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Wirtschaft: Turbulenzen noch lange nicht vorbei

SINGAPUR .In den meisten ostasiatischen Ländern sehen sich die Regierungen gezwungen, aufgrund neuer Konjunkturdaten die Wachstumsprognosen fortlaufend nach unten zu revidieren.

SINGAPUR .In den meisten ostasiatischen Ländern sehen sich die Regierungen gezwungen, aufgrund neuer Konjunkturdaten die Wachstumsprognosen fortlaufend nach unten zu revidieren.Das Gesamtbild wird dabei zusehends schwärzer.Zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Währungs- und Finanzmarktkrise in Südostasien und in Korea ist jetzt für die gesamte Region mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung zu rechnen.Die immer noch positiven Wachstumsraten einzelner Volkswirtschaften - darunter China, Indien, Taiwan und Singapur - reichen nicht mehr aus, um die dramatischen Einbrüche in den anderen Ländern zu kompensieren.

In Indonesien erwartet die Regierung nun für dieses Jahr eine Schrumpfung des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 15 Prozent, während Thailand mit acht Prozent Rückgang rechnet.Kein Wirtschaftsexperte spricht mehr von der "asiatischen Grippe".Da 100 Millionen Indonesier jetzt wieder in Armut leben (20 Millionen vor Ausbruch der Krise), käme das einer Verharmlosung gleich.Im Urteil mancher Ökonomen hat der Abschwung eine Intensität erlangt, daß sie von einer Depression und nicht mehr nur von einer Rezession reden.Damit drängt sich die Frage auf, was denn nun eigentlich erreicht worden ist, seitdem der Internationale Währungsfonds (IWF) die Rolle des Krisenmanagers spielt.

Zu den unerläßlichen Voraussetzungen einer dauerhaften Erholung gehört eine stabile Währung.In diesem Punkt ist es zu gewissen Fortschritten gekommen.Der koreanische Won, der Thai-Baht, der malaysische Ringgit und sogar die indonesische Rupiah sind nicht mehr den extremen Schwankungen unterworfen wie in der zweiten Jahreshälfte 1997 und in den ersten Monaten dieses Jahres.

Dafür haben die betreffenden Staaten freilich einen außerordentlich hohen Preis bezahlt.Die Zinsen befinden sich heute noch auf einem derart hohen Niveau, daß selbst starke und gesunde Unternehmen ums nackte Überleben kämpfen.Manche Länder haben die Zinsschrauben neuerlich etwas gelockert, und auch die Fiskalpolitik ist expansiver geworden.Noch unklar ist im Augenblick, ob die betreffenden Währungen dadurch nicht erneut unter Abwertungsdruck geraten.Wäre dies der Fall und erlitten dadurch auch der chinesische Yuan und der Hongkong-Dollar einen Schwächeanfall, wäre auf absehbare Zeit erst recht an keinen Kapitalrückfluß nach Asien mehr zu denken.In der akuten Kapitalknappheit liegt eine der Hauptursachen für die Verschärfung der Rezession und für die fortgesetzte Baisse an den Aktienmärkten.

Nur noch eine Minderheit von Ökonomen rechnet jetzt damit, daß es in Asien noch vor Ablauf des 20.Jahrhunderts zum Wiederaufschwung kommt.Eine ganze Reihe von Faktoren ziehen den wirtschaftlichen Wiederaufbau in die Länge.Die noch vor einem Jahr als unschlagbare "Tiger" idealisierten Länder müssen erkennen, daß ihr Schicksal in starkem Maß mit demjenigen Japans und Chinas verknüpft ist; so lange sich die Dinge in Nippon und im Reich der Mitte nicht zum Bessern wenden, erschwert dies ihren Wiederaufbau.

Die Konjunktur kann auch so lange nicht wieder Tritt fassen, als es mit der Sanierung der schwachen und kranken Banken nicht rascher vorwärts geht.Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauert die Modernisierung gewichtiger Institutionen wie Zentralbank, Finanzaufsicht, Justiz und Parlament, die - wie eine Umfrage kürzlich belegte - den Erfordernissen an eine neuzeitliche Volkswirtschaft nur gerade in zwei Stadtstaaten einigermaßen genügen (in Singapur und in Hongkong).Gefordert sind auch die asiatischen Mischkonzerne, die geringe Überlebenschancen haben, wenn sie sich den Herausforderungen nicht stellen.Eindrucksvollen Anschauungsunterricht liefert Bakrie, eine der größten indonesischen Firmengruppen.

Bakrie war ursprünglich in der Stahl- und Pipeline-Produktion tätig.Später expandierte der Konzern in den Finanzbereich, den Immobiliensektor, das Fernmeldewesen, die Automobilbranche und die Palmölproduktion.

Im Prozeß dieser Entwicklung verschuldete das Konglomerat sich immer stärker.Die Aufnahme von ständig neuen Krediten war jedoch kein Problem, da Bankiers in Japan, Europa und den USA Bakrie das Geld buchstäblich nachwarfen.Als Indonesien sich in der Folge der Baht-Krise zur Abwertung gezwungen sah, hatte der Konzern Schulden in Höhe von 1,1 Mrd.Dollar.Nach der Abwertung nicht mehr in der Lage, die Schulden zu bedienen, erinnerte sich Aburizal Bakrie - das patriarchale Haupt der Firmengruppe - an die guten Beziehungen zu Präsident Suharto.Dieser wurde gebeten, einen Teil der vom IWF zugesagten Kredite für den Schuldendienst zur Verfügung zu stellen.Mittlerweile ist Suharto in der politischen Versenkung verschwunden - und Bakrie insolvent.

Es gibt Hunderte von solchen Beispielen.Triebfeder der Expansion war für diese Konglomerate nicht primär das Gewinnstreben, sondern die Befriedigung von Prestigebedürfnissen.In manchen Fällen haben fünf Prozent der zum Konzern gehörenden Unternehmen 80 Prozent des Ertrags erwirtschaftet.Von den ertragsschwächsten Gliedern müßten die Konglomerate sich jetzt folglich trennen.Damit tun sie sich schwer.Selbst unter der Voraussetzung, daß es auf makroökonomischer Ebene in absehbarer Zeit zu einer Wende kommt, führt dies nicht automatisch zur Erholung an den Börsen.

KARL KRÄNZLE

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