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Wirtschaft: Reform in Reserve

IWF und Weltbank einigen sich auf einen Schuldenerlass für die ärmsten Länder. Doch die Erneuerung der Organisationen stockt

Ausgerechnet ein Deutscher bringt Aufbruchstimmung nach Washington. Gut, es ist ein verhaltener Optimismus. Aber inmitten der Warnungen vor einem rasant steigenden Ölpreis und bedrohlichen Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft fällt der Bundesfinanzminister bei der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank auf. „Positiv“ sei die Lage mit 4,9 Prozent Wachstum weltweit, sagt Peer Steinbrück, „günstig“ nennt er die Aussichten. Gewiss, der Ölpreis steigt – „man kann beinahe sagen: stündlich“ –, aber bisher habe die Wirtschaft das „gut weggesteckt“, die Inflation sei moderat.

Zur allgemeinen Erleichterung hat Rodrigo Rato, der Nachfolger Horst Köhlers an der IWF-Spitze, das erwartete Mandat für eine zweistufige Reform der Stimmverteilung innerhalb der Organisation erhalten. Und man hat sich endgültig auf den bereits vor einem Jahr in Gleneagles beschlossenen Schuldenerlass für die 17 ärmsten Länder geeinigt, mit einem Volumen von 55 Milliarden Dollar. Die Tagung wird nicht als Misserfolg enden.

Doch das sind eher kosmetische Erfolge. Tatsächlich sind die Internationalen Finanzorganisationen in einer ähnlichen Lage wie die Nato vor einigen Jahren. Wenn sie sich nicht an die veränderte Weltlage anpassen, verlieren sie an Bedeutung. Bei der Nato hieß es: „out of area or out of business“. Der IWF diskutiert seit längerem über den Bau einer „neuen Finanzarchitektur“ und eine „mittelfristige Strategieüberprüfung“. Den Einfluss auf die wichtigsten Währungskurse hat er schon lange verloren. Seine Bedeutung bei der Kreditvergabe für krisengeschüttelte Länder sinkt. Hoffnungsvolle Länder wie Brasilien oder Argentinien zahlen Schulden vorzeitig zurück, um sich von den Auflagen zu befreien. Asiatische Schwellenländer wie China bauen riesige Währungsreserven auf, um unabhängig zu bleiben. Wenn der IWF sich auf Entwicklungshilfe verlegt, kommt er der Weltbank ins Gehege.

„Der IWF sucht nach neuen Aufgaben und neuen Finanzstrategien“, heißt es aus der deutschen Delegation. Es gibt jedoch keinen Konsens unter den Mitgliedern über den künftigen Kurs. Oder über die Verwirklichung der Reformen. Zum Beispiel die Neuverteilung der Stimmrechte: Ziemlich einmütig hört man, China, Korea, die Türkei, Mexiko und Singapur seien unterrepräsentiert; doch überrepräsentierte Länder wie Frankreich sind nicht bereit, Einfluss abzugeben. „Europa gibt ein schlechtes Bild ab“, sagt Steinbrück. „Es gibt keine gemeinsame EU-Position.“ Deutschland ist zwar gemessen an seinem weltwirtschaftlichen Gewicht selbst leicht unterrepräsentiert, wäre aber bereit, Rechte abzutreten, um eine Lösung zu ermöglichen.

Ähnlich verhält es sich bei der Weltbank. „Eher Routine“ sei dieses Treffen, sagt ein Insider. Bei den zwei herausragenden Themen, „Clean energy“ und Korruptionsbekämpfung, werden keine Fortschritte erwartet. Zwischen den Sitzungen wird getuschelt über den neuen Chef Paul Wolfowitz, zuvor US-Vizeverteidigungsminister und ein Advokat des Irakkriegs. Man bescheinigt ihm echtes Interesse an Entwicklungsfragen. Sobald es aber um praktische Politik geht, wehren sich die Boardmitglieder gegen zu starke Führung von oben und pochen auf ihre Rechte als Eigentümervertreter der Bank. „Wir wollen um Rat gefragt werden“, sagt einer. Die vorübergehende Unterbrechung von Programmen wegen Korruptionsverdacht muss sich der Weltbankchef vom Board genehmigen lassen.

Hinter dem schönen Schlagwort „clean energy“ verbirgt sich ein scharfer Konflikt. Ohne Wirtschaftswachstum keine Entwicklung, und keine Entwicklung ohne ausreichende Energieversorgung bis in die Provinzen – soweit reicht die Einigkeit. Auf 300 Milliarden Dollar schätzt man die nötigen Investitionen bis 2025. Die Mehrheit der Staaten glaubt, dass dies ohne einen gewissen Anteil von Atomkraft nicht zu schaffen ist – oder weit teurer wird. Doch Deutschland, zum Beispiel, will nicht zustimmen, dass Atomenergie über die Weltbank unterstützt wird. Dabei geben auch Deutsche in der Organisation zu, dass der Ruf nach „sustainable“, nach erneuerbaren und nachhaltigen Energieformen weltweit wohl vorerst kaum zu finanzieren ist.

So prägen am Ende die üblichen Wünsche und Forderungen die Kommuniqués und Pressekonferenzen der Frühjahrstagung. In den USA soll wegen der hohen Verschuldung und des hohen Handelsbilanzdefizits mehr gespart werden. Für China wünscht sich Peer Steinbrück mehr Konsum und ein System der Kreditvergabe wie in marktwirtschaftlichen Ländern, um Investitionen und Konsum zu ermöglichen. Von Europa werden mehr strukturelle Reformen erwartet, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt.

Gewarnt wird vor „geostrategischen Risiken“ für den Ölpreis: gemeint ist der Konflikt um Irans Atomprogramm. Peer Steinbrück greift den Punkt aus dem IWF-Papier auf, nachdem er stolz von seinem Termin bei US-Außenministerin Condoleezza Rice berichtet hat. Er scheint überrascht zu sein, dass manche dies als Warnung vor Militärschlägen deuten. „Ich will doch keinen Krieg herbeireden“, sagt er. Über den Inhalt des Gesprächs mit Rice möchte er nichts sagen, das sei vertraulich. In Washington hört man: Es ging nicht um Militärschläge, sondern um ökonomischen Druck auf Iran – und die Vorbereitung des G-8-Gipfels in Russland.

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