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Bald der Hüter des Euro. Mario Draghi, hier bei einer Rede in Rom, gilt als herausragender Experte. In knapp drei Monaten rückt der Italiener zum Präsidenten der Europäischen Zentralbank auf – die jetzt Staatsanleihen seiner überschuldeten Heimat kauft.

© Reuters

Schuldenkrise: Italienische Verhältnisse

Die Europäische Zentralbank kauft Anleihen aus Krisenstaaten auf. Kritiker fürchten um die Unabhängigkeit der EZB.

Man hätte zu gern gewusst, wie Mario Draghi abgestimmt hat. Doch über die Meinung des italienischen Notenbank-Chefs und künftigen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Aufkauf von Staatsanleihen aus Italien und Spanien durch die EZB drang am Montag nichts nach außen. Beobachter sehen aber keinen Zusammenhang. „Draghi blickt nicht durch die nationale Brille“, ist Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater überzeugt.

Vier Monate lang hatte das umstrittene Krisen-Programm geruht. Kritiker hofften bereits, die EZB werde den Aufkauf von Staatsanleihen der Euro-Krisenländer bald endgültig aufgeben. Schließlich widerspricht das Programm ihren eigenen Statuten. Die besagen, dass der EZB die Finanzierung von Staaten untersagt ist. Schon seit Ende vergangener Woche allerdings kauft die EZB wieder – diesmal Staatsanleihen aus Italien und Spanien –, um damit den Druck auf Zinsen und Renditen und damit auf die Haushalte der beiden Länder zu mildern. Sie hatten in den vergangenen Wochen immer höhere Zinsen zahlen müssen, wenn sie Geld am Kapitalmarkt aufnehmen wollten.

Offiziell, so der Sprachgebrauch der Notenbank auch nach der Krisen-Konferenz des EZB-Rates am Sonntag, dient der Anleihekauf der Unterstützung der Geldpolitik, der Behebung von Problemen auf den Märkten und letztlich der Preisstabilität. Freilich: Abnehmen tut dies der EZB kaum noch jemand. Von ihrer Unabhängigkeit sei derzeit nicht viel zu sehen, heißt es in Frankfurt. „Letztlich droht die Gefahr, dass sich der Charakter der EZB verändert, dass sie politischer wird“, fürchtet Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater.

Am Montag kaufte die EZB Händlern zufolge fünfjährige italienische und spanische Staatsanleihen, die Renditen fielen daraufhin um bis zu 0,7 Prozentpunkte. Über das Volumen der Aufkäufe wurde nichts bekannt. Die EZB selbst nennt nur das Gesamtvolumen, nicht einzelne Positionen. Seit Aufnahme des Programms im Mai 2010 hat sie Staatsanleihen im Volumen von 74 Milliarden Euro in ihre Bücher genommen – aus Griechenland, Portugal und Irland. Jetzt kommen Italien und Spanien dazu. In einer Erklärung hatte die EZB am Sonntagabend betont, dass sie das Programm wiederaufnehme, weil sich Spanien und Italien zu tiefgreifenden Reformen und die europäischen Regierungschefs sich zu strikten fiskalpolitischen Zielen verpflichtet hätten.

Die Gegner des Anleiheprogramms hat auch dies nicht überzeugt. Dazu zählt offensichtlich auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der bereits am Donnerstag in der turnusmäßigen Ratssitzung gegen die Wiederaufnahme der Käufe gestimmt haben soll. Genauso wie EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark, der zweite Deutsche im EZB-Rat. Und auch der Italiener Draghi gilt im Übrigen als einer der schärfsten Kritiker der italienischen Finanzpolitik und als konsequent stabilitätsorientierter Notenbanker.

Die Kritik an der EZB wird durch ihre neue Rolle im Kampf gegen die Krisen in den beiden großen Euro-Ländern Italien und Spanien aber größer. „Ob sie den richtigen Weg geht, ist in der Tat eine Frage“, sagt Michael Schubert, EZB-Beobachter bei der Commerzbank. Auf jeden Fall gehe sie ihren Weg konsequent. Immer wenn es zu massiven Verspannungen an den Finanzmärkten komme, greife sie ein. „Sie versucht, eine Kettenreaktion zu vermeiden.“ Im Gegensatz zur Politik könne die Notenbank schnell und flexibel reagieren. Damit aber werde sie auch zu einer Art „Lückenbüßer“. Schubert vermisst aber bei den Kritikern innerhalb der EZB – und damit auch bei Bundesbank-Präsident Weidmann – eine klar erkennbare Alternativstrategie.

Dekabank-Chefvolkswirt Kater sieht die EZB mit Blick auf Italien und Spanien nur vorübergehend gefordert. Spätestens Ende September, nach der Ratifizierung der Beschlüsse des EU-Krisengipfels vom 21. Juli, werde der neue Euro-Rettungsfonds EFSF den Ankauf von Staatsanleihen übernehmen und der EZB die italienischen und spanischen Anleihen wieder abnehmen. „Die EZB springt jetzt in die Bresche, um das Vertrauen auf den Märkten aufrechtzuerhalten.“ Auch EZB-Präsident Trichet rechnet laut einer Erklärung fest damit, dass der EFSF am Sekundärmarkt intervenieren wird, sobald ihn die Politik dazu autorisiert.

Gleichwohl wächst die Kritik an der Politik der Währungshüter aus Frankfurt. Wenn man die Maßstäbe anlege, die man früher an die Bundesbank angelegt habe, sei die EZB nicht mehr unabhängig, betont Johannes Reich vom Bankhaus Metzler (siehe Interview). Aber derzeit sei sie eben nicht in der Lage, eine unabhängige Stabilitätspolitik machen zu können. „Heute dominiert die Politik das Geschehen.“

Mit der Verwischung von Geld- und Finanzpolitik müsse es ein Ende haben, sagt auch Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. „Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse, die dazu führen, dass die Notenbank letztlich ihre Unabhängigkeit verliert.“ Bei der Lösung der Staatsschuldenkrise seien die Regierungen gefragt. Dies betont auch Trichet mit wachsender Verärgerung – und dies nicht erst seit gestern, sondern seit Jahren. Bislang allerdings mit wenig Erfolg. Den Preis dafür zahlt notgedrungen auch die EZB – unter anderem mit ihrem Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen der Euro-Krisenstaaten.

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