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Wirtschaft: Russland beruhigt sich nach Jukos-Schock

Experten sorgen sich um zukünftige Investitionen – aber deutsche Firmen wollen dem Standort vorerst treu bleiben

Berlin (hop). Am Dienstag ging es wieder aufwärts an der Moskauer Börse. Der Leitindex RTS erholte sich etwas von den herben Verlusten vom Vortag, als die Verhaftung des Großunternehmers Michail Chodorkowskij Panikverkäufe auslöste. Die Versuche des russischen Präsidenten Wladimir Putin, das Vertrauen der Finanzmärkte wieder herzustellen, zeigten Wirkung. Es herrschte aber gespannte Ruhe. Deutsche Firmen und Experten sind in ihrer Interpretation der Ereignisse gespalten. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte dem Tagesspiegel: „Wir sehen die Entwicklung mit großer Besorgnis – auch mit Blick auf die Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben in Russland.“

Chodorkowskij, Chef des russischen Ölkonzerns Jukos, sitzt seit dem Wochenende in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Betrug und Steuerhinterziehung vor. Für den Hauptgrund halten die meisten Experten aber die politischen Ambitionen Chodorkowkijs, die seit Monaten im Kreml mit immer größerer Abneigung verfolgt wurden. Andreas Polkowski, Russlandexperte des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA), sagte: „Unter Putin geschieht nichts zufällig.“

Vorerst dürfte die Verhaftung Chodorkowskijs aber keine tiefen Spuren in der russischen Wirtschaft hinterlassen. „Ich erwarte keine Auswirkungen auf die in- oder ausländischen Investitionen in Russland“, sagte Polkowski. Etwas zurückhaltender ist Juliane Kock, Sprecherin des Ostauschusses der deutschen Wirtschaft. Zwar erwarte sie keine „unmittelbaren Auswirkungen auf die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen“. Das Investitionsklima in Russland sei nicht unmittelbar gefährdet. Und bei einer ersten Umfrage der Delegierten der Deutschen Wirtschaft in Russland, Andrea von Knoop, unter deutschen Unternehmen kam heraus, dass keine Firma jetzt ihre Aktivitäten überdenke. „Aber wir beobachten die Entwicklung sehr aufmerksam“, sagte Kock vom Ostausschuss. „Es kann möglich sein, dass sich längerfristig Auswirkungen ergeben.“ Deutschland ist einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Russlands. Der Handel zwischen beiden Staaten macht jährlich mittlerweile rund 25 Milliarden Euro aus.

Alexander Rahr, Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), hat teilweise Verständnis für das Vorgehen Putins. Drei Viertel der russischen Wirtschaft würden von sieben Oligarchen kontrolliert, darunter Chodorkowskij. Und diese Oligarchen hätten bisher weitgehend verhindert, dass sich ein Mittelstand in Russland entwickelt, den das Land für einen nachhaltigen Aufschwung benötigen würde. „Eine Entmachtung könnte also sogar von Vorteil sein“, sagte Rahr. Jedoch könnte das Vertrauen von Investoren gestört werden. „Und alles, was die Staatsanwaltschaft Chodorkowskij vorwift, kann man gegen alle Oligarchen vorbringen.“

Gerade deshalb „riecht es bei der Verhaftung Chodorkowskijs verdächtig nach einer politischen Aktion“, sagte Rahr. Der Jukos- Chef fühlte sich in den Augen des Kremls offenbar zu mächtig. Noch zur Jahreswende galt er der Staatsführung als Vorzeigeunternehmer, sagte Rahr, verfolgte dann aber eine zu eigenständige Politik. Dabei sehe Putin die Ölindustrie als strategisch besonders wichtig an. „Es geht jetzt mehr oder weniger um die Gleichschaltung der russischen Ölkonzerne“, sagte Rahr. Die beiden weiteren großen Firmen Lukoil und Rosneft verhielten sich schon im Sinne des Kremls. Und Jukos drohte noch unabhängiger und unbequemer zu werden, weil der Konzern mit den beiden amerikanischen Unternehmen Exxon und Chevron zuletzt über einen möglichen Einstieg verhandelte. Deshalb ist sich auch Polkowski vom HWWA sicher: „Mit der Verhaftung wollte Putin auch die amerikanischen Konzerne abschrecken.“

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