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Rentenexperte Karch: "Wir brauchen noch eine große Anstrengung"

Heribert Karch, Vorstandschef der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung, über Renditen und die Rente für jedermann.

Herr Karch, wer im Monat 2500 Euro brutto verdient und 35 Jahre lang in die gesetzliche Rente einzahlt, bekommt als Rentner später nur die Grundsicherung von 688 Euro. Bringt eine Betriebsrente mehr?

Die betriebliche Altersversorgung zeichnet sich für die Arbeitnehmer durch einen verblüffend einfachen Mechanismus aus. Die Einzahlungen sind steuer- und sozialabgabenfrei, daher reichen netto etwa 50 Euro aus, um brutto 100 Euro anzusparen. Wer jeden Monat 100 Euro aus dem Bruttoeinkommen in die betriebliche Altersvorsorge überweist, hat nach 35 Jahren 42 000 Euro Eigenleistung erbracht. Derzeit liegen die Gesamtverzinsungen hier bei rund vier Prozent. Bei dieser Verzinsung käme er auf ein Vorsorgevermögen von über 90 000 Euro. Macht eine Betriebsrente von rund 350 bis 400 Euro im Monat, je nach Kosten.

Rechnen Sie die Betriebsrenten nicht schön? Experten warnen davor, dass die Betriebsrentner von morgen kaum noch etwas zu erwarten haben, wenn die Niedrigzinsphase auf den Kapitalmärkten anhält.

Nein, solche Annahmen sind vollkommen verfehlt. Wenn die Zinsen niedriger sind als die Inflation, haben wir eine Enteignung für all die kleinen Sparer – wenn sie ihr Geld selber anlegen. Bei den Betriebsrenten ist das anders. Durch die staatliche Förderung haben wir quasi eine Verdopplung des eingesetzten Geldes. Und hinzu kommt noch etwas Wichtiges. Bei der betrieblichen Altersvorsorge tut der Arbeitgeber häufig etwas dazu, das zahlt der Arbeitnehmer nicht alleine.

Welche Renditen sind denn noch drin?

Dafür haben wir noch nicht die richtige Glaskugel. Allerdings legen Altersversorger Geld sehr langfristig an, das heißt wir haben immer noch viele Wertpapiere, deren Verzinsung deutlich über dem aktuellen Zinsniveau liegen.

Wie hoch sind die Renten im Schnitt?

Wir kennen viel genauer den Viehbestand auf Deutschlands Weiden als die Höhe der Betriebsrenten. Die wenigen Zahlen geben nur sehr vage Hinweise. Eine ältere Befragung ergab einen Durchschnitt von rund 400 Euro. Der Pensionssicherungsverein zahlt derzeit im Schnitt Monatsrenten von 145 Euro. Die Bandbreite solcher Durchschnittszahlen ist sehr groß. Wirklich gut schlafen, kann derjenige, der neben der gesetzlichen Rente eine Betriebsrente hat und zusätzlich noch selbst über eine Entgeltumwandlung vorsorgt.

17 Millionen Arbeitnehmer haben derzeit Anspruch auf eine Betriebsrente. Warum sind es nicht mehr?

Es ist zu wenig, der Prozess läuft zu zäh, die politischen Weichenstellungen der letzten zehn Jahre haben zu viele Irritationen erzeugt. Unter den 17 Millionen sind auch über neun Millionen Altverträge, die zur Deckung einer Rentenlücke nicht gedacht waren. Viele davon sind dafür zu niedrig ausgestattet. Wir brauchen noch eine große Anstrengung, um die Betriebsrente auf das Niveau zu heben, das sie in vergleichbaren Ländern hat.

Ein Problem der Betriebsrente ist, dass sie sehr kompliziert ist. Es gibt fünf verschiedene Durchführungswege mit unterschiedlichen Steuerregeln. Da blickt doch kaum einer durch.

Für den Arbeitnehmer ist die Betriebsrente das einfachste, was es gibt. Er muss nur den Bruttospar-Effekt verstehen. Für die Arbeitgeber ist es leider komplizierter. Vor allem weil die Durchführungswege steuerlich so unterschiedlich behandelt werden, dass ein Unternehmen meist mehrere Vehikel administrieren muss, um alle Einkommensgruppen bedienen zu können. Hier müssen dringend Erleichterungen her.

Die SPD will, dass jeder Arbeitnehmer eine Betriebsrente bekommt, wenn er sich nicht ausdrücklich dagegen ausspricht. Würde das den Durchbruch bringen?

Das bringt wirklich eine neue Qualität in die Debatte – eine Betriebsrente für alle! Das wünsche auch ich mir für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ein Opting-out-Modell bietet Chancen, muss allerdings sehr genau diskutiert werden, und ohne breiten Konsens kommt man da nicht weiter. Man darf nicht in starre obligatorische Modelle abgleiten. Ziel muss sein, dem Arbeitgeber Handlungsoptionen zu geben, damit er seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen kann. Aber Erspartes darf beim Rentenbezug nicht mehr gegengerechnet werden, wie es derzeit bei der Grundsicherung der Fall ist. Da müssten die Autoren auch noch nachbessern, wie es Arbeitsministerin von der Leyen auf unsere Anregung hin bei der Zuschussrente getan hat.

Die SPD will außerdem noch die Förderung ausbauen.

Ausbau kann ich da im Moment nicht erkennen, leider. Eines der zur Diskussion gestellten Modelle – eine rein steuerliche Förderung bei gleichzeitiger Beitragspflicht in die Sozialversicherung – wäre sogar ein der betrieblichen Altersversorgung systemwidriger, alles verkomplizierender Mechanismus. Es scheint aber leider nicht wenige Sympathisanten zu haben. Davor kann ich nur warnen.

Bei großen Firmen wie Siemens oder Lufthansa klafft derzeit eine  milliardenschwere Lücke zwischen den Ansprüchen künftiger Betriebsrentner und dem, was die Firmen in der Bilanz dafür zurückgestellt haben. Wie bedrohlich ist das?

Je nach Bilanzierungsregeln muss hier unter Umständen angeglichen werden. Vielfach ist ein großer Teil der Zusagen aber auch langfristig in Geld angelegt. Die Situation ist ernst zu nehmen. Aber bei den großen Unternehmen sind Betriebsrenten nicht nur Rückstellungen oder Anlagen, sondern ein Teil der Personalpolitik, sie sind ein Teil des Gehaltes. Dass man für Betriebsrenten Rückstellungen in der Bilanz bilden kann, ist eine deutsche Besonderheit, um die uns viele beneiden. Die Firmen können nämlich so einen Teil ihres Gewinns in die Rückstellungen fließen lassen, das macht ihnen ihre Finanzierung leichter.

Und die Lücken?

Sind – wenn überhaupt - in der Bilanz oder den Anlagen. Arbeitnehmer müssen sich hier keine Sorgen machen. Nach fünf Jahren werden die Anwartschaften auf Betriebsrenten unverfallbar. Selbst  wenn ein Unternehmen insolvent wird, werden solche Betriebsrenten durch den  Pensionssicherungsverein abgesichert.

Drohen Unternehmen Pleiten wegen der Betriebsrenten?

Mir ist derzeit kein Fall bekannt, in dem eine Firma dadurch gefährdet wäre.

Heribert Karch ist Vorstandschef der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Geschäftsführer der Metallrente.

Das Interview führte Heike Jahberg.

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