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Ostseepipeline: Rohstoff aus dem Permafrost

Bei der Einweihungsfeier der Pipeline zwischen Russland und Deutschland spürt mancher Politiker den „Hauch der Geschichte“. Es geht aber auch um Geld.

Kaum ein Politiker kam bei der Eröffnung der Ostseepipeline zwischen Russland und Deutschland im kleinen Lubmin um das Bild vom sprichwörtlichen „Hauch der Geschichte“ herum. Doch während die Redner am Dienstag auf der Festveranstaltung am Greifswalder Bodden damit vor allem die Symbolik der 1224 Kilometer langen Rohrschlange verdeutlichen wollten, erzählte eine Gruppe von Monteuren im kleinen Kreis tatsächlich vom „Wind aus fernen russischen Weiten und damit aus einer anderen Klimazone“. Den hätten sie vor einigen Tagen gespürt, nachdem die letzten Rohre verschweißt worden waren. „Da bekommt man doch schon Respekt vor dem Monstrum am Meeresboden“, sagte einer der wenigen anwesenden Arbeiter auf dem ansonsten für die 400 Ehrengäste hermetisch abgesperrten Areal.

Die Gasmoleküle, die der Energiekonzern Gazprom in der Stadt Wyborg bei St. Petersburg in die Röhre schickt, brauchen auf dem Grund der Ostsee rund zehn Tage bis sie in dem 2000 Einwohner zählendem Lubmin bei Greifswald ankommen. Am Bau der Leitung haben fast zwei Jahre lang tausende Arbeiter und Ingenieure aus mehr als zwei Dutzend Ländern mitgewirkt. Von der 7,4 Milliarden Euro hohen Bausumme profitierten mehrere hundert Firmen in aller Welt. Allein die Herstellung der jeweils zwölf Tonnen schweren Rohre teilten sich große Werke im Ruhrgebiet, in Russland und in Japan.

Kluge Rechner haben einen beeindruckenden Vergleich gefunden: Der für die 200 000 Rohre verbrauchte Stahl würde für den Bau von 200 Eiffeltürmen reichen. Dazu kommen noch die Pipelines in Russland selbst. Mehr als 3000 Kilometer von St. Petersburg oder Moskau entfernt liegen die reichsten Vorkommen unter der westsibirischen Jamal-Halbinsel.

Aus den Feldern dort speist sich die Pipeline, die künftig rund zehn Prozent des gesamten europäischen Gasbedarfs deckt, rechnete der EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger, in seiner Rede vor. „Künftig könnte dieser Anteil sogar noch steigen.“ Es werde zwar nach neuen Quellen in Norwegen, Algerien oder in Katar Ausschau gehalten, aber Russlands Bedeutung als sicherer Energielieferant werde künftig noch steigen.

Wohl kaum ein Politiker, der am Dienstag in Lubmin am großen Rat drehte und damit symbolisch die Gaslieferungen durch die Ostsee startete, hatte sich im fernen Sibirien schon einmal auf den Gasfeldern umgesehen. Dort herrschen derzeit schon Temperaturen um die minus 16 Grad Celsius, in wenigen Wochen gar Dauerfrost von um die minus 50 Grad. Die Förderanlagen halten diese Bedingungen aus. Allein auf der Jamal-Halbinsel strömt derzeit das Gas aus 142 Bohrlöchern aus 800 Meter Tiefe nach oben.

„Wir sind ein zuverlässiger Lieferant“, versicherte Russlands Staatspräsident Dmitri Medwedew. Das bezog er nicht nur auf die „ununterbrochene Förderung“, sondern wohl auch als Seitenhieb auf die bisherigen Transitländer Weißrussland und Ukraine. Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine im Winter 2008/09 führte zu einem zeitweiligen Lieferstopp, der allerdings auf Westeuropa keine Auswirkungen hatte. „Wir können uns durchaus weitere Projekte mit der EU vorstellen“, zeigte sich Medwedew gut gelaunt.

Dabei fiel sein Blick immer wieder auf den Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der noch in seiner Amtszeit 2005 das Projekt einer Pipeline durch die Ostsee eingefädelt und ein Jahr später den Vorsitz der Aktionärsversammlung der eigens für das Vorhaben gegründeten Nord Stream AG übernommen hatte. „Schon in den finsteren Jahren des Kalten Krieges war auf die Lieferungen aus dem Osten immer Verlass“, sagte Schröder. Die Russen seien natürlich auf den Verkauf der Rohstoffe angewiesen und schon deshalb sei das Projekt zu keiner Zeit einseitig gewesen.

Während sich die Festgemeinde zuprostete, verrichteten Spezialisten in den Tiefen der Ostsee bereits wieder Schwerstarbeit. Taucher in Schweißerglocken verbinden ohne Pause rund 110 Meter unter der Wasseroberfläche die einzelnen Rohre für den zweiten Strang. Dieser wächst täglich um etwa drei Kilometer. Möglicherweise wird die zweite Pipeline sogar noch etwas länger. Polen erhielt von der Nord Stream AG das Angebot einer Stichleitung, um die Küstenregion leichter mit dem Rohstoff zu versorgen. Nicht alle Polen besänftigt das. Zumindest die Hafengesellschaft Swinemünde (Swinoujscie) teilte gestern mit, sie halte eine Klage vor dem Hamburger Verwaltungsgericht gegen die Genehmigung der Pipelinetrasse aufrecht. Der Verlauf verhindere langfristig, dass auch Schiffe mit großem Tiefgang den Hafen anlaufen können, lautet das Argument.

Von Protesten gegen den Eingriff in die Natur war rund um Lubmin nichts zu spüren. Vor einigen Jahren hatten zwar Umweltverbände eine Klage gegen die Baupläne angekündigt und die Heringsfischer im Greifswalder Bodden lautstark gegen das Eingraben der Leitung im Meeresboden gewettert. Aber beide Interessengruppen erhielten einen stattlichen finanziellen Ausgleich, so dass niemand die feierliche Atmosphäre störte.

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