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Was bringt die Zukunft? Das erhitzte und im Wasser erstarrte Blei dient seit Jahrhunderten als Medium der Wahrsagerei. Die Römer fingen damit an.

© picture alliance / ZB

Silvesterspaß und Spekulationsobjekt: Leicht wie Blei

Schillernd und giftig: In der Silvesternacht wird Blei zum Orakel, auf dem Rohstoffmarkt wird damit spekuliert. China dominiert den Markt - und manchmal das Wetter.

Mit einem kurzen Zischen erstarrt die Zukunft im Wasserbad. Auch in dieser Silvesternacht werden beim Bleigießen tausendfach blaugraue Metallstückchen über Kerzen erhitzt, ins Wasser gegossen und als Orakel herausgefischt. Das Brauchtum, aus bleiernen Zufallsfiguren und ihrem Schattenwurf die Zukunft sprechen zu lassen, reicht zurück bis zu den Römern – und hat an Anziehungskraft nichts eingebüßt.

„Bleigießen liegt voll im Trend – gerade bei den jungen Leuten“, sagt Jörg Reisemann, Geschäftsführer des Berliner Traditionshändlers Deko Behrendt. „Einige hundert“ Sets fürs Bleigießen verkauft Reisemann jedes Jahr vor Silvester. „Das ist beachtlich.“ Der etwas piefige, in die Jahre gekommene Partyspaß sei regelrecht wiederbelebt worden.

Dabei ist Blei – anders als die Edelmetalle Gold, Silber und Platin – eigentlich keine Sache, mit der man sich gerne beschäftigt. Das natürlich vorkommende „Primärmetall“ ist hochgiftig und fällt im Alltag allenfalls unangenehm auf, wenn es das Trinkwasser in alten Rohren verseucht. Doch die Geschichte des Bleis ist schillernd und seine Bedeutung als Industrierohstoff nach wie vor groß.

Die Römer gossen zum ersten Mal Blei

Bereits in der Bronzezeit wurde Blei bei der Herstellung von Metallgegenständen verwendet, die Babylonier fertigten Kunstgegenstände und Vasen daraus. Die Römer, die erstmals Bleiverhüttung in größerem Umfang betrieben, sahen in geschmolzenem Metall erstmals ein Medium zur Wahrsagerei – sie legten den Ursprung des Bleigießens.

Als Produktionsmittel wurde Blei im Laufe der Jahrhunderte von Aluminium, Kupfer und Zink verdrängt, es bleibt aber bis heute ein wichtiger Baustein der Industrie. Und seit die Finanzindustrie Derivate erfindet – also Wertpapiere, die den Rohstoffhandel auch ohne die physische Verfügbarkeit des Metalls erlauben –, schlägt der Preis Kapriolen.

In den Händen der Spekulanten verliert Blei an Gewicht. Federleicht trieb der Preis für eine Tonne des weichen Industriemetalls in den vergangenen Jahren hin und her. Im Oktober 2007 kletterten die Notierungen an der Londoner Warenterminbörse bis auf fast 4000 Dollar, anschließend rauschten sie in der Finanzkrise bis auf knapp 900 Dollar hinunter. Inzwischen kostet die Tonne Blei wieder gut 1800 Dollar – aber auch im nun zu Ende gehenden Jahr war der Rohstoff schon einmal 500 Dollar teurer.

Die Zyklen der Weltwirtschaft bewegen den Preis

Die schwankende Preisentwicklung erklärt sich mit den Zyklen der Weltwirtschaft – vor allem mit der Konjunktur in China. Denn die Volksrepublik verbraucht etwa die Hälfte des jährlich auf den Markt kommenden Bleis. Zuletzt waren dies fast fünf Millionen Tonnen. Es sind buchstäblich die Motoren der Welt, die auf Blei angewiesen sind. Nahezu 80 Prozent der weltweiten Bleiproduktion werden heutzutage für Autobatterien verwendet. Auch in Abgaskatalysatoren wird Blei verbaut, ebenso beim Strahlenschutz, in der chemischen Industrie und für Kabel, Dichtungen und Leitungen. „Der Automobilzyklus bewegt den Bleipreis aber am stärksten“, erklärt Heinrich Peters, Rohstoffexperte bei der Hessischen Landesbank. Dabei spielt manchmal auch das Wetter eine Rolle: Fegen zum Beispiel frostige Winterstürme über den nordamerikanischen Automarkt, steigt die Nachfrage nach Batterien – und nach Blei. Sinkt, wie in diesem Jahr, der Ölpreis, steigt ebenfalls die Nachfrage – weil mehr Autos gekauft werden.

Für den rapiden Preisverfall der vergangenen Monate – der Bleipreis sackte seit Anfang August um 20 Prozent ab – war allerdings vor allem die schwächere chinesische Wirtschaft verantwortlich. Schon die kleinsten Hinweise auf eine langsamere Gangart in China sorgen auf den turbulenten Rohstoffmärkten für Unsicherheit. Experten wie Heinrich Peters sprechen deshalb von einer „fragilen Situation“, wenn sie nach den Aussichten für das kommende Jahr gefragt werden. Hinzu kommt: „Die Märkte für Primärmetalle haben in den letzten Jahren deutlich an Transparenz verloren“, gibt Peters zu bedenken. „Verzerrungen auf der Angebotsseite“ hätten den Bleipreis immer wieder nach oben oder unten getrieben.

Die Förderländer beteiligen sich an der Spekulation

Ein Grund: Auch die Förderländer und Minenbetreiber sind, ähnlich wie beim Öl, Teil des spekulativen Spiels mit Angebot und Nachfrage. Indem sie die Menge des produzierten Bleis steuern, haben sie Einfluss auf den Weltmarktpreis. Hier dominiert ebenfalls China mit den größten natürlichen Bleierzvorkommen – neben den USA und Australien. Die drei Länder verfügen über zwei Drittel des weltweiten Erzes, das Schätzungen zufolge in gut 40 Jahren abgebaut sein wird. Steigt die weltweite Nachfrage rasant, könnten die endlichen Ressourcen aber auch schon viel früher verbraucht sein.

Sorge vor einem Engpass müssen künftige Generationen von Bleigießern indes nicht haben. Weil Blei so giftig ist, steigt der Anteil des aus dem Recycling gewonnenen Metalls von Jahr zu Jahr. Und: „Reines Blei wird für die Party-Sets gar nicht mehr verwendet“, sagt Jörg Reisemann von Deko Behrendt. Stattdessen würden weniger schädliche Ersatzstoffe wie zum Beispiel Zinn benutzt. Verbraucherschützer raten dennoch dazu, auf die Inhaltsstoffe der Packungen zu achten.

Darauf verzichten kann, wer das Orakel digital befragt: Mit der Smartphone-App „Bleigießen“ verläuft die Silvesterparty schadstoff- und rückstandsfrei – der Download kostet 89 Cent.

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