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Angst vor einem Gesetz. Feuerwehrleute planen derzeit, mit einer eigenen Berufsgewerkschaft ins Tarifgeschäft einzusteigen. Das könnte schwierig werden.

© dpa

Streit um Tarifeinheit: Beamte gegen DGB

Die gesetzliche Absicherung der ins Wanken geratenen Tarifeinheit in Betrieben gerät immer mehr zum juristischen Zankapfel. Ein neues Gutachten befürchtet die Dominanz der DGB-Mitglieder.

Berlin - Der Streit um die Zukunft der Tarifeinheit (ein Betrieb, ein Tarifvertrag) ist auf der Ebene der Gutachten angekommen. Nachdem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) den früheren Verteidigungsminister und Verfassungsrechtler Rupert Scholz bestätigen ließ, dass eine gesetzliche Festschreibung des Prinzips der Tarifeinheit mit dem Grundgesetz vereinbar sei, kontert nun der Beamtenbund (DBB). „Die vorgesehene Regelung stellt sich als verfassungswidriger Eingriff dar“, schreibt Professor Hermann Reichold von der Uni Tübingen in einem Rechtsgutachten, das vom DBB in Auftrag gegeben wurde.

Im Juni hatte das Bundesarbeitsgericht die Rechtsprechung zu dem Thema korrigiert. BDA und DGB schlugen deshalb gemeinsam eine gesetzliche Regelung vor, um die Tarifeinheit zu retten. Danach wäre künftig in einem Betrieb mit mehreren Tarifverträgen, die aber zumindest teilweise die gleichen Beschäftigtengruppen betreffen, „nur der Tarifvertrag anwendbar, an den die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden ist“. Und solange dieser Tarifvertrag gültig ist und Streiks verboten sind, soll das auch für die anderen Gewerkschaften gelten. Die Minderheitengewerkschaften dürften also auch nicht streiken, wenn das für die Mehrheitsgewerkschaft gilt.

Im Kern des Verfassungsstreits steht nun der Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz, der die Koalitionsfreiheit gewährleistet. Rechtsprofessor Reichold kommt zu der Einschätzung, dass durch die Verdrängung eines Tarifvertrags (durch den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft) die Koalitionsfreiheit nicht mehr gewährleistet sei. Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der BDA und maßgeblicher Befürworter einer gesetzlichen Fixierung der Tarifeinheit, verneint das. „Die Verdrängung eines Tarifvertrags durch einen anderen Tarifvertrag berührt die Koalitionsfreiheit nicht, wie das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren in einem Urteil zum Berliner Vergabegesetz festgestellt hat“, sagte Göhner dem Tagesspiegel.

Reichold dagegen argumentiert weiter mithilfe der Empirie. Das Nebeneinander verschiedener Tarifverträge sei „der Heterogenität verschiedener Berufsgruppen in ein und demselben Betrieb geschuldete (...) Arbeitsrechtspraxis“ und eine „gebotene Möglichkeit“, um die Tarifpluralität im Betrieb umzusetzen. Der DBB-Gutachter führt als weitere Bedenken gegen ein Gesetz die Festschreibung der Dominanz der großen DGB-Gewerkschaften an. Im Ergebnis würde der Koalitionspluralismus „lahmgelegt“. Alles in allem sei der von DGB und BDA beabsichtigte „Eingriff in die individuelle und kollektive Koalitionsfreiheit der verdrängten Gewerkschaften und ihrer Mitglieder“ nicht zu rechtfertigen, schreibt Reichold.

Für Göhner dagegen hält „das Gutachten von Professor Reichold einer näheren Überprüfung nicht stand“. Auch deshalb nicht, weil Reichold, anders als der eigene Gutachter Scholz, kein Verfassungsjurist sei. Inhaltlich merkt Göhner an, Reichold „unterstellt, dass die nach dem Industrieverbandsprinzip organisierten Gewerkschaften andere Gewerkschaften verdrängen würden. Das ist aber nicht der Fall, es gibt zahlreiche Gegenbeispiele in den 50 Jahren, in denen der Grundsatz der Tarifeinheit bestand“, sagte Göhner. Und im Übrigen missachte Reichold die unveränderte „Möglichkeit jeder Gewerkschaft, nach Ende der Friedenspflicht einen eigenen Tarifvertrag durchzusetzen“. Die Regierung hat sich – von Angela Merkel bis zur Arbeitsministerin Ursula von der Leyen – im Sinne Göhners und des DGB geäußert. Im Herbst wird ein Gesetzentwurf erwartet.

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