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Wirtschaft: Stabilitätspakt wird im Kriegsfall ausgesetzt

EU-Kommission räumt Deutschland vorübergehend größeren Defizit-Spielraum ein / Leitzinssenkung möglich

Brüssel / Berlin (msb/asi). Ein langer IrakKrieg würde das Wachstum in den zwölf Euro-Ländern weiter bremsen. In diesem Fall drohten dem Euro-Raum „Rezession und Stagnation“ (siehe Lexikon), sagte der Generaldirektor für Wirtschaft in der EU-Kommission, Klaus Regling, am Montag in Brüssel. Angesichts der mageren Wachstumsaussichten darf Deutschland in diesem Jahr voraussichtlich ein höheres Haushaltsdefizit erwirtschaften, als im Stabilitätspakt erlaubt. Die EU-Mitgliedstaaten würden im Kriegsfall ein deutsches Haushaltsdefizit von mehr als drei Prozent vorübergehend hinnehmen, sagte Regling.

Für die deutsche Regierung bedeuten diese Pläne der Kommission eine ganz klare Entlastung. Ohnehin glaubt in Berlin kaum noch jemand, dass die finanzpolitischen Ziele von Finanzminister Hans Eichel (SPD) in diesem Jahr eingehalten werden können. Eichel plant eine Gesamtverschuldung der Haushalte von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen von 2,75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Seine Annahmen fußen allerdings auf einem Wachstum der Wirtschaft von einem Prozent und einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von 4,2 Millionen. Dass diese Ziele kaum einzuhalten sind, prognostizierten beinahe alle Forschungsinstitute in den vergangenen Monaten – und zwar unabhängig davon, ob es im Irak zum Krieg kommt oder nicht.

Auch in der EU wird die Prognose pessimistischer. In ihrem am Montag veröffentlichten Quartalsbericht rechnet die Kommission im laufenden Jahr nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von einem Prozent. Bisher war sie von 1,8 Prozent ausgegangen. Sollte es zu einem langen Krieg und einem für lange Zeit um mehr als 50 Prozent erhöhten Ölpreis kommen, habe dies massive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, heißt es in Brüssel. Das Verbraucher- und Investitionsverhalten, der internationale Handel, die Börsen und die Währungsstabilität würden negativ beeinflusst. Im Stabilitätspakt würde dann voraussichtlich erstmals der Fall einer „ungewöhnlichen, von den Mitgliedstaaten nicht zu kontrollierenden Lage mit großen Auswirkungen auf die Wirtschaftssituation“ eintreffen. EU-Währungskommissar Pedro Solbes erklärte, im Fall eines Krieges könnten die Leitzinsen weiter gesenkt werden. Die Europäische Zentralbank hatte erst zu Monatsbeginn um 0,25 Punkte auf 2,50 Prozent nach unten gesetzt.

Für den Fall eines Irakkrieges zeichnet die EU-Kommission verschiedene Szenarien. Die erste Annahme geht davon aus, dass die Ölpreise in gleichem Ausmaß ansteigen würden wie beim Golfkrieg 1990/91, das heißt in den ersten sechs Monaten nach Ausbruch des Krieges um 50 Prozent. Die Folge: 0,1 Prozent Wachstumsverlust und eine um 0,1 bis 0,2 Prozent höhere Inflation. Das zweite Szenario geht davon aus, dass der Ölpreis länger als sechs Monate auf einem um mehr als 50 Prozent höheren Niveau bleibt. Dann würde sich das Wachstum drei bis viermal so stark abschwächen. Das hätte auch gravierende Folgen für Deutschland.

Die Warnungen von Finanzminister Eichel, der Stabilitätspakt werde im Fall eines Irak-Krieges nicht einzuhalten sein, hat Bundeskanzler Gerhard Schröder an diesem Wochenende noch einmal bekräftigt. „So oder so“, sagte Schröder, „je nachdem, ob es uns gelingt, die friedliche Abrüstung des Iraks durchzusetzen oder ob es Krieg im Irak gibt, wird das Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, auch auf die deutsche Wirtschaft haben, keine Frage.“ Es werde aber oft übersehen, dass der Stabilitätspakt für unvorhergesehene Ereignisse mit tiefgreifenden Folgen Reaktionsmöglichkeiten vorsehe.

Entsprechende Vereinbarungen mit den EU-Partnern hatte Schröder in seiner Regierungserklärung am Freitag bereits angekündigt. Die Finanzpolitiker von Koalition und Opposition erwarten, dass sich Eichel – vielleicht noch in dieser Woche – sowohl zur Einhaltung der Maastricht-Grenze 2003 als auch zur Erreichbarkeit des Zieles, ab 2006 keine neuen Schulden mehr zur Finanzierung der Haushalte zu machen, äußern wird.

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