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Die angeschlagene Fluglinie braucht die Einkünfte aus den Codeshare-Flügen dringend.

© Daniel Reinhardt/dpa

Streit um Codesharing mit Etihad: Air Berlin hängt in der Luft

Der Streit um die Partnerflüge von Air Berlin und Etihad Airways beschäftigt Politiker und Richter. Der Winterflugplan ist vorerst bis 15. Januar genehmigt. Was steht da auf dem Spiel?

Im Streit um Gemeinschaftsflüge von Air Berlin und Etihad können die Fluggesellschaften erst einmal durchatmen. Das Verwaltungsgericht Braunschweig verpflichtete das Luftfahrtbundesamt (LBA) am Freitag, Etihad den Winterflugplan für Fluglinien- und Codeshare-Dienste befristet zu genehmigen, sagte Gerichtspräsident Wolfgang Bartsch. Die strittigen Strecken „werden Etihad Airways letztmalig und befristet bis zum 15. Januar 2016 ermöglicht“, teilte ein Sprecher der Bundesregierung am Abend mit. Die arabische Fluggesellschaft, die 30 Prozent an Air Berlin hält, hatte eine einstweilige Verfügung beantragt, um die gemeinsamen Flüge mit Air Berlin zu schützen.

Wegfall könnte für Air Berlin das aus bedeuten

Die Bundesregierung verhandelt derzeit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, in welchem Umfang diese Flüge weiterhin angeboten werden dürfen. Die Zeit drängt: Der Winterflugplan beginnt bereits an diesem Sonntag. Air Berlin will mit Etihad 65 Codeshare- Flüge anbieten. Die Beamten des Verkehrsministeriums sehen für 29 davon keine rechtliche Basis. Die Airline könne nicht länger warten, bis die deutsche Regierung eine Entscheidung fälle, begründete Etihad am Freitag seinen juristischen Schritt. Die beiden Fluglinien hätten bereits 82.000 Reisen für die betroffenen Routen verkauft.

Mit den Codeshare-Flügen macht die angeschlagene Air Berlin nach eigenen Angaben einen zusätzlichen Umsatz von etwa 140 Millionen Euro im Jahr. In einem Brief an Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte der Betriebsrat davor gewarnt, ein Wegfall der Gemeinschaftsflüge könne für Air Berlin „existenzbedrohend“ sein. So hat ein Thema, das bisher nur Insider der Luftverkehrswirtschaft interessierte, mittlerweile Politiker, Diplomaten, Mitarbeiter und nicht zuletzt Passagiere verunsichert.

Codeshare-Flüge: Was ist das und warum sind sie für Air Berlin so wichtig?

Am Sonntag stellt Air Berlin auf Winterflugplan um. Über die Internetseite oder im Reisebüro kann man zum Beispiel einen Flug um 11.30 Uhr ab Tegel nach Bangkok buchen, Flugnummer AB7492. Tatsächlich fliegt Air Berlin schon seit Jahren nicht mehr direkt nach Thailand. Der Flug geht nur bis ins Emirat Abu Dhabi, wo Air Berlins Partnerfluglinie Etihad ihr Drehkreuz hat. Passagiere müssen zwar in eine Etihad-Boeing umsteigen, sich aber um sonst nichts weiter kümmern.

Insgesamt 35 Ziele in Asien kann Air Berlin mit geteilter Flugnummer (englisch Code) so über Etihads Netz anbieten, ohne selbst hinfliegen zu müssen. Noch wichtiger für Air Berlin: Über diese Praxis kommen Etihad-Passagiere aus Asien ins europäische Streckennetz von Air Berlin. Seit 2012 haben rund zwei Millionen Passagiere diese Codeshare-Strecken der beiden Fluggesellschaften gebucht, was Air Berlin einen zusätzlichen Umsatz von 255 Millionen Euro einbrachte. Air Berlin erklärt, dass rund 140 Millionen Euro Umsatz im Jahr verloren gehen könnten, wäre diese Praxis nicht mehr erlaubt.

Die Summe scheint angesichts von einem Jahresumsatz von 4,16 Milliarden Euro (2014) zwar überschaubar. Doch der Wettbewerb ist hart in dieser Branche, strategisch wäre es ein gewaltiger Rückschlag, wenn diese Passagiere mit der Konkurrenz gen Osten fliegen. „Wir würden den Umsatzausfall zur Zeit nicht verkraften“, heißt es in der Zentrale.

Worüber wird gestritten? Warum ist die Angelegenheit ein Politikum?

Treiber des Streits sind in erster Linie die Konkurrenten wie Lufthansa, die selbst Langstreckenverbindungen nach Asien unterhalten. Aber auch Air Berlins Wettbewerber aus dem Billigflugsegment wie Ryanair und Easyjet hätten nichts dagegen, wenn die zweitgrößte deutsche Airline insgesamt vom Markt verschwände. Das brächte ihnen auch auf Kurzstrecken die Chance, Marktanteile zu gewinnen. Die Kritik der Airlines richtet sich nicht gegen das Codeshare-Prinzip selbst. Denn viele Airlines, vor allem die, die sich zu Luftfahrtallianzen wie Star Alliance oder One World zusammengeschlossen haben, teilen sich Flugnummern. Nur wird das Verfahren selten so konsequent und erfolgreich praktiziert wie von Air Berlin und Etihad. Also dringt die Konkurrenz besonders leidenschaftlich auf die Einhaltung der Regeln. Dafür zuständig ist das Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig. Diese Behörde, die dem Bundesverkehrsministerium untersteht, muss alle Flugpläne absegnen. Sie prüft zum Beispiel, ob die bilateralen Luftverkehrsabkommen eingehalten werden. Darin wird zum Beispiel geregelt, dass sich zwei Staaten gegenseitig eine ähnliche Zahl an Landerechten einräumen. Ein Ungleichgewicht könnte die Fluggesellschaften eines Landes benachteiligen. Während die Zulassung in den allermeisten Fällen nur eine Formsache ist, hat sie in dem vorliegenden Fall aus mehreren Gründen eine spezielle Würze: So ist es für Marktführer Lufthansa ein besonderes Ärgernis, dass Air Berlin mit Etihad ausgerechnet eine der hochsubventionierten Airline vom Arabischen Golf als Geldgeber und Partner hat.

Vorwürfe gegen Dobrindt

Die Arabischen Emirate möchten mit ihren Airlines Etihad und Emirates möglichst viele deutsche Städte anfliegen. So bemüht sich Emirates aus Dubai lange erfolglos um Landerechte für Berlin. Lufthansa sperrt sich dagegen. Dem deutschen Konzern brächte es nichts, wenn er im Gegenzug mehr Landerechte in den relativ kleinen Emiraten bekäme. So ist zu erklären, warum die arabischen Behörden die Verhandlungen bremsen. Der Fall ist auch innenpolitisch brisant. So gibt es Stimmen – auch innerhalb des Unions-Lagers –, die Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt von der bayerischen CSU unterstellen, er würde den Streit so lange gären lassen, um damit die Lufthansa und ihr wichtiges internationales Drehkreuz am Flughafen München zu stärken. Könnte Air Berlin die Partnerschaft mit Etihad nicht in der bisherigen Form fortsetzen, wäre das eine Schwächung der großen Air-Berlin-Standorte in Tegel und Düsseldorf – glaubt man ebenda. Dobrindt dürfte diese Anschuldigungen naturgemäß weit von sich weisen.

Wie geht es Air Berlin?

Seit 2011 hat die Fluggesellschaft, die nach eigenen Angaben in Europa mehr als 30 Millionen Kunden hat, mehr als eine Milliarde Euro verbrannt. Allein im vergangenen Jahr waren es fast 400 Millionen Euro. In der Bilanz klaffen riesige Löcher: Mitte des Jahres hatte das Unternehmen 770 Millionen Euro Schulden. Das ist deutlich mehr als der Wert des gesamten Vermögens. Das Eigenkapital ist seit zwei Jahren aufgezehrt, in der Bilanz steht inzwischen ein Minus von 575 Millionen Euro. Gäbe es Etihad nicht, wäre Air Berlin längst insolvent.

Glaubt man Vorstandschef Stefan Pichler, wird Air Berlin trotzdem im kommenden Jahr wieder in die operative Gewinnzone fliegen. Nicht weniger als eine „Kulturrevolution“ habe er im Unternehmen angezettelt, um das Geschäft wieder profitabel zu machen, sagte Pichler im Frühjahr. Air Berlin habe einen „langen Weg“ vor sich. Etliche Manager hat der 57-Jährige mittlerweile ausgetauscht. Im November will er weitere Details seines Sanierungsprogramms erläutern.

Klar ist, dass überall gespart werden muss. Vor allem die Verwaltung soll schlanker werden. Bis zu 1000 der noch rund 8400 Arbeitsplätze könnten verloren gehen. Außerdem wird die Flotte (rund 140 Flugzeuge) verkleinert und das Streckennetz neu geordnet. Air Berlin ist alles zugleich – Billig- und Touristenflieger, Übersee- und Zubringer-Airline – und hat sich dabei verzettelt. Vernachlässigt wurden dabei nach Pichlers Diagnose vor allem der Vertrieb und die professionelle Vermarktung von Flügen auf allen analogen und elektronischen Plattformen. Und die Wettbewerber schlafen nicht. Vor allem die Billigflieger Easyjet und Ryanair machen Air Berlin schwer zu schaffen. Im Oktober will Ryanair, Europas größter Billigflieger, eine Basis am Berliner Flughafen eröffnen.

Aktuell ist Air Berlin von schwarzen Zahlen noch weit entfernt. Im ersten Halbjahr verlor Air Berlin im operativen Geschäft 176 Millionen Euro, gleichzeitig sank der Umsatz auf 1,9 Milliarden Euro. Weil Pichler das Streckennetz verkleinert hat, waren die Maschinen immerhin besser ausgelastet.

Wie wichtig ist Air Berlin für die deutsche Hauptstadt?

Auf der IHK-Liste der größten Arbeitgeber Berlins steht die Fluggesellschaft auf Platz 36. Demnach war Ende 2014 jeder dritte Mitarbeiter des Unternehmens – insgesamt rund 2700 – in Berlin beschäftigt. Der hintere Platz sagt indes wenig über die große Bedeutung aus, die Air Berlin für die Stadt hat. Der Flughafen Tegel ist Heimatbasis und Umsteigedrehscheibe der Fluggesellschaft. Air Berlin, die zweitgrößte deutsche Airline, ist hier mit einem Marktanteil von 33 Prozent noch vor dem Branchenprimus Lufthansa größter Kunde. Air Berlin wickelt fast jeden dritten der jährlich gut 30 Millionen Passagiere auf Verbindungen von und nach Berlin ab. Mit ihrem Namen ist die Gesellschaft ein perfekter Imageträger in der ganzen Welt – obwohl der Hauptsitz der als britische „Plc“ firmierenden Muttergesellschaft gar nicht Berlin ist, sondern Rickmansworth in Großbritannien ist. Doch Berlin ist nicht alles für Air Berlin – die Verbundenheit mit der Stadt wackelt. Die mehrfache Verschiebung und ungewisse Zukunft des Großflughafens BER verursacht Kosten und Ärger. Pichler zufolge entgehen Air Berlin wegen des BER-Desasters jedes Jahr 80 Millionen Euro an Erlösen. Zuletzt hatte es Spekulationen gegeben, die Airline könne ihr Engagement in Berlin zugunsten von Düsseldorf einschränken. Im September enthüllte Stefan Pichler eine umlackierte Maschine mit dem Schriftzug „Air Düsseldorf“, um die Verbundenheit mit dem Standort zu dokumentieren – ungeachtet des Streits um steigende Flughafengebühren. Die Berlin-Brandenburger Flughafengesellschaft wird angesichts des angekündigten Umbaus der Airline unruhig: „Air Berlin ist immer noch unser größter Kunde“, sagte Flughafenchef Karsten Mühlenfeld. „Wir wünschen uns alle, dass sie uns lang erhalten bleibt und nichts einschränkt.“

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