zum Hauptinhalt
Kopf hoch ist die Parole der Gegner von Stuttgart 21 – sie wollen den oberirdischen Kopfbahnhof behalten. Die Bahn, das Land und die Stadt Stuttgart setzen dagegen auf einen neuen, unterirdischen Durchgangsbahnhof – sie hoffen auf kürzere Fahrzeiten und frei werdende Fläche im Zentrum der Landeshauptstadt. Ende Juli besetzten die Stuttgart-21-Gegner den Bahnhof sogar zeitweise. Teilabriss und Neubau laufen allerdings bereits seit Februar. Foto: dpa

© dpa

Schienenverkehr: In die falsche Richtung

Der Staat gibt Milliarden für unsinnige Schienenprojekte aus, kritisiert das Umweltbundesamt. Vor allem die ICE-Trasse von Leipzig nach München sowie der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs hätten für den Güterverkehr keinen Nutzen.

Berlin - Der Bund investiert im Schienenverkehr Milliarden in die falschen Vorhaben. Statt das Geld weiter in teure ICE-Strecken zu stecken, ließe sich mit den gleichen Beträgen an anderer Stelle ein viel größerer Nutzen erzielen. Vor allem die ICE-Trasse von Leipzig nach München sowie der umstrittene Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs (Stuttgart 21) „stiften für den Güterverkehr so gut wie keinen Nutzen“. Das ist das Fazit einer neuen Studie, die das Umweltbundesamt von der Berliner Verkehrsberatung KCW hat erstellen lassen.

Die beiden Projekte seien „Prestigevorhaben“, angesichts der Zunahme vor allem des Frachtverkehrs in den kommenden Jahren aber praktisch nutzlos. Bereits seit 1994 habe die Politik vor allem auf den Bau von Fernverkehrsstrecken gesetzt – „ohne dass ein nennenswerter Erfolg am Fahrgastmarkt eingetreten ist“. Der Nah- und der Güterverkehr auf der Schiene seien hingegen nur „als Abfallprodukt“ betrachtet worden.

Die Studie rät daher, auf Stuttgart 21 sowie die dazugehörige Schnellstrecke zu verzichten, da sie „konzeptionell falsch“ sei. Auch die Strecke von Leipzig nach München könne noch gestoppt werden, da erst zwei der geplanten acht Milliarden Euro verbaut seien. Allerdings sei dies vermutlich „politisch chancenlos“.

Diese Einschätzung dürfte vor allem die Debatte um den Stuttgarter Bahnhof weiter anheizen. Bei dem Projekt, einem der größten Bauvorhaben in der Bundesrepublik, soll der oberirdische Kopfbahnhof der Stadt bis 2019 in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umgebaut werden. Außerdem ist eine neue ICE-Verbindung von Wendlingen nach Ulm geplant. Die Bahn erhofft sich davon kürzere Reisezeiten, die Stadt sieht in dem Vorhaben Vorteile, weil ein Quadratkilometer Stadtfläche frei werden soll, der bislang mit Gleisen überbaut ist.

Der Bau von Stuttgart 21 hat bereits begonnen. Gleichwohl gibt es seit Wochen regelmäßig heftige Proteste von tausenden Bürgern gegen den Umbau. Die Gegner wollen den bisherigen Bahnhof behalten und fürchten neue Engpässe im Zugverkehr durch den Durchgangsbahnhof, der weniger Gleise haben soll als die jetzige Station. Außerdem rechnen sie mit deutlichen Kostensteigerungen angesichts des schwierigen Geländes. Bereits seit Beginn der Planungen wurde der benötigte Betrag von 2,6 auf 4,1 Milliarden Euro nach oben korrigiert. Das Gutachten spielt den Gegnern nun in die Hände. Die Baukosten seien „deutlich zu niedrig angesetzt“, zudem gebe es einen „geringen verkehrlichen Nutzen“, da „die Neubaustrecke de facto für den Güterverkehr nutzlos ist beziehungsweise ihm sogar schadet“.

Die Bahn ist anderer Ansicht. „Jede Erweiterung der Infrastruktur hilft uns, Kapazitäten zu erweitern, teilweise auch durch Trennung von Schienengüterverkehr und Personenverkehr auf unterschiedliche Strecken“, sagte Güterverkehrs-Vorstand Karl-Friedrich Rausch. Das Bundesverkehrsministerium wollte die Studie nicht kommentieren.

Allerdings prognostizierte Minister Peter Ramsauer (CSU) am Donnerstag, dass der Güterverkehr wieder „spürbar“ anziehe. In diesem Jahr werde das Transportaufkommen insgesamt um sechs Prozent zunehmen. Dabei werde die Frachtmenge auf der Straße um zehn Prozent, auf der Schiene sogar um elf Prozent zunehmen. Bei der Luftfracht werde das Plus gar bei 19 Prozent liegen.

Das UBA-Gutachten kommt aber zu dem Schluss, das die jetzige Schienen-Infrastruktur „den anvisierten Mengenzuwachs auf mehreren zentralen Strecken nicht bewältigen“ könne. Es drohe eine „chronische Überlast“, vor allem zwischen den Industriezentren entlang des Rheins. Auch für die kommenden Jahre gehen alle Prognosen von einem Anstieg des Güterverkehrs aus, bis 2025 sollen es mehr als 75 Prozent sein. Mit einem Sofortprogramm von elf Milliarden Euro ließe sich die Leistungsfähigkeit der Schiene aber verdoppeln, indem die derzeitigen Engpässe behoben werden. „Projekte, die den Schienen-Güterverkehr nicht maßgeblich voranbringen, sind zurückzustellen“, raten die Experten weiter.

In drei Stunden und 40 Minuten von Berlin nach München – das ist das Versprechen der ICE-Neubaustrecke von Berlin über Leipzig, Erfurt und Nürnberg nach München, die bis 2017 fertig sein soll. Doch nach dem Gutachten des Umweltbundesamtes (UBA) ist auch danach vorerst eine Fahrzeit von vier Stunden und zehn Minuten wahrscheinlich. Auf der vermutlich acht Milliarden Euro teuren Strecke gebe es auf einigen Abschnitten Verzögerungen, das UBA zitiert die Deutsche Bahn damit, dass in einem Bereich die vorgesehene Geschwindigkeit erst 2040 erreicht werden könne. brö

Carsten Brönstrup

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false