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Wirtschaft: „Sie haben nicht den besseren Blick“

Ratingagenturen werden seit Ausbruch der Finanzkrise scharf kritisiert. Dabei haben sie längst an Einfluss verloren

Frankfurt am Main – Gestern Griechenland, heute die Vereinigten Staaten: Ratingagenturen können sich angesichts der massiven Schuldenprobleme in Europa, aber auch in Japan und in den USA derzeit vor Arbeit kaum retten.

Sie bewerten die Kreditwürdigkeit von Staaten, von Finanzprodukten oder auch die von Unternehmen, wenn diese sich am Kapitalmarkt Geld beschaffen wollen. Für Investoren sind die Ratingagenturen wichtige Entscheidungshilfen für den Kauf von Anleihen. Zum Teil sind externe Ratings sogar Pflicht, beispielsweise, wenn Versicherungen die Gelder ihrer Kunden anlegen.

Spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise sind die Agenturen aber in die Kritik geraten, vor allem die großen Drei: Fitch, Moody's und Standard&Poor's. Damals sollen sie verbriefte US-Immobilienkredite viel zu positiv bewertet, im Zuge der Staatsschuldenkrise sollen sie mit zu negativen Einstufungen etwa für Griechenland die Turbulenzen noch befeuert haben. „Bisher haben sie in jeder Krise massiv versagt“, lautet das Urteil des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger. Er vermisst echten Wettbewerb und fehlende Haftungsvorgaben für die Agenturen.

Tatsächlich beherrschen die drei in New York beheimateten Großen mit einem Anteil von mehr als 90 Prozent das Geschäft. Ein weiterer Kritikpunkt ist das Geschäftsmodell: Die Agenturen werden ausgerechnet von den Unternehmen bezahlt, die sie benoten. Manchmal beraten sie die Banken sogar bei der Konstruktion der Finanzprodukte, die sie anschließend bewerten.

Angesichts der Dominanz der US-Firmen gab es von der Politik immer wieder Bestrebungen zur Gründung einer unabhängigen europäischen Agentur. Bislang aber ohne Ergebnis. Mittlerweile werden die Ratingagenturen in Europa aber stärker kontrolliert. Wenn sie zum Beispiel in Deutschland tätig sein wollen, müssen sie sich bei der Finanzaufsicht Bafin registrieren lassen. Dann gelten strenge Verhaltensregeln, die Agenturen dürfen ein Unternehmen etwa nicht gleichzeitig bewerten und beraten. Und sie müssen ihre Arbeitsmethoden offenlegen.

Ohnehin hat sich der Einfluss der Agenturen abgeschwächt. „Sie haben an Bedeutung verloren. Viele Finanzmarktteilnehmer sehen sie kritischer und setzen auf eigene Analysen“, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank. „Die Agenturen haben nicht den besseren Blick.“ Diese Einschätzung ist auch bis zu den Konzernen durchgedrungen. Adidas, SAP, Solarworld oder der Pharmahändler Celesio verzichteten 2010 bei der Begebung neuer Anleihen bewusst auf ein Rating. Zumal dieses mit sechsstelligen Summen pro Jahr ein beträchtlicher Kostenfaktor ist. Den Anleihen hat es kaum geschadet. Meist waren sie überzeichnet und schnell verkauft. Rolf Obertreis

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