit dem Baden dauert es etwas länger. Denn wenn der Tagebau vollgelaufen ist, macht Schwefel das Wasser sauer. Es bedarf der Kalkung und einiger Jahre, bis das Wasser so sauber ist, dass auch Fische überleben. Wie im Senftenberger See, der seit 1973 genutzt wird.

1000 Arbeitsplätze sind entstanden

Von Dresden oder Prag dauert es höchstens zwei Autostunden bis nach Senftenberg. Jetzt, in der Hochsaison, sind alle Unterkünfte ausgebucht. Und es kommen zunehmend Besucher aus Tschechien. Auch in den Familienpark, der in den 1970er Jahren zeitgleich mit dem See in einem Waldgrundstück am Ufer entstand.

Bürgermeister Andreas Fredrich ist stolz auf sein Städtchen und auf den Mittelstandspreis „Wirtschaftsfreundlichste Kommune Ostdeutschlands“, den Senftenberg im vergangenen Jahr bekam. Im Ort hängen Schilder an Straßenlaternen mit der Telefonnummer der Wirtschaftsförderung und dem Hinweis „Tag und Nacht erreichbar“. Die Arbeitslosenquote fiel seit der Wende von fast 30 auf zwölf Prozent, in den letzten fünf Jahren sind Fredrich zufolge mehr als 1000 Arbeitsplätze entstanden – vor allem im Tourismus. Aus mancher Scheune wurde eine Ferienunterkunft.

Der 18 Kilometer lange Radweg rund um den See sowie der 13 Millionen Euro teure Stadthafen wären ohne öffentliche Mittel nicht gebaut worden. Manches Projekt entstand zwischen 2000 und 2010 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA). Dazu gehört auch die Energieroute zu Tagebauen, Kraftwerken und der Fabrik Louise, in der Briketts gepresst werden wie noch 1882.

Was wird aus den 600 Azubis?

„Man sieht, wie die Erde aufgeschnitten wird.“ Barbara Wittig begleitet die Gäste durch den Tagebau Welzow Süd. Mit Geländewagen geht es zur Grube, vorbei an kilometerlangen Förderbändern durch eine Landschaft aus Kippen und Halden. „Die Erde sieht aus wie ein Marmorkuchen“, sagt Wittig. In etwa 60 Meter Tiefe wird die 17 Millionen Jahre alte Braunkohle abgebaggert und über Förderbänder und mit der Bahn die wenigen Kilometer bis zum Kraftwerk Schwarze Pumpe transportiert. Das seit Ende der 1990er Jahre laufende Kraftwerk verbrennt am Tag mehr als 30.000 Tonnen Kohle; ein Kilogramm bringt ungefähr eine Kilowattstunde.

Die Kohle im Tagebau Welzow Süd reicht noch gut zehn Jahre, ein weiteres Feld ist erschlossen und könnte danach abgeräumt werden – voraussichtlich bis 2048. Aber wird die Braunkohle so lange gebraucht? Oder gibt es in ein paar Jahren ausreichend Speicher für den Strom aus Sonne, Wind und Biomasse? Unter den aktuell 8000 Beschäftigten in der Lausitzer Kohle sind immerhin mehr als 600 Azubis, die alle möglichen Berufe lernen. Im Tourismus werden die nicht alle Arbeit finden, wenn es vorbei ist mit der Kohle.

Vattenfall muss für Renaturierung zahlen

Ende dieses Jahres wird im Tagebau Cottbus Nord die letzte Braunkohle gefördert. Vor 35 Jahren ging es los, jetzt sind die Flöze erschöpft. In den kommenden zehn Jahren entsteht mithilfe der Spree ein Binnengewässer, das mit rund 1900 Hektar Wasserfläche zum größten Brandenburger See „avanciert“, wie Vattenfall die Entwicklung „ Cottbusser Ostsee“ beschreibt. „Wir nutzen die Chancen, die uns das Wasser bietet“, sagt Wirtschaftsminister Gerber und meint neue Arbeitsplätze neben und nach dem Tagebau.

Braunkohle ist profitabel, weil sie sich relativ leicht fördern und verbrennen lässt. Doch danach wird es teuer. Die Rekultivierung, Aufforstung oder Flutung braucht Zeit und Geld. Mitte der 1990er Jahre wurde von der Treuhand die Sanierungsgesellschaft LMBV gegründet, um die Folgen des DDR-Bergbaus abzuwickeln. Die Sanierungsaufgaben werden vorwiegend von Bund und Ländern sowie der Bundesanstalt für Arbeit finanziert. Bis Ende vergangenen Jahres waren das rund 9,8 Milliarden Euro für die Grundsanierung. Bis 2017 stehen weitere 1,23 Milliarden Euro zur Verfügung. Für die von Vattenfall zu verantwortenden Tagebaue bildet der schwedische Staatskonzern Rückstellungen in Milliardenhöhe. Auch damit wird noch so mancher See in der Lausitz entstehen.

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