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SIEMENS UND DIE BAHN Der Kampf gegen die Korruption: Ein Anfang ist gemacht

Der erste Prozess um die schwarzen Kassen bei Siemens hat begonnen. Der Angeklagte reißt seine Vorgesetzten rein

Er ist es nicht gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen. Aber scheu ist er nicht. Reinhard Siekaczek blickt direkt in die Kameras der Fotografen und Fernsehteams. Er scherzt ein wenig mit seinen Anwälten. Entschlossen wirkt er: Der frühere Siemens-Direktor wird heute im Schwurgerichtssaal des Münchner Landgerichts ein Geständnis ablegen. „Natürlich war mir und allen bekannt, dass wir Provisionen bezahlen, um Aufträge und Informationen zu erhalten“, sagt der Angeklagte. Und natürlich sei allen Beteiligten klar gewesen, dass das ungesetzlich war. Seine Vorgesetzten, seine Kollegen, alle hätten ihm vertraut. Darum sei bei einem konspirativen Treffen im Gasthaus „Alter Wirt“ auch gleich klar gewesen, dass er sich um die Sache kümmert.

Es ist der erste Prozess in der Siemens- Schmiergeldaffäre. Etwa 1,3 Milliarden Euro sollen in den Jahren 1999 bis 2006 in dubiose Kanäle geflossen sein. Siekaczek soll die schwarzen Kassen im früheren Telekommunikationsbereich des Konzerns verwaltet haben. Im November 2006 saß er zwei Wochen in Untersuchungshaft und sagte schon damals umfangreich aus. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Untreue in 58 Fällen vor. 33 Seiten umfasst die Anklageschrift, die Staatsanwältin Nora Kaiser mehr als eine Stunde lang vorträgt.

Nach eigenem Gutdünken soll Siekaczek laut Staatsanwaltschaft zwischen 2001 und 2004 Zahlungen von insgesamt rund 53 Millionen Euro für Scheinberaterverträge bewilligt haben. Das Geld soll dann für Provisionen eingesetzt worden sein, um Aufträge im Ausland zu gewinnen: in Nigeria, Griechenland oder Russland. Abflüsse von diskreten Zahlungen, nennt der Angeklagte das. Doch dass er nach eigenem Gutdünken handelte, bestreitet er. Er habe sich mit seinen Vorgesetzten abgestimmt. „Das ganze System war schon immer auf Vertrauen angesetzt.“ Als eine Mitarbeiterin der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG ihn auf dubiose Buchungen angesprochen habe, sei das zwar bis zum damaligen Finanzchef Heinz- Joachim Neubürger in den Zentralvorstand vorgedrungen. Doch dann sei nichts passiert. Thomas Ganswindt, früher ebenfalls Mitglied im Zentralvorstand, will Siekaczek um Hilfe gebeten haben. Der Prozess gegen Siekaczek ist erst der Anfang. Rund 300 Beschuldigte führt die Münchner Staatsanwaltschaft in ihren Akten.

Siekaczek, 1950 in Erding bei München geboren, hat sein ganzes Berufsleben bei Siemens verbracht – angefangen 1966 mit einer Lehre zum Industriekaufmann. Stolz erwähnt er, dass er die Lehrstelle bekam, ohne ein Mitarbeiter- oder Kundenkind gewesen zu sein. Die Abschlussprüfung habe er mit „gut“ bestanden. Er spricht ruhig und unaufgeregt, meist faltet er die Hände vor sich auf dem Tisch. Siekaczeks sonore Stimme verrät seine oberbayerische Herkunft. Was er sagen will, hat er sich auf mehreren Din-A4-Seiten aufgeschrieben und nach Themenkomplexen geordnet. Knapp fünf Stunden trägt er vor und beantwortet Fragen. 50 Minuten Pause gewährt der Vorsitzende Richter Peter Noll, danach sitzt Siekaczek ohne Jackett im hellblauen Hemd da. Es ist heiß und stickig in dem zwölfeckigen Sitzungssaal.

Immer wieder habe ihn Siemens in seiner Laufbahn mit schwierigen Aufgaben betraut, sagt Siekaczek. Erst Ende 1999 will er von einem System schwarzer Kassen erfahren haben. Erst kurz zuvor war die Bestechung von Amtsträgern im Ausland strafbar geworden. Es sei schwer gewesen, das gewohnte Vorgehen zu beenden, erläutert Siekaczek und benutzt das Bild von einem ICE, der mit Tempo 250 auf einen Bahnhof zurast. So ein Zug sei nicht leicht zu stoppen. Seine Aufgabe sei es sogar gewesen, den Wildwuchs an Beraterverträgen einzudämmen.

Die 5. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts hat zahlreiche Zeugen benannt. Doch Neubürger, Ganswindt und andere einst führende Siemens-Manager haben bereits mitgeteilt, dass sie von ihrem Recht Gebrauch machen werden, nicht auszusagen.

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