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Wer jetzt wenig in der Hand hat, hat laut Studie Chancen, bald mehr zu haben.

© dpa

Überraschende Studie: Billigjobs ebnen Weg in normal bezahlte Stellen

Niedriglöhne helfen Beschäftigten laut einer IW-Studie beim Aufstieg. Die Gewerkschaften sprechen von Irreführung und halten das Lob des Niedriglohnsektors für ein Kalkül der Wirtschaft.

Wer in einem schlecht bezahlten Job arbeitet, hat bessere Aufstiegschancen als bislang vermutet. Jeder vierte Beschäftigte im deutschen Niedriglohnsektor schafft nach einem Jahr den Wechsel zu einer normal bezahlten Stelle. Im Gegenzug rutscht nur jeder zwanzigste Normalverdiener in den Billigbereich ab. Das geht aus einer neuen Studie im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hervor, die am Dienstag in Berlin vorgelegt wurde. Die INSM wird von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert, die Studie verfasst hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

„Sogenannte Niedriglöhne sind in Deutschland vor allem eines: Einstiegslöhne“, sagte INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr. Daraus folgert er, dass eine Lohnuntergrenze, wie Gewerkschaften sie fordern, Arbeitslosen den Weg in eine Beschäftigung erschwert. „Mindestlöhne verhindern nicht nur den Einstieg in den Arbeitsmarkt, sondern auch den finanziellen wie sozialen Aufstieg.“

Unter Niedriglöhnen versteht die Studie Stundenverdienste von bis zu neun Euro. Die INSM will mit der Expertise das schlechte Image des Niedriglohnsektors aufbessern. Er steht im Ruf, die Spaltung des Arbeitsmarktes seit der Liberalisierung durch Rot-Grün in den vergangenen Jahren vertieft zu haben – mit den Chancenlosen, schlecht Ausgebildeten auf der einen Seite und den gefragten Fachkräften auf der anderen.

Tatsächlich arbeiteten 1994 neun Prozent der Erwerbsbevölkerung im Niedriglohnbereich. 2009 waren es 13 Prozent. Allerdings sei die Ausweitung nicht auf Kosten der Normalverdiener gegangen – ihr Anteil an den Beschäftigten zwischen 15 und 64 Jahren sei in der Zeit nicht gesunken, sondern von 46 auf 48 Prozent gestiegen. „Per saldo hat der Niedriglohnsektor neue, zuvor nicht existente Beschäftigungsgelegenheiten geschaffen“, sagte Studien-Autor Holger Schäfer vom IW.

Auch die Sorge, Niedriglohnjobs führten zu mehr Armut, versucht die Studie zu entkräften. Nur 16 Prozent der hier Tätigen seien armutsgefährdet, aber 61 Prozent der Arbeitslosen. „Es gibt in Deutschland kein nennenswertes Problem der Armut trotz Arbeit“, urteilte Schäfer. Dies gelte auch für die 1,4 Millionen Aufstocker, die Arbeitslosengeld II beziehen, obwohl sie arbeiten. Die meisten verdienten sich etwas hinzu, nur ein Viertel gehe einer Vollzeitarbeit nach.

Die Gewerkschaften übten heftige Kritik an der Studie. „Das Lob auf Niedriglöhne ist der durchsichtige Versuch der Wirtschaft, sich auch für die Zukunft billige Arbeitskräfte zu sichern“, sagte Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der Gewerkschaft IG Bau. „Die Versuche der Wirtschaft, den Niedriglohnsektor zu rechtfertigen, nehmen groteske Züge an“, kritisierte auch Annelie Buntenbach, Vorstand beim Deutschen Gewerkschafts-Bund. Der Niedriglohnsektor sei kein Sprungbrett, 40 Prozent der Niedrigverdiener hätten ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze. Verdi-Chef Frank Bsirske stufte die Expertise als „irreführend und schönfärberisch“ ein. INSM und IW verführen „nach dem Pippi-Langstrumpf-Motto: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Drei von vier neuen Stellen entstünden im Bereich prekärer und atypischer Beschäftigung. Damit verschärften Niedriglohnjobs die Spaltung am Arbeitsmarkt. Nötig seien ein Mindestlohn und die Gleichbehandlung von Leih- und Stammarbeitern.

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