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Frauen werden im Wirtschaftsleben noch immer benachteiligt. Nicht so bei Herrn Mägli in der Schweiz.

© dpa

Reportage: Herr Mägli und die 79 Frauen

Nein, nein, gegen Männer hat er gar nichts. Er arbeitet nur nicht gern mit ihnen. Weil es denen immer um die Macht geht. Deshalb zog ein Schweizer Unternehmer eine seltene Konsequenz: Er stellt nur weibliche Mitarbeiter ein.

Dieses Wort hätte er gar nicht sagen müssen. Denn dieses Wort sieht man ihm an. „Umgangsformen!“, sagt René Mägli. „Umgangsformen sollten ein Schulfach sein.“ Dieser Deutsche, dieser Knigge, Freiherr von Knigge, ein guter Mann, er halte viel von ihm. Natürlich modernisiert, sagt Mägli mit seinen 60 Jahren, er will ja nicht altmodisch sein.

Weil die Zeiten modern sind und die Temperaturen hoch, hat sich René Mägli an diesem Sommertag in Basel eine kleine Freiheit erlaubt. Er hat die dunkle Anzugsjacke abgelegt und obendrein gar noch die Krawatte. Über der weißen Hemdbrust baumelt die Lesebrille an goldener Kette. Ob es störe, fragt Herr Mägli, wenn er nun eine Zigarette rauchte. Und man kann sicher sein, dass Mägli sich strikt daran hielte, wenn man ablehnte. Denn Herr Mägli ist korrekt. Er ist noch vieles mehr. Vor allem aber ist er korrekt. Umgangsformen eben.

Zur Zigarette serviert eine junge Frau mit imposantem Afrolook Kaffee, und man könnte denken, dass die Welt hier in der Basler Steinentorstraße so ist, wie sie überall ist: Der Chef sitzt mit seinem Gast im Konferenzzimmer seines Unternehmens an einem großen, hellen Holztisch, und die Sekretärin bringt den Kaffee. So ist es aber nicht. René Mägli hat gar keine Sekretärin. So etwas, sagt er, sei „Machogehabe“.

Denn in diesem Unternehmen ist nichts so, wie es überall auf der Welt ist. Das Unternehmen hat einen Chef und 79 Angestellte. Die 79 Angestellten sind Frauen. Allesamt. Das ist einmalig in Europa, vielleicht sogar auf der ganzen Welt. Herr Mägli sagt „meine Ladies“.

Wahrscheinlich ist es eine jener schlichten Männerfantasien, dass einem jetzt sofort das Wort „Harem“ einfällt. Frauen vorne beim Empfang, Frauen auf drei Stockwerken, Frauen vor den Computern in den langen Großraumbüros, Frauen vor der Tür beim Rauchen. Junge Frauen vor allem, schöne Frauen, Durchschnittsalter 34. Aus der Schweiz und aus Frankreich, aus Israel und Russland, aus Spanien und Italien, aus Kolumbien und Äthiopien. 79 Frauen, und der korrekte Herr Mägli mittendrin. Pascha, Hahn im Korb.

Natürlich verrät René Mägli keineswegs, was hinter seiner hohen Stirn vorgeht, wenn er von solchen Fantasien hört, und das wird auch in den folgenden Stunden so bleiben. Er wahrt Form und Unnahbarkeit und sagt so distanziert und freundlich, wie es auf der ganzen Welt nur ein Schweizer kann: „Das ist mir zu primitiv.“

Und René Mägli, beharrlich das Private vom Geschäftlichen trennend, erklärt nun, wie das mit dem Geschäftlichen ist. Als der Eidgenössische Diplomkaufmann vor knapp 30 Jahren eine Reedereivertretung gründete – ausgerechnet im meerfernen Binnenland Schweiz –, dachte er nicht im Geringsten an die Sache mit den Frauen. Auch als er dann Geschäftsführer der Schweizer Niederlassung von MSC wurde, der weltweit zweitgrößten Reederei, war seine Firma ein ganz normaler, gemischter Betrieb, nichts Besonderes, Mägli stellte ein, wen er eben geeignet fand, Männer so gut wie Frauen, Frauen so gut wie Männer. Bis ihm plötzlich etwas auffiel: „Ich habe gesehen, dass diejenigen, die in ihrer Karriere nicht weiterkamen, immer die Frauen waren.“

Nicht gerade eine weltbewegende Erkenntnis. Auch heute noch sprechen die Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung eine haarsträubende Sprache: Von den Vorstandsposten der 100 größten Unternehmen besetzen nicht einmal ein Prozent Frauen, heißt es im neuesten Bericht, der erst vor wenigen Tagen erschienen ist. Was für Deutschland gilt, das gilt auch für die Schweiz. Insofern war René Mäglis Befund ein banaler Befund.

Weniger banal war seine Konsequenz. Sie war eine Sensation. Seit mehr als zehn Jahren stellt der Mann Mägli nur noch Frauen ein. Natürlich mit Männergehältern, sagt er, und die Gewerkschaft bestätigt das. Und mit flexiblen Teilzeitmodellen, auch in Führungspositionen.

René Mägli, der Frauenversteher.

Wieder so ein Wort, das dem Schweizer Bedürfnis nach Contenance das Äußerste abverlangt. Mit kaum erkennbarem Unwillen schüttelt Mägli den Kopf. Als ob es darum ginge! Er ist doch kein Frauenrechtler. Er ist doch kein Weltverbesserer. Er ist Geschäftsmann. „Natürlich“, sagt er und ringt sich eine allerletzte Konzession ab, „mache ich das, um Frauen zu helfen.“ Aber das sei zweitrangig. Erstrangig aber ist das Geschäft. Er sagt es mit Nachdruck, und er sagt es noch einmal: das Geschäft.

Das Geschäft geht zum Beispiel so: Eine griechische Kaffeerösterei will Bohnen in Brasilien kaufen. Und ruft deshalb bei der Basler Reederei an. Ehe der Besucher sein Erstaunen darüber ausdrücken kann, warum der Grieche sich ausgerechnet in der Schweiz umtun soll, hat René Mägli schon die Erklärung parat. „80 Prozent des Welthandels mit Kaffee werden in der Schweiz gemacht, wussten Sie das?“, sagt er und sieht zufrieden aus. Auch bei Baumwolle, bei Zucker und Metallen sei die Schweiz ein führender Handelsplatz.

Im Fall der griechischen Kaffeeanfrage beginnt nun bei der Basler MSC-Niederlassung ein hektisches Telefonieren – mit Speditionen, mit Handelshäusern. Schließlich bekommt der Kunde ein Angebot. Und falls das günstiger und schneller ist als das der Konkurrenz, hat Basel das Geschäft gemacht. Das scheint sehr oft der Fall zu sein. Seine Firma, sagt der Chef, hat in der Vergangenheit fast jedes Jahr das kolossale Umsatzplus von 25 Prozent gemacht. Herr Mägli sieht jetzt noch zufriedener aus. „Der Grund dafür sind meine Ladies.“

Und nun verlässt er die Deckung der Schweizer Distanz, stimmt das Hohelied der weiblichen Tugenden an und gerät dabei in ein unvermutetes Entzücken. Frauen, sagt er, sind teamfähiger als Männer und kostenbewusster. Sie verstehen es besser, Prioritäten zu setzen, sie sind sachorientierter. Und er zitiert als Kronzeugin Margaret Thatcher: „Willst du, dass etwas gesagt wird, sag es einem Mann. Willst du, dass etwas gemacht wird, sag es einer Frau.“

Den Männern nämlich, das ist des Mannes Mägli Grundüberzeugung, geht es nie zuerst um die Sache. Es geht ihnen um die Macht. Um die Karriere. Darum, andere klein zu halten. Andere zu verdrängen.

Und die Frauen? Keine Machtgelüste? Lauter Heilige? Keine Karrieregedanken?

Claudia Dietrich hat Karriere gemacht, Blitzkarriere. Seit zweieinhalb Jahren ist sie in der Basler Firma und inzwischen deren Finanzchefin. Und das in so jungen Jahren, dass selbst Freiherr von Knigge die Frage nach dem Alter gestattet hätte. Claudia Dietrich ist 26. Mit ihrem weißen T-Shirt, den langen brünetten Haaren ginge sie in jedem anderen Betrieb als Praktikantin durch. Aber hier ist die Brandenburgerin, die ganz frisch vom Studium der internationalen Betriebswirtschaft aus Berlin nach Basel kam, eine von denen, die an der Steinentorstraße das Sagen haben. „Weil Herr Mägli den Frauen was zutraut“, sagt sie und nimmt jetzt auch am großen Konferenztisch Platz. Sofort verändern sich die Rollen. Jetzt wird der Chef zum Kellner und serviert den Kaffee.

Natürlich, sagt Claudia Dietrich, sind Frauen keine besseren Menschen, natürlich ist auch die Basler Fraueninsel keine Insel der Seligen, und Karrierelüste und Konkurrenz gibt es hier so gut wie anderswo. Aber es ist eine andere Art der Konkurrenz. „Der Druck, sich dauernd gegen Männer durchsetzen zu müssen, fällt weg. Auch das ewige Kokettieren. Trotzdem machen wir uns schön.“ Man sieht es ihr an.

Und wenn sie dann erzählt von dieser Basler Frauenwirtschaft, dann scheint die Insel der Seligen doch ganz nahe zu sein. Frauen wüssten einfach, eine ganz andere Atmosphäre herzustellen, emotionaler, feinfühliger. „Wenn es einer von uns schlecht geht, dann merkt das jemand.“ Aber jetzt bloß nicht glauben, dass hier 79 Friedfertige und Fügsame versammelt sind. Meinungsverschiedenheiten? Ja, klar. Streit? Kommt vor. Aber der Umgang damit ist anders, sagt Claudia Dietrich. „Dann fallen unter uns Mädels sehr offene Worte. Und wir kommen hier schnell zum Punkt.“ Aber wenn das nicht hilft? Dann schickt René Mägli die Kontrahentinnen zum Essen – auf Firmenkosten. Ob damit der Streit wirklich jedes Mal zu schlichten ist, mag man bezweifeln. Aber ziemlich unzweifelhaft ist, dass jene Konflikte, die man als „Zickenkrieg“ und „Stutenbissigkeit“ zu kennen glaubt, in einer reinen Frauengruppe seltener vorkommen als in einer gemischten Belegschaft. Weil Frauen unter sich weniger unter Beweiszwang stehen, nicht andauernd demonstrieren müssen, dass sie durchsetzungsfähiger, härter sind, weil sie als Frauen nicht unbedingt die besseren Männer sein müssen.

Und dann sagt Claudia Dietrich einen kurzen, einfachen Satz, der vielleicht dieses ganze große Basler Frauengeheimnis birgt: „Wenn eine von uns was nicht kann, dann sagt sie das.“

René Mägli, als hätte er auf dieses Stichwort gewartet, erzählt nun die Geschichte vom letzten Mann. Die ist schon viele Jahre her, und der Chef glaubte damals, es doch wieder einmal mit einem Mann versuchen zu sollen. Weil er einen Spezialisten für Seeschifffahrt brauchte und gerade eine der seltenen männlichen Bewerbungen auf dem Tisch lag. Also landete ein Mann auf der Fraueninsel, aber die Zeit seines Bleibens war nicht lange. Weil René Mägli alsbald die befremdliche Feststellung machte, dass gewisse Geschäftsvorgänge plötzlich stecken blieben und nicht zum Abschluss kamen. Wenig später erkannte er den Grund: Der neue männliche Mitarbeiter hatte Vorgänge, die er nicht verstand oder für die er keine Lösung wusste, einfach in seinem Schreibtisch verschwinden lassen. „Weil er nicht imstande war, eine Frau zu fragen.“ Mägli hat ihn entlassen. Und ist seitdem, was die Männer angeht, nicht mehr rückfällig geworden.

Was manche Frau durchaus bedauert. Immerhin bekannten in einer Umfrage vor zwei Jahren 43 Prozent der Belegschaft, es wäre gelegentlich doch ganz angenehm, Männer im Betrieb zu haben. Wegen der Abwechslung. Anderer Ansicht ist da Elizaveta Novik, Kundenbetreuerin in den Sparten Kaffee und Tabak. Sie hat sich jetzt auch an den Konferenztisch gesetzt und will von Abwechslung nichts wissen. Männer kann man schließlich nach Dienstschluss treffen sagt sie und ist ganz Schülerin des Meisters Mägli: „Arbeit und Privates muss man trennen.“

Im Übrigen habe man ja laufend mit Männern zu tun. Am Telefon, im Außendienst bei Besprechungen. „Unsere Kunden sind fast ausschließlich Männer.“ Und vielleicht offenbart Elizaveta Novik, die aus St. Petersburg stammt, damit ein weiteres Geheimnis von Herrn Mäglis Frauenmodell: Männer verhandeln lieber mit Frauen. Weil sie die leichter über den Tisch ziehen können? Natürlich nicht, sagt sie mit 24-jährigem Selbstbewusstsein, „Frauen kommen besser an, weil sie besser zuhören können, weil sie einen anderen Umgangston haben.“

Umgangston! Wenn das Herr Mägli hören könnte. Aber der hat sich inzwischen an seinen Schreibtisch zurückgezogen. Er hat zu tun. Der Schreibtisch steht übrigens mittendrin zwischen den 79 Lady-Schreibtischen im Großraumbüro. Ein Einzelzimmer hat der Chef nicht. „Ich gehöre zum Team, wir alle zusammen ziehen den Karren.“

Allein unter 79 Frauen. Herr Mägli, noch eine letzte Nachfrage. Fehlt da nicht manchmal etwas? Das Gespräch unter Männern? Wieder zeigt Mägli den Ausdruck einer unterdrückten Indigniertheit, und die Antwort fällt so knapp aus wie auf alle folgenden Fragen: „Ich habe kein Problem mit Männern.“ Ob er sich denn unter Frauen wohler fühle? „Ich versuche, die beste Qualität für das Unternehmen zu erreichen. Und die garantieren Frauen.“ Ob er verheiratet sei? „Ich habe eine Lebenspartnerin.“ Ob er aus einem Frauenhaushalt stamme? „Ich habe drei Schwestern, keine Brüder.“ Aha. „Aber das hat damit nichts zu tun.“ Ob er sich als Vorkämpfer für Frauenemanzipation sehe? „Alice Schwarzer ist eine tolle Frau.“

Ansonsten aber fühlt sich René Mägli durchaus einem traditionellen Frauen- und Männerbild verpflichtet. Womit er wieder bei seinem Lieblingsthema wäre: Umgangsformen. „Es gibt nichts Schöneres, als galant zu sein“, sagt er, „ich versuche, eine Frau als Frau zu behandeln.“ Wozu auch gehört, dass er bei den Weihnachtsgeschenken an seine Belegschaft nach höchst herkömmlichen Mustern verfährt: ein Kochkurs für seine Ladies, eine Farb- und Stilberatung, Karten für ein Robbie-Williams-Konzert.

So ist es auch kein Wunder, dass Mägli eine äußerst nahe liegende Frage mit einem Erstaunen kommentiert, als käme sie vom Mond: Ob es nicht etwas seltsam sei, dass der einzige Mann in diesem Frauenunternehmen ausgerechnet der Chef sei? Das passe doch nicht zusammen. Da wirft Herr Mägli einen Blick aus seinen grauen Augen, in dem sich Unverständnis und Belustigung paaren, und er findet, dass sich darauf nur mit einem sehr lapidaren Satz antworten lässt: „Ich habe den Laden nun mal gegründet.“

Aber weil Herr Mägli verantwortungsbewusst ist und nach seinen sechs Lebensjahrzehnten durchaus an eine gar nicht mehr so ferne Zukunft denkt, hat er selbstverständlich bereits jetzt für seine Nachfolge gesorgt. Der Nachfolger ist eine Nachfolgerin.

In der nächsten Folge: Das Gedächtnis der Insel. Ein Ort im Pazifik, den der Tsunami verschonte

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