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Wirtschaft: Telekom – da gibt es viele Klagen

Auch in den USA drohen Schadenersatzprozesse wegen angeblich falscher Angaben im Börsenprospekt

Auf die Deutsche Telekom könnten nach den neuen Vorwürfen über angeblich falsche Angaben im Börsenprospekt neue Klagen aus den USA zukommen. „Das kann für uns Anwälte eine große Geschichte werden“, sagte der Münchner Rechtsanwalt Michael Witti dem „Tagesspiegel am Sonntag“. Er betrachte die Vorwürfe als „höchst gefährlich für die Telekom“. Witti arbeitet seit Jahren mit amerikanischen Anwälten zusammen, unter anderem in den Prozessen um die Entschädigung der Zwangsarbeiter oder auch im Fall der Lipobay-Opfer gegen den Pharmakonzern Bayer.

Anfang vergangener Woche hatte das ARD-Magazin Report berichtet, der Telekom-Großaktionär Bund sei vor dem dritten Börsengang der Telekom über mögliche Milliardenrisiken informiert gewesen und habe dies den Aktionären verheimlicht. In einem Schreiben vom September 1999 soll Ex-Finanzvorstand Joachim Kröske vor allem den rund zehn Milliarden Euro teuren Kauf des britischen Mobilfunkanbieters One-2-One für überteuert gehalten und lediglich fünf Milliarden Euro als angemessen betrachtet haben. Der Bund hatte dann im Juni 2000 rund 230 Millionen T-Aktien ausgegeben und 15,3 Milliarden Euro eingenommen. Der Ausgabepreis lag bei 66,50 Euro – kurz darauf ging die Aktie auf Talfahrt. Schlusskurs am Freitag: 10,67 Euro.

Finanzminister Hans Eichel hat den Vorwurf, die Anleger absichtlich über die wahre Lage des Unternehmens getäuscht zu haben, um möglichst viel Geld herauszuschlagen, zurückgewiesen. Allerdings räumte er ein, dass es beim Erwerb von One-2-One viele verschiedene Einschätzungen gegeben habe. Aber „unterschiedliche ökonomische Bewertungen“ seien etwas ganz anderes als eine „bewusste Täuschung“ der Öffentlichkeit.

Auch die Telekom weist den Vorwurf der Anlegertäuschung zurück. Es habe zwar verschiedene – optimistische und pessimistische – Bewertungsmodelle gegeben, aber bei der entscheidenden Aufsichtsratssitzung Ende August 1999 sei der Vorstand geschlossen aufgetreten. Es habe kein Modell Sommer und kein abweichendes Modell Kröske gegeben. Einig waren sich die beiden Manager aber keineswegs. Bereits im Oktober 1999 gab es Berichte über heftige Auseinandersetzungen, wie One-2-One angemessen bewertet sei. Insofern war diese Tatsache der Öffentlichkeit bereits bekannt. Warum hat die unterschiedliche Risikobewertung dann keinen Eingang in den Börsenprospekt gefunden? „Der Prospekt enthält alle für den Anleger wesentlichen Informationen“, sagt ein Telekom-Sprecher.

Anleger klagen bereits

Das sieht Anwalt Andreas Tilp von der Kanzlei Tilp&Kälberer aus Tübingen anders. Wenn solche Bewertungsrisiken bekannt gewesen seien, dann hätten sie im Börsenprospekt stehen müssen – und nicht nur in der Zeitung. Für ihn ist das nur ein weiterer Aspekt in den Prospekthaftungsklagen, die die Kanzlei bereits seit Anfang 2001 beim Landgericht Frankfurt (Main) eingereicht hat. Hierbei geht es um die angebliche bilanzielle Fehlbewertung des Telekom-Immobilienvermögens. „Natürlich glauben wir, dass wir gute Erfolgschancen haben“, sagt Tilp, sonst würde er nicht vor Gericht gehen. Die Kanzlei vertritt mehr als 100 Kläger. Etwa ebenso viele Kläger wie die Kanzlei Rotter aus München. „Die neuen Informationen sind sicher gut für den Fall“, sagt Franz Braun aus dem Büro Rotter. „Aber schon die alten Informationen sind absolut ausreichend für eine Prospekthaftungsklage.“

Doch es passiert nichts. Die zuständige Kammer in Frankfurt hat noch nicht einmal einen Termin für die Verhandlung benannt. Hinter der Verzögerung vermuten einige Anwälte Methode, schließlich sei der Fall eine politische Sache, da der Finanzminister darin verwickelt sei. „Die Justiz verspürt keinen Zeitdruck von politischer Seite“, sagt Braun. Tilp befürchtet, dass Druck auf die Justiz ausgeübt werde, das Verfahren so lange wie möglich hinauszuzögern. Nicht nur in Frankfurt.

„Nach meinem Eindruck schnarcht die Staatsanwaltschaft in Bonn“, sagt Rechtsanwalt Hans-Joachim Wiebe aus Hannover. Gemeinsam mit Jens-Peter Gieschen vertritt er mehr als 200 Kläger in einer Prospekthaftungsklage. Zusätzlich haben die Anwälte Strafanzeige unter anderem gegen den ehemaligen Telekom-Chef Ron Sommer und Joachim Kröske in Bonn erstattet. Die ersten Anzeigen unter anderem wegen Kapitalanlagebetrugs liegen dort bereits seit Anfang 2000. „Die Auswertung der Ordner ist abgeschlossen“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft. „Das heißt aber beileibe nicht, dass die Ermittlungen vor dem Abschluss stehen.“ Das werde sicher noch bis Ende des Jahres dauern. Ein Prozesstermin steht in den Sternen. Dabei wäre der Ausgang des Verfahrens wichtig – auch für die zivilen Klagen.

Und die Zeit wird knapp. Denn am 26. Mai läuft die Verjährungsfrist für die Prospekthaftungsklagen aus. Sollten die bereits angestrengten Klagen Erfolg haben, muss die Telekom in Deutschland mit Schadenersatzforderungen „im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“ rechnen, sagt Tilp.

Teurer Vergleich

Doch bisher hatten Anleger mit solchen Klagen hier zu Lande so gut wie keinen Erfolg. Ganz anders in den USA. Dort hat ein New Yorker Gericht bereits eine Sammelklage von US-Investoren gegen die Telekom angenommen. Anwalt Tilp rechnet wie Michael Witti nun mit weiteren Klagen in den USA. „Wir beobachten die Tendenz, dass sich amerikanische Gerichte zusehends auch bei Klagen gegen ausländische Firmen für zuständig betrachten. Es muss nur einen Bezug geben zwischen den USA und dem Unternehmen.“ Für diesen Bezug gebe es niedrige Anforderungen – etwa die Tatsache, dass die Telekom mit großem Werbeaufwand auch ihre Notierung an der Wall Street betrieben habe. Die meisten dieser Verfahren in den USA laufen auf einen Vergleich hinaus. „Das wird nicht allzu billig“, sagt Tilp. In den USA könnte auf die Telekom ein Vielfaches der in Deutschland drohenden Summe zukommen. Und die US-Justiz muss keine Rücksicht auf deutsche Finanzminister nehmen.

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