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Wirtschaft: Tschechische Wirtschaft vor dem Wendepunkt

PRAG .Das Ende der vom früheren Zentralbankchef Josef Tosovsky geführten tschechischen Regierung war schon bei ihrer Vereidigung im Januar vorgezeichnet.

PRAG .Das Ende der vom früheren Zentralbankchef Josef Tosovsky geführten tschechischen Regierung war schon bei ihrer Vereidigung im Januar vorgezeichnet.Die Abgeordneten sprachen damals seinem Regierungsteam das Vertrauen nur unter der Bedingung aus, daß die Wähler noch vor den Sommerferien neu über die Zusammensetzung des Parlaments entscheiden können.Am heutigen Freitag und am Sonnabend, 20.Juni, wird es in Tschechien soweit sein, zwei Jahre vor dem regulären Wahltermin.Dennoch versuchte Tosovsky in seiner knappen Amtszeit, einige der Reformversäumnisse seines Vorgängers Vaclav Klaus aufzuholen, die im vergangenen Jahr zu einer Währungs- und anschließend auch Regierungskrise führten.

Besonders bei der verschleppten Privatisierung war Eile geboten, weil der Einfluß des Staates in einigen Betrieben und Gesellschaften durch das gemeinsame Vorgehen anderer Aktionäre und geschicktes Manipulieren des Management zu zerrinnen begann.So verlor der tschechische Staat in jüngster Zeit seine Mehrheitsbeteiligungen am Versicherungsriesen Ceska Pojistovna, in einigen Braunkohlegruben im West- und Nordböhmen und nicht zuletzt in einer Reihe von regionalen Strom- und Gasnetzgesellschaften.

Nicht minder dringend ist die Privatisierung von drei der größten tschechischen Banken, für die im Ausland strategische Partner gesucht werden.Keines dieser Vorhaben konnte Tosovskys Regierung zwar zu Ende führen, überall jedoch werden Direktverkäufe der staatlichen Aktienpakete vorbereitet.Als Signal an ausländische Investoren bewerten Beobachter den Erwerb eines 12prozentigen Anteils der Tschechischen Sparkasse (Ceska Sporitelna) durch die europäische EBRD-Bank.Neben dem tschechischen Staat, der 45 Prozent der Anteile besitzt, wurde die EBRD damit in diesen Tagen zum zweitgrößten Eigentümer der Bank.Künftige Interessenten werden in diesem Bankhaus, wo die meisten Tschechen ihr Erspartes aufbewahren, eine transparente Besitzerstruktur vorfinden.Für ähnliche Investitionen in Tschechien halte die EBRD in diesem Jahr bis zu 300 Mill.Ecu bereit, hieß es.Vorausgesetzt, so Vizepräsident Daniel Hexter, der Privatisierungsprozeß werde nach den Wahlen zügig fortgesetzt.

Im Falle der Tschechoslowakischen Handelsbank (CSOB) sind in vergangenen Tagen bereits Anzeigen in der Financial Times sowie in der tschechischen Presse erschienen, worin Interessenten für mindestens 51 Prozent der Aktien aufgerufen werden, sich bis zum 26.Juni zu melden.Verkaufsfördernd soll sich ein staatlicher "Letter of comfort" auswirken, mit dem die Regierung garantiert, daß sie für eine offene Forderung an die slowakische Schwesterbank im Bedarfsfall haften werde.Dennoch ist unklar, ob sich frühere CSOB-Interessenten, darunter die Allied Irish Bank, melden werden.Der einstige Zauber der tschechischen Großbanken ist heute genauso verflogen wie der Ruf der Tschechischen Republik, reformbeflissen und politisch stabil zu sein.

Als sichere Gewinner der Parlamentswahlen gelten mit voraussichtlich 25 bis 30 Prozent die Sozialdemokraten, die eine distanzierte Haltung zum Privatisieren restlicher Wirtschaftszweige an den Tag legen.Mit Unterstützung von Kommunisten und Republikanern verabschiedeten sie vor wenigen Wochen im Parlament einen Aufruf an die Regierung, die Vorbereitungen weiterer Privatisierungsschritte zu stoppen.Zum Teil wollten sie damit wohl die wachsende Anzahl von Wählern beeindrucken, die in Tschechien mit dem Verlauf des von Skandalen begleiteten Privatisierungsprozesses unzufrieden sind.

Zum Erliegen dürften weitere Privatisierungsmaßnahmen kommen, falls sich der Alptraum vieler Tschechen bewahrheiten sollte und die populistische Rentnerpartei, die ihren Wählern soziale Sicherheiten verspricht, tatsächlich die vorhergesagten 10 Prozent der Stimmen gewinnen wird.Der Chef der Sozialdemokraten, Milos Zeman, signalisierte nämlich, daß er sich Rentner als Partner durchaus vorstellen könne.Weitere Mitglieder seiner Regierungskoalition in spe, die in der rechten Mitte angesiedelten Christdemokraten des Landwirtschaftsministers Josef Lux, gaben jedoch zu verstehen, daß eine solche Partnerschaft für sie nie in Frage käme.Da Vaclav Klaus mit seiner Bürgerlich Demokratischen Partei ODS in Meinungsumfragen auf etwa 15 Prozent und die ODS-Splitterpartei Freiheitsunion seines einstigen Innenministers und Parteikollegen Jan Ruml auf rund sieben Prozent der Wählerstimmen kommen, ist ein politischer Patt zwischen der links- und rechtsgerichteten demokratischen Parteien als Wahlausgang durchaus vorstellbar.

Als Lichtblick dürfte sich die Einladung Tschechiens in die EU auswirken.Will die Tschechische Republik alle Auflagen erfüllen, bleibt keiner künftigen Regierung viel Freiraum.Im Vergleich zu Polen oder Ungarn scheint die Startposition Tschechiens zwar momentan problematisch zu sein, doch das könnte sich ändern.Die zwei noch von der Klaus-Regierung geschnürten "Spar-Päckchen" tragen womöglich erste Früchte.Die Tschechische Krone erholte sich erstaunlich gut von den Turbulenzen des Vorjahres und hielt sich relativ stabil.Die Erschütterungen des russischen Kapitalmarktes vom Ende Mai ließen zwar auch den Wechselkurs der Krone schwanken, allen Unkenrufen zum Trotz wurde aber die Schallmauer von 19 Kronen für eine D-Mark nicht erreicht.Ob es angesichts des unsicheren Wahlausgangs so bleibt, wagt im Moment niemand vorherzusagen, doch einige Entwicklungen geben Anlaß zu vorsichtigem Optimismus.Vor allem hat sich das Verhältnis zwischen Reallöhnen und Arbeitsproduktivität in Tschechien deutlich angenähert.Auch konnte trotz der verhältnismäßig stabilen Krone eine Steigerung des Exports im ersten Quartal 1998 verzeichnet werden.Das bedrohliche Defizit des Außenhandels beginnt sich zu verringern.Im April hat sich diese Entwicklung jedoch deutlich verlangsamt.

Daß mit der Restrukturierung in vielen Zweigen der tschechischen Wirtschaft erst jetzt begonnen wird, bezeugt das Beispiel der chemischen Industrie.Mit der Kuponmethode privatisierte chemische Fabriken wurden von ihren ehrgeizigen Direktoren systematisch verschuldet, bis die Banken in den mächtigen Chemapol Group Konzern, der auch mit Waffenhandel von sich reden machte, kein Geld mehr pumpen wollten.Erst dann wurden erfahrene Manager aus Österreich geholt, um aus dem zu 90 Prozent verschuldeten Haufen chemischer Fabriken einen regional starken Chemiehersteller zu machen.AliaChem soll der Betrieb heißen und nach dem Jahr 2000 auf internationalen Börsen zu finden sein.Ohne Investitionen aus dem Ausland kann dies aber nicht gelingen.Theoretische Grundlagen für eine Rückkehr der aus Tschechien geflüchteten ausländischen Investoren schaffte die Regierung Tosovskys mit den Erleichterungen für Unternehmer, die mehr als 25 Mill.Dollar in Tschechien investieren wollen.Allerdings beschritt Prag damit keineswegs Neuland, sondern paßte sich lediglich den Bedingungen für Großinvestoren in Polen oder Ungarn an.

Anlaß zu Sorge geben andererseits die Prognosen für das Wirtschaftswachstum.Da die Kaufkraft der Bevölkerung abnimmt, rechnet das Tschechische Statistische Amt für dieses Jahr lediglich mit einer Steigerung des Bruttosozialprodukts von 1,4 Prozent.Gleichzeitig könnten nach Meinung der Statistiker die Preise nach oben schnellen und die Inflation über zwölf Prozent steigen lassen.Die bisherige Entwicklung scheint letzteres jedoch nicht zu bestätigen.

Die größten Defizite hingegen hat die tschechische Wirtschaft nach wie vor im legislativen Bereich.Dies hat auch den weiterhin schlechten Zustand des tschechischen Kapitalmarktes zur Folge.Verglichen mit Warschau und Budapest, wo Aktienkurse im vergangenen und in diesem Jahr nach oben klettern, fiel der Index der Prager Börse PX50 im gleichen Zeitraum um zwölf Prozent.Man ist aber um Verbesserungen bemüht: Ein neues Handelssystem soll jederzeit Nachfrage und Angebot registrieren und einen verläßlichen Preis produzieren.Zunächst werden auf diese Weise vier Emissionen gehandelt: Komercni Banka, Unipetrol, CEZ und SPT Telecom.Bald könnten noch einige Fonds hinzukommen.Ab Juli will auch der zweite Aktienmarkt in Tschechien, der RM-System, das neue System einführen.Die neue Kontrollkommission für den Wertpapierhandel nahm ihre Arbeit im April auf, und obwohl sie bereits mehrere Male auf dem Kapitalmarkt regulierend eingriff, mußte sie gleichzeitig erkennen, daß ihre Kompetenzen an unzulänglich arbeitenden Gerichten zu zerschellen drohen.

Als interessante Anlagemöglichkeit bieten sich in Tschechien dennoch weiterhin Investmentfonds an, die laut kürzlich verabschiedeter Gesetzesnovelle demnächst geöffnet werden.Einige Fachleute warnen jedoch vor allzu großen Hoffnungen in diese Reform des tschechischen Kapitalmarktes: das Öffnen der Investmentfonds könnte auch mißbraucht werden und letztendlich zur Liquidation der Fonds führen.

LUDMILA RAKUSAN

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