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Lernen auf dem Wasser. Lisa Röhl wird Binnenschifferin in Berlin.

© Kai-Uwe Heinrich

Seltene Ausbildungsberufe: Unter Artenschutz

Maßschuhmacherin, Modistin, Binnenschifferin: Auch in seltenen Berufen wird in Berlin noch ausgebildet.

Mona Bischler hat ihren Beruf lange gesucht. Nach dem Abitur ging sie auf Reisen: Auf einem Campingplatz in Frankreich kellnerte sie, in Belgien hatte sie einen Job beim Fernsehen, in Irland arbeitete sie im Kindergarten. Heute sitzt Mona (23) in einer Werkstatt in Berlin. Vor ihr steht ein schwarzer Schuh mit hohem Absatz und Plateau. Es ist früh am Morgen, es riecht nach Leder, nach Klebstoff und Tee. Sorgfältig bestreicht Mona die Innenseite des Schuhs mit einem breiten Borstenpinsel. Auf der Sohle klebt ein Schildchen: „Komische Oper Berlin.“

Vor wenigen Tagen hat sie ihre Ausbildung zur Maßschuhmacherin beim Berliner Bühnenservice begonnen. Die Werkstätten versorgen die Theater der Hauptstadt mit Requisiten, Kostümen – und Schuhen. „Ich finde es sinnvoll, Schuhe zu machen“, sagt Mona. „Die Arbeit hat einen Anfang und ein Ende, und danach kann man die Schuhe benutzen.“

In der Ausbildungslandschaft Berlins ist Mona ein Exot: Nur drei Maßschuhmacher-Azubis haben hier im vergangenen Jahr laut Statistik ihre Ausbildung begonnen. Der Bühnenservice nimmt nur einen Auszubildenden auf – einmal alle drei Jahre. Der Wettbewerb ist hart: 30 Jugendliche, die meisten von ihnen mit Abitur, haben sich auf die freie Stelle beworben, erzählt Schuhmachermeisterin Kornelia Thon. Chancen auf einen Arbeitsplatz bei Berliner Theatern: fast null. Das weiß auch Mona. Nach ihrer Ausbildung möchte sie studieren.

Maßschuhmacher ist nicht der einzige Beruf, der Seltenheitswert hat. Wer nach Glockengießern, Bürstenmachern oder Instrumentenbauern sucht, hat auch seine Mühe. Als 1969 das Berufsbildungsgesetz in Kraft trat, konnten Jugendliche zwischen 900 Berufen wählen, heute ist es nur ein Drittel. Wie das kommt, weiß Jürgen Grunwald. Beim Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn ist er für etwa zwei Drittel aller staatlich anerkannten Ausbildungsberufe zuständig. „Ob ein Beruf geschaffen, neu geordnet oder abgeschafft wird, bestimmt die Wirtschaft“, sagt Grunwald. Kein Bedarf, kein Beruf. 2013 mussten gleich elf alte Berufe abgeschafft werden, zum Beispiel Fräser, Drahtwarenmacher und Revolverdreher – sie sind in der „Fachkraft für Metalltechnik“ aufgegangen. Doch: „Solange es Bedarf an Fachkräften gibt, stirbt ein Beruf nicht aus. Es gibt so etwas wie Artenschutz für kleine Berufe“, sagt Grunwald.

Zum Beispiel für Alina Bader (28). Sie macht ihre Ausbildung zur Modistin im dritten Lehrjahr. In der Berufsschule sitzt sie zusammen mit sechs Kollegen aus ganz Norddeutschland. Ihr Arbeitsplatz ist die Hutmacherei Yva Hüte in Berlin- Charlottenburg: Eine Nähmaschine, ein Bügeleisen und Kleber stehen auf dem Arbeitstisch. Auf der Fensterbank steht ein mit Wasser gefüllter Glasbehälter, der ein wenig wie ein Küchenmixer aussieht – der Dampfapparat. „Das Ausgangsmaterial ist der Hutstumpen“, erklärt Alina und zeigt einen Filzrohling. „Er wird mit dem Dampfapparat weich gemacht, bis er ganz plastisch ist, wie Knete“, sagt sie. Im Moment arbeitet sie an der Kopie eines braunen Filzhutes, den die Kundin genauso in Grau bestellt hat. „Design ist nicht der Schwerpunkt der Ausbildung“, sagt die Inhaberin des Geschäftes, Katharina Sigwart. Materialkenntnis sei wichtiger. Geld gibt es übrigens auch wenig. Um ihre Ausbildung zu finanzieren, zehrt Alina von Erspartem.

Nicht nur auf die Azubis, auch für die Betriebe sind seltene Berufe teuer. „Ein Problem ist, dass Länder demografisch bedingt ihre Fachklassen häufig nicht mehr füllen können“, sagt Jürgen Grunwald. Erst ab 15 Schülern lohne sich eine Klasse vor Ort, zwei Drittel der staatlichen Ausbildungsberufe würden inzwischen in Landes- oder Bundesklassen unterrichtet. „Die ortsferne Beschulung kostet die Auszubildenden und Betriebe viel Geld“, sagt der Berufsforscher.

Wer Lisa Röhl zuhört, glaubt kaum, dass die Berufsschule weitab von zu Hause ein Problem ist. „Die Schule ist ein riesengroßes schwimmendes Internat“, erzählt die 20-Jährige, die das dritte Jahr ihrer Ausbildung zur Binnenschifferin bei der Stern- und Kreisschifffahrt Berlin begonnen hat. Drei Monate im Jahr verbringt Lisa auf dem Schulschiff in Duisburg, wo neben Binnenschiffern auch Bootsbauer und Hafenlogistiker ausgebildet werden. Fünf Jugendliche nimmt die Stern- und Kreisschifffahrt jedes Jahr an Bord. Wer dort eine Ausbildung beginnt, hat beste Aussichten auf einen Job im Unternehmen. „Wir bilden für den eigenen Nachwuchs aus“, sagt Geschäftsführer Jürgen Loch. Wenn sie fertig ist, möchte Lisa aber zunächst auf einem Güterschiff am Rhein arbeiten. Später will sie zurück nach Berlin.

Julia Rotenberger

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