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Erst schlichten, dann richten: Das Bundesjustizministerium möchte außergerichtliche Schiedsstellen stärken.

© picture alliance / dpa

Schiedsstellen für alle finanziellen Fragen: Bundesjustizminister Heiko Maas will Schlichtungsstellen ausbauen

Was bei Versicherungen, Banken, Energie und Verkehr heute schon funktioniert, soll auf alle Bereiche ausgeweitet werden. An diesem Mittwoch ist der Entwurf im Kabinett.

Verbraucher sollen sich künftig mit allen finanziellen Problemen an eine Schlichtungsstelle wenden können. Ein entsprechendes Gesetz will das Bundeskabinett an diesem Mittwoch beschließen. „Heute verschenken die Kunden viel Geld, weil sie den Aufwand scheuen und nicht vor Gericht gehen, obwohl sie gute Karten hätten zu gewinnen“, sagte der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Gerd Billen, dem Tagesspiegel.
Schlichtungsstellen gibt es bereits für einige Branchen. Wer meint, seine Lebensversicherung schütte zu wenig aus, kann sich genauso an eine Schiedsstelle wenden wie Stromkunden, die um ihren Wechselbonus kämpfen. Und auch die Kunden der Bahn, deren Züge streikbedingt zu spät angekommen oder gar nicht erst los gefahren sind, können sich an eine Schlichtungsstelle wenden, wenn sie meinen, die Entschädigung der Bahn sei zu gering. Die Verfahren sind für die Verbraucher kostenlos.
Was bei Versicherungen, Kreditinstituten, Verkehr oder Energie gut funktioniert, soll jetzt auch auf andere Lebensbereiche übertragen werden. Wo branchenspezifische Schiedsstellen fehlen, soll es künftig eine Auffangschlichtungsstelle geben. Für die sollen die Länder zuständig sein – ein Punkt, über den in den vergangenen Monaten trefflich gestritten worden ist und der dazu beigetragen hat, dass Deutschland mit dem Projekt zeitlich hinter den Vorgaben aus Brüssel hinterherhinkt.

Länder sind zuständig

Mit seinem neuen Gesetz setzt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nämlich eine EU-Richtlinie um, die eigentlich bereits bis zum 9. Juli in deutsches Recht übertragen werden sollte. Das ist nicht mehr zu schaffen. Zwar hatte Maas bereits im vergangenen November einen Referentenentwurf an die Länder und die Verbände geschickt, mit seinem Entwurf hatte er aber vor allem Kritik geerntet. Die Länder opponierten gegen den Plan, sie mit der Einrichtung der Auffangschlichtungsstelle und der Anschubfinanzierung zu betrauen, haben sich mit ihren Bedenken aber nicht durchsetzen können. Nun wollen sie zumindest über eine für sie kostengünstige Lösung verhandeln. Statt 16 regionale Schlichtungsstellen einzurichten soll es eine einzige Auffangschiedsstelle geben – für alle Belange und alle Bürger. Für die Verbraucher soll die Schlichtung weiter kostenlos sein, zahlen soll die Wirtschaft. Den Unternehmen drohen – gestaffelt nach dem Streitwert – Kosten von bis zu 380 Euro pro Schlichtungsfall, bei Streitwerten bis zu 100 Euro sollen 190 Euro pro Schlichtung anfallen. Die Wirtschaft lehnt das ab. „Es ist inakzeptabel, die Kosten für die Schlichtung ausschließlich der Wirtschaft aufzubürden“, sagte der Chefjustiziar des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Stephan Wernicke, dem Tagesspiegel. „Da Verbraucher- und damit Allgemeininteressen berührt sind und auch die Gerichte durch erfolgreiche Schlichtung entlastet werden wäre es nur konsequent, wenn der Fiskus die Finanzierung der Schlichtungsstellen übernimmt.“

Hilfe beim Streit mit Telekom und Co.

Mit den hohen Kosten sollen die Unternehmen dazu bewegt werden, eigene, branchenspezifische Schlichtungsstellen einzurichten und die Auffangschlichtung nicht in Anspruch zu nehmen. Kritiker befürchten jedoch, dass die Unternehmen weder das eine noch das andere tun. Da sie nicht verpflichtet sind, sich einer Schlichtung zu unterwerfen, könnten sich die Anbieter einem solchen Ansehen einfach widersetzen.
„Nur wenn sich möglichst viele Unternehmen beteiligen, funktioniert die Schlichtung“, sagte Klaus Müller, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, dem Tagesspiegel. Dass sich die Wirtschaft der Schlichtung entziehen kann, hält der Verbraucherschützer für falsch – vor allem, weil es in vielen Bereichen Handlungsbedarf gebe. Etwa bei der Telekommunikation. „Hier häufen sich die Beschwerden“, berichtet Müller, „das sind Massenprobleme“. Verbraucher, die tagelang ohne Anschluss sind und vergeblich auf den Monteur warten, können sich heute zwar an die Bundesnetzagentur wenden, doch diese ist nicht zuständig, wenn es um Schadensersatz oder sonstige finanzielle Kompensationen geht. Auch für das Handwerk wünscht sich Müller eine bessere Schlichtungskultur und beklagt einen „Flickenteppich“ aus lokalen Initiativen.

Eigene Stelle für Mieter

Der Druck aus Brüssel und Berlin trägt in einem, für Verbraucher wichtigen Bereich, jetzt schon Früchte. Für Mietstreitigkeiten wird es nach Tagesspiegel-Informationen eine eigene, bundeseinheitliche Schlichtungsstelle geben. Der Deutsche Mieterbund und der Immobilienverband Haus und Grund sind sich darüber im Prinzip einig, nun soll auch noch der zweite große Branchenverband, der GDW, mit ins Boot geholt werden. „Die Schlichtungsstelle braucht Kompetenz in Sachfragen“, sagte der Sprecher des Deutschen Mieterbunds, Ulrich Ropertz, dem Tagesspiegel. Deshalb habe man sich entschlossen, nicht auf die Auffangschlichtung zu setzen, sondern eine eigene Stelle zu schaffen.

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