zum Hauptinhalt
Der Kampf ums Recht: Für den Gang zum Anwalt zahlt der Staat eine Beratungshilfe, für die Klage vor Gericht eine Prozesskostenhilfe.

© picture alliance / dpa

Reform der Prozesskostenhilfe: Kampf ums Recht

Der Staat unterstützt Geringverdiener finanziell, wenn sie vor Gericht gehen. Künftig müssen sie allerdings mehr Geld wieder zurückzahlen.

Von Carla Neuhaus

Beinahe hätte Gülay Yilmaz aufgegeben. „Ich war kurz davor, obdachlos zu werden“, sagt sie. Erst kündigt die Hausverwaltung ihr die Wohnung. Dann streicht ihr das Jobcenter das Arbeitslosengeld. Vermieter und Behörde werfen Yilmaz vor, sie habe ihre Wohnung ohne Erlaubnis an Fremde untervermietet – und daran gut verdient. Yilmaz sagt: „So etwas mache ich nicht.“ Die 40-Jährige, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist verzweifelt. Zum Anwalt traut sie sich zunächst nicht. Denn das, denkt sie, kostet Geld – Geld, das sie nicht hat.

Wie Yilmaz geht es vielen Menschen, die nur wenig oder gar nichts verdienen: Kommen sie in Schwierigkeiten, scheuen sie aus Angst vor den hohen Kosten häufig den Weg zum Anwalt. Dabei gibt es für eben diesen Fall Unterstützung vom Staat. Für den Gang zum Anwalt zahlt er eine Beratungshilfe, für die Klage vor Gericht eine Prozesskostenhilfe.

500 Millionen Euro geben die Bundesländer insgesamt dafür im Jahr aus – Tendenz steigend. Um die Länder zu entlasten, hat die Politik die Prozesskostenhilfe zum Jahreswechsel reformiert. Mit der Folge: Die finanzielle Unterstützung wird vielen nur noch als Darlehen gewährt. „Mehr Menschen müssen die Prozesskostenhilfe künftig zurückzahlen“, sagt Friederike Mußgnug von der Diakonie Deutschland.

DIE BERATUNGSHILFE

Für den ersten Gang zum Anwalt können Verbraucher beim Amtsgericht Beratungshilfe beantragen. Die bekommen sie allerdings nur, wenn das Gericht der Meinung ist, dass es in ihrem Fall auch nötig ist, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Außerdem müssen die Betroffenen nachweisen, dass sie sich die Beratung nicht leisten können. Dafür prüfen die Richter, wie hoch die Gebühren des Rechtsanwalts sind und wie viel Einkommen, Vermögen und regelmäßige Ausgaben die Betroffenen haben. Die Beamten wollen dafür Unterlagen wie Leistungsbescheid, Lohnbescheinigungen, Kontoauszüge und Mietvertrag sehen.

Beratungshilfe gibt es für fast alle Rechtsbereiche. Beim Strafrecht können Beschuldigte sie aber nur eingeschränkt nutzen. Wer einer Straftat beschuldigt wird, bekommt die finanzielle Unterstützung lediglich für die Erstberatung. Das heißt, der Anwalt kann Fragen zu Vorstrafen beantworten oder helfen, einen Pflichtverteidiger zu finden. Mehr nicht.

DIE PROZESSKOSTENHILFE

Will ein Verbraucher nach der Beratung durch seinen Anwalt vor Gericht ziehen, kann er Prozesskostenhilfe bekommen. In der Regel beantragt der Anwalt sie für seinen Mandanten. Die Unterstützung bekommen die Betroffenen allerdings nur dann, wenn das Gericht davon ausgeht, dass die Klage Aussicht auf Erfolg hat. „Das ist zum  Beispiel nicht der Fall, wenn die Rechtslage nicht eindeutig ist und Zeugen gehört werden müssen“, sagt der Berliner Rechtsanwalt Karsten Joppe. Durch diese Regelung sollen die Verbraucher geschützt werden. Denn verlieren sie den Prozess, müssen sie in der Regel die Kosten des Gegenanwalts zahlen – und die sind nicht durch die Prozesskostenhilfe abgedeckt.

DIE RÜCKZAHLUNG

Seit dem 1. Januar wird die Prozesskostenhilfe stärker als bisher als Darlehen gewährt. Nur wer von staatlicher Unterstützung lebt oder weniger als 430 Euro im Monat zur Verfügung hat, muss sie auch künftig nicht zurückzahlen. Alle anderen müssen die Prozesskostenhilfe abhängig von der Höhe ihres Einkommens vier Jahre lang abstottern. Wer sie dann immer noch nicht vollständig zurückbezahlt hat, bekommt die Restschuld gestundet. Die Art und Weise, wie sich die Raten berechnen, hat sich mit dem neuen Gesetz geändert. „Die Belastung der Haushalte steigt“, sagt Mußgnug. Machten die Raten früher etwa ein Drittel des anzurechnenden Einkommens aus, ist es jetzt die Hälfte. Wer zum Beispiel 775 Euro im Monat zur Verfügung hat, musste davon früher 325 Euro für die Prozesskostenhilfe an den Staat zurückzahlen. Nach der neuen Berechnungsweise sind es 475 Euro. „Für Menschen mit geringem Einkommen macht das einen großen Unterschied“, sagt Mußgnug.

Ursprünglich sollten die Regeln allerdings noch härter ausfallen. Erst im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat wurden sie wieder abgemildert. Clarita Schwengers vom Deutschen Caritasverband warnt dennoch: „Obwohl viele Verschärfungen nicht gekommen sind, könnten die neuen Regeln manche Menschen in Zukunft davon abschrecken, Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen.“ Schuld daran sind nicht nur die höheren Ratenzahlungen, sondern auch die neue Informationspflicht.

DIE INFORMATIONSPFLICHT

Wer Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt, muss das Gericht nach Abschluss des Verfahrens vier Jahre lang informieren, wenn er mehr verdient oder weniger ausgibt. Der Betroffene muss eine Mitteilung an das Gericht machen, sobald er 100 Euro mehr im Monat in der Tasche hat. Das Gericht passt dann die Höhe der Rückzahlung an. Schweigen die Betroffenen über ihre bessere Einkommenssituation – egal, ob absichtlich oder nicht – und erfährt das Gericht davon, kann es die Prozesskostenhilfe rückwirkend streichen. „Das wiederum kann sich kaum jemand leisten“, sagt Joppe.

Für Anwälte wie ihn bedeutet diese Neuregelung einen erheblichen  Mehraufwand. Denn alle Kommunikation zwischen ihren Mandanten und den Gerichten läuft über sie. „Früher konnte ich die Akte in den Keller bringen, wenn ein Fall erledigt war“, sagt Joppe. „Jetzt liegt sie für weitere vier Jahre auf Wiedervorlage.“

Immerhin: Gülay Yilmaz hat die Prozesskostenhilfe geholfen. Vor Gericht hat sie recht bekommen. Der Vorwurf, sie würde ihre Wohnung unerlaubt untervermieten, hat sich als Missverständnis herausgestellt. „Ohne Anwalt hätte ich das nicht geschafft“, sagt sie. Ihre Wohnung darf sie behalten, auch bekommt sie wieder Geld vom Jobcenter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false