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Das Kreuz mit der Schweiz. Die Währung des Nicht-EU-Landes gilt in Krisenzeiten als Ziel von Anlegern aus aller Welt. Foto: dpa

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Schweizer Franken: Ungewollte Stärke

Der Höhenflug des Franken würgt die Schweizer Wirtschaft ab – Regierung und Notenbank sind weitgehend hilflos.

Graubünden tut gut – wenn man es sich leisten kann: Die südöstliche Region der Schweiz zieht Touristen aus aller Welt an. Die treuen Besucher schätzen die überwältigende Natur, die gemütlichen Einheimischen und die Spitzenhotellerie. Doch in diesem Jahr liegt ein Schatten auf dem Paradies: Der starke Franken.

Die massive Aufwertung der Schweizer Währung vor allem gegenüber dem Euro schreckt immer mehr Touristen ab. Vor allem Deutsche können sich einen Urlaub in Graubünden kaum noch leisten – sie stellen rund ein Viertel aller Besucher. Die Hoteliers in der Region klagen schon über massive Umsatzeinbußen. „Für die Ferienhotellerie ist es extrem“, sagt Jürg Domenig, Geschäftsführer des Hotelierverbandes. Er fürchtet, dass in den Spitzenmonaten Juli und August zwischen zehn und 20 Prozent weniger Gäste kommen. „Unsere nächste große Sorge ist die Wintersaison: Wenn der Franken so stark bleibt, muss man wohl auch mit Hotelschließungen rechnen“, sagt Domenig.

Nicht nur die Ferienindustrie ächzt unter dem Turbofranken: Fast die gesamte Wirtschaft des reichen Landes leidet. „Wir betrachten den momentanen Frankenkurs sowohl gegenüber dem Euro als auch gegenüber dem Dollar als massiv überbewertet“, sagt der Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, Thomas Jordan. „Das stellt eine Bedrohung für die Schweizer Wirtschaft dar.“

Der Dachverband der Unternehmen, Economiesuise, glaubt, dass die erst im Juni abgegebene Prognose für das Wirtschaftswachstum 2012 von 1,7 Prozent nicht mehr haltbar ist. „Eine Volkswirtschaft kann ein so massives Überschießen des Wechselkurses nicht wegstecken“, ist sich der Chefökonom des Verbandes, Rudolf Minsch, sicher. „Die Zahl der Arbeitslosen wird bei uns steigen.“

Zumal gegenüber dem Euro lässt der Franken die Muskeln spielen. Der Grund: Die Eurokrise treibt Anleger in die traditionelle Fluchtwährung. Zuletzt verlor der Franken zwar wieder etwas an Wert gegenüber dem Euro (siehe Grafik). Allerdings erhielt man am vergangenen Freitag in Wechselstuben immer noch rund elf Rappen mehr für einen Euro als vor genau einem Jahr. Oder andersrum: Schweizer erhielten für einen Euro Ende August 2010 noch 1,31 Franken. Jetzt sind es nur noch 1,16. Daher steht die Schweizer Exportindustrie nach wie vor mit dem Rücken zur Wand, da mehr als die Hälfte aller helvetischen Ausfuhren in den Euroraum gehen.

Beispiel Diogenes Verlag: Das renommierte Zürcher Haus verkauft mehr als 80 Prozent seiner Bücher in Deutschland und Österreich. Da die weichen Euro in harte Franken gewechselt werden müssen, sackt der Ertrag gewaltig. Gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“ klagt ein Mitarbeiter des Verlages über eine Ertragsminderung, die „deutlich in den siebenstelligen Ziffern liegt“.

Ähnlich ergeht es der Westschweizer Kudelski-Gruppe. Die Firma, die auf Verschlüsselungstechnik für den digitalen Fernsehempfang spezialisiert ist, hatte im ersten Halbjahr 2010 noch 32 Millionen Franken verdient. Ein Jahr später stand ein Verlust von 11,5 Millionen in den Büchern – vor allem wegen des ungünstigen Wechselkurses.

Manager des Uhren- und Luxusgüterherstellers Sycrilor aus Noirmont nahe der französischen Grenze kamen auf die Idee, Mitarbeiter künftig in Euro zu bezahlen, da schließlich eh viele im Nachbarland wohnen. Als diese von den Plänen erfuhren, traten 80 Mitarbeiter vergangenen Dienstag in einen Warnstreik. Der Schritt käme einer Gehaltskürzung von rund 30 Prozent gleich. Die Verhandlungen dauern an.

Die Regierung steht dem unerwünschten Höhenflug der Währung fast hilflos gegenüber: Erst spät beschloss das Kabinett, den angeschlagenen Firmen mit zwei Milliarden Franken zu helfen. Doch der Geldsegen aus Bern dürfte neuen Streit auslösen: Schon schimpfen Ökonomen über „Subventionierung und Wettbewerbsverzerrung“. Auch die Nationalbank tut sich schwer. Zwar fluten die Zentralbanker den Geldmarkt mit Franken, um den Kurs zu drücken. Doch der Tauschwert des Frankens zum Euro verharrt noch immer deutlich unter der Bandbreite von 1,30 bis 1,40. Diese Zielgröße entspricht der Kaufkraftparität des Euros zum Franken, Ökonomen nennen diesen Kurs „angemessenen“.

Immerhin: Einige, zumindest die grenznah wohnenden Schweizer profitieren. Seit Wochen stürmen die Eidgenossen deutsche, französische und italienische Supermärkte. Viele Produkte sind im Euroraum sehr viel billiger. Ein Beispiel: In der Eidgenossenschaft muss der Kunde pro Kilogramm Hühnchenbrust rund 34 Franken auf den Tisch legen. In Weil am Rhein ist die gleiche Menge für umgerechnet elf Franken zu haben.

Jan Dirk Herbermann

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