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Schlachten für drei Euro pro Stunde. Die Gewerkschaften werfen den großen Unternehmen der Branche vor, über Werkverträge die Löhne zu drücken. Belgien sieht den Wettbewerb und seine eigene Schlachtbranche gefährdet.

© picture-alliance / ZB

Schlachtbetriebe: Dumpingstandort Deutschland

Belgien will, dass die EU-Kommission gegen deutsche Schlachter vorgeht. Der Vorwurf: Lohndrückerei über Werkverträge. Auch die Gewerkschaft NGG berichtet von Stundenlöhnen von drei Euro.

Brüssel - Sie bekommen nur drei bis fünf Euro pro Stunde, sie wohnen zusammengepfercht in Kasernen und haben oft keinerlei soziale Absicherung, Betriebsräte sind für sie nicht zuständig: Arbeiter aus Osteuropa, vor allem aus Bulgarien und Rumänien, sollen unter diesen Bedingungen massenhaft in der deutschen Fleischindustrie arbeiten. Am Montag hat die belgische Regierung deshalb Beschwerde gegen Deutschland bei der EU-Kommission eingelegt. Der belgische Wirtschaftsminister Johan Vande Lanotte und Arbeitsministerin Monica De Coninck sprechen in dem Schreiben von „unwürdigen Praktiken“, denen die Kommission „ein Ende machen“ müsse.

Die belgischen Politiker reagieren mit dieser Beschwerde vor allem auf massiven Protest aus der eigenen Industrie. „Viele belgische Unternehmen müssen ihre Geschäfte nach Deutschland verlegen, um im Konkurrenzkampf überhaupt mithalten zu können“, zitiert die belgische Tageszeitung „Le Soir“ die Minister. Geschlachtet werde dann zwar noch in Belgien, doch das Zerlegen sei in Deutschland sehr viel billiger.

Auch die französische Fleischindustrie erhebt seit längerem schon Vorwürfe gegen deutsche Verträge für Arbeitskräfte aus Osteuropa. Ein großer französischer Schlachtbetrieb musste Anfang März Konkurs anmelden, nachdem er laut französischen Presseberichten jahrelang Marktanteile an deutsche Mitbewerber verloren hatte. Laut einem Bericht der „Lebensmittelzeitung“ macht der Konzern Gad für die anstehende Streichung seiner 1800 Arbeitsplätze das „Sozialdumping“ in Deutschland verantwortlich. Man habe mit der Billigkonkurrenz nicht mehr mithalten können.

„In der deutschen Schlachtindustrie herrschen teils unhaltbare Zustände“, sagt Claus-Harald Güster, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). „In vielen Betrieben gibt es heute kaum noch fest angestellte Mitarbeiter, der Großteil der Belegschaft ist über Leiharbeitsfirmen oder über Werkverträge mit Subunternehmen beschäftigt. Diese meist aus Osteuropa stammenden Arbeiter bekommen für die schwere Arbeit des Schlachtens und Zerlegens häufig nur absolute Dumpinglöhne.“

Allein 60 Millionen Schweine werden jährlich in Deutschland geschlachtet, jedes vierte davon geht in den Export. Von den rund 30 000 Menschen, die in der Fleischindustrie arbeiten, hat nach Informationen der Gewerkschaft inzwischen jeder Dritte einen sogenannten Werkvertrag. Das heißt, er ist nicht beim deutschen Schlachthof beschäftigt, sondern bei einem meist ausländischen Werkvertragsunternehmen. Welche Löhne das Subunternehmen zahlt, ist damit nicht mehr Sache des deutschen Schlachthofbetreibers, der auf einen rechtmäßigen Vertrag verweisen kann. Denn Werkverträge sind legal. Sie sind eigentlich dafür gedacht, Expertenwissen von außen einzukaufen. Das Gesetz sieht vor, dass die Werkvertragsarbeiter ihre Arbeitsanweisungen vom Subunternehmen bekommen, zeitsouverän arbeiten und ihre eigenen Betriebsmittel mitbringen. Verletzen die Betriebe diese Regeln, liegt verdeckte Leiharbeit vor – doch das ist schwer zu beweisen.

Im Rahmen der Dienstleitungsfreiheit können zudem Unternehmen aus EU-Staaten in anderen Mitgliedsländern ihre Dienste anbieten und dafür eigene Kräfte aus dem Heimatland anstellen. Voraussetzung ist, dass die Menschen nur vorübergehend für höchstens zwei Jahre entsandt werden. Außerdem müssen sie im Heimatland sozialversichert sein. Doch ob dies tatsächlich geschieht, ist nach Angaben der Gewerkschaft nur schwer nachprüfbar. Es gebe außerdem Berichte, so ein Kenner der Branche, nach denen die Arbeiter nach zwei Jahren in ihre Heimat zurückgeschickt würden, um sie dort bei einem neuen Subunternehmen anzustellen und umgehend wieder nach Deutschland zu holen. „In Deutschland wurde so in den letzten Jahren ein System errichtet, das es ermöglicht, Fleisch zu absoluten Niedrigstpreisen anzubieten“, sagt NGG-Vize Güster. „Wir kennen Fälle mit Stundenlöhnen von unter drei Euro, so etwas ist ein Skandal – in der Schlachtbranche ist Deutschland ganz klar ein Niedriglohnland.“

Tönnies, eines der größten deutschen Schlachtunternehmen, weist die Kritik zurück. „Der Vorwurf, unsere Subunternehmer würden Dumpinglöhne zahlen, geht an der Realität vorbei“, sagte Tönnies-Sprecher Markus Eicher. „Wir sind so wettbewerbsfähig wegen unserer hohen Produktivität und unserer Technologie, und nicht aufgrund angeblich zu geringer Lohnkosten.“ Der Anteil der Werkvertragsarbeitnehmer bei Tönnies belaufe sich – je nach Saison – auf 50 Prozent. Dies liege am starken Wachstum der Branche in den vergangenen Jahren. Auch das Schlachtunternehmen Vion teilt mit, der Einsatz von Subunternehmen sei in Deutschland „marktüblich“. Von den gut 10 000 Mitarbeitern in Deutschland seien etwa 40 Prozent über externe Dienstleister beschäftigt.

Offizielle Zahlen über Werkverträge gibt es nicht. Die Gewerkschaften aber klagen, dass die Zahl in Deutschland auch in anderen Branchen massiv zugenommen habe. Das liegt unter anderem daran, dass in der Leiharbeitsbranche inzwischen ein Mindestlohn von 8,19 Euro die Stunde im Westen gezahlt wird – für Werkverträge gibt es dagegen keine solche Regelung. Also weichen viele Unternehmen auf diese Möglichkeit aus. Das ist es auch, was Belgier und Franzosen so erbost. In ihren Ländern gilt ein flächendeckender Mindestlohn.

In beiden Ländern hofft man nun auf das Einschreiten der Kommission. Und auch in Brüssel wächst der Druck. Patrick Itschert, stellvertretender Generalsekretär des europäischen Gewerkschaftsbundes (ETUC), sagte: „Es muss eine Regelung auf europäischer Ebene gegen eine solche Ausbeutung gefunden werden. Wir werden uns dafür einsetzen.“ In Deutschland hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor wenigen Tagen angekündigt, gegen Lohndumping durch Werkverträge vorgehen zu wollen, die auch in anderen Branchen wie dem Einzelhandel mehr und mehr vorkommen. Betriebsräte sollen bei Werkverträgen mehr Mitspracherecht erhalten, wenn die Fremdarbeiter regelmäßig im Betrieb eingesetzt werden. Die Arbeitgeberverbände protestierten, Opposition und Gewerkschaften geht der Vorschlag dagegen nicht weit genug. Sie fordern einen gesetzlichen Mindestlohn, der dann ohne Ausnahmen gelten soll.Mitarbeit: Jahel Mielke

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