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Kettenkarussell auf dem Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz. Jetzt können die Besucher den Spaß noch genießen. Doch die klassischen Volksfeste bringen den deutschen Schaustellern kaum noch genug Geld.

© imago

Aussterben einer Zunft: Schausteller wollen Unesco-Kulturerbe werden

Ob in Berlin oder München: Das alte Schaustellergewerbe sieht sich als treuer Steuerzahler und dennoch von den Behörden gegängelt. Die Zunft gilt als angestaubt - und sucht nun Schutz als Unesco-Kulturerbe.

Schausteller gab es schon im Mittelalter. Auch heute noch bauen sie ihre Buden auf Volksfesten und Weihnachtsmärkten auf. Allerdings gilt ihre Zunft als angestaubt, wie aus der Zeit gefallen. Doch die Schausteller wollen kämpfen – zunächst gegen politische Hürden.

„Mein Zugfahrzeug hatte nach 20 Jahren nur 120 000 Kilometer runter. Trotzdem musste ich ein neues kaufen“, klagt Johann Luxem, der seit 19 Jahren auf dem Weihnachtsmarkt am Kurfürstendamm einen Glühwein- und Imbissstand betreibt. Der Grund: Mit dem alten Schlepper hätte er nicht in die Umweltzone fahren dürfen. Viele Schausteller klagen über zu viel Bürokratie – und immer mehr geben auf.

Eine aktuelle Studie des Deutschen Schaustellerbundes (DSB) hat ergeben, dass das Volksfestangebot von 14 690 Festen und Weihnachtsmärkten im Jahr 2000 auf 11 368 im Jahr 2012 gesunken ist. Das entspricht einem Rückgang um 22,6 Prozent. Albert Ritter, Präsident des DSB, sieht sein Gewerbe in Gefahr, weil es immer weniger kleine und mittlere Feste gibt. Ritter selbst ist Schausteller in fünfter Generation. Seine Familie stellte einst in einer Schaubude eine „Frau ohne Unterleib“ und die „dickste Frau der Welt“ aus.

Schlechte Aussichten

Nach der Studie erwarten 47,2 Prozent der Schausteller in Zukunft weitere Verschlechterungen ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation. Lediglich 14 Prozent gehen von einer Verbesserung in den kommenden drei Jahren aus. Auffällig ist dabei eine inhaltliche Umorientierung. Insgesamt haben in den vergangenen fünf Jahren 24,3 Prozent der Schaustellerunternehmen ein oder mehre Geschäfte aufgeben müssen. Fast die Hälfte der aufgegebenen Unternehmen waren Kleinspiel-, Schieß- oder Fahrgeschäfte. Viele Betreiber wechselten stattdessen in die Gastronomie, da sich hier noch am meisten Geld verdienen lässt. So ergab eine Befragung, dass die Pro-Kopf-Ausgaben der Besucher von Volksfesten bei 21,17 Euro liegen – und davon 50,5 Prozent für Essen und Trinken ausgegeben werden.

Das erklärt auch, warum Weihnachtsmärkte ein immer stärkeres Standbein der Schausteller sind. Immerhin ein Drittel der Gesamtgewinne werden auf den – eher an Verzehr orientierten – Weihnachtsmärkten erzielt. Insgesamt setzt die Schaustellerbranche auf Volksfesten und Weihnachtsmärkten 3,7 Milliarden Euro um. Nach Angaben des Verbands fließen den öffentlichen Haushalten daraus Steuern in Höhe von 887 Millionen Euro zu. Hinzu kämen noch Gebühren und Abgaben auf kommunaler Ebene in Höhe von rund 350 Millionen Euro.

Unesco als letzte Hoffnung

Die Schausteller sehen sich an vielen Stellen von den Behörden benachteiligt. Nicht nur die Umweltzone, sondern auch hohe Standgebühren, Energiekosten und für die Schausteller unergründliche Absagen für geplante Volksfeste machen ihnen zu schaffen, klagt der Verband. Hinzu kommen die steigenden Preise für Wareneinkäufe, die den höchsten Kostenbereich ausmachen.

Um sich etwas Rückhalt zu verschaffen, hat der DSB nun eine offizielle Bewerbung der deutschen Volksfeste und Weihnachtsmärkte zum immateriellen Kulturebe bei der Unesco eingereicht. Es werden jährlich 34 Traditionen und Bräuche zum immateriellen Kulturerbe erklärt, wie zum Beispiel bereits der Geigenbau, das Puppentheater oder Poetry Slam. Von diesem Titel versprechen sich die Schausteller eine bessere Wahrnehmung des Gewerbes und eine höhere Wertschätzung seitens der Politik. Der Titel sei zwar klangvoll, sagte Benjamin Hanke, zuständiger Referent der Unesco, auf Anfrage. Eine direkte Unterstützung sei daraus aber nicht abzuleiten.

Im Moment laufen die Vorbereitungen für die Weihnachtsmärkte auf Hochtouren. Fast 1500 soll es davon in ganz Deutschland geben. Der Verkauf von gebrannten Mandeln, Bratwürsten und Glühwein läuft besonders gut. Johann Luxem liegt daher mit seinem Angebot im Trend und ist trotz der Probleme mit seinem Lkw guter Dinge: „Volksfeste gibt es seit über 1200 Jahren, wir schaffen es irgendwie immer wieder, uns an die Bedingungen anzupassen.“ Auch deshalb gehören die „Frau ohne Unterleib“ und die „dickste Frau der Welt“ schon lange nicht mehr ins Repertoire der Schausteller.

Manuel Vering

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