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Wirtschaft: „Um das Thema Atomkraft kommen wir nicht herum“

Der frühere Wirtschaftsminister und heutige RAG-Chef Werner Müller über Kohle, Koks und die Zukunft der Kernenergie

Herr Müller, glauben Sie an eine Renaissance der deutschen Steinkohle?

Ich sage klar ja, wenn Deutschland auch im Jahr 2040 noch ein Industrieland sein soll.

Kommt die Kohle jemals wieder ohne Subventionen aus?

Kokskohle für die Stahlerzeugung hat gute Chancen. Würden wir auf der grünen Wiese eine neue Kokskohlen-Zeche bauen, könnten wir im nächsten Jahrzehnt wirtschaftlich fördern und unseren Kunden für 30 bis 40 Jahre lang Kokspreise von rund 200 Euro garantieren. Heute kostet eine Tonne am Weltmarkt 250 Euro, zeitweise sogar bis zu 500 Euro in diesem Jahr.

Sie wollen der Stahlindustrie ernsthaft Koks unter Marktpreis verkaufen?

Das sind keine Markt-, sondern Knappheitspreise. Ich biete an, zu Kosten zu verkaufen. Ich will daran nichts verdienen. Mir geht es darum, dass Stahlindustrie und mittelständische Metallverarbeitung langfristig in Deutschland bleiben.

Reine Selbstlosigkeit?

Es macht doch keinen Sinn, in zehn oder 15 Jahren zu jammern, dass die Stahlindustrie und die Metallverarbeiter ins Ausland abgewandert sind. Hätte die Stahlindustrie langfristig geplant, hätten wir bei uns nicht so eine dramatische Rohstoffkrise. Die Kurzsichtigkeit erkennen Sie daran, dass die modernste Kokerei Europas in Dortmund gerade abgebaut und nach China abtransportiert wird, weil uns die Stahlindustrie Ende der neunziger Jahre die Verträge gekündigt hat. Und parallel dazu beginnen wir nun mit dem Ausbau unserer letzten Kokerei.

Wer bezahlt diese Investitionen?

Die neue Kokerei soll über ein Leasing-Modell finanziert werden. Die beteiligten Stahlunternehmen Arcelor und Voest Alpin und vielleicht ein Dritter sichern mit langfristigen Abnahmeverträgen das Risiko ab. Auch eine neue Zeche würden wir niemals auf eigene Rechnung bauen. Es ist doch nicht meine Aufgabe, als RAG-Chef Daseinsvorsorge in Deutschland zu betreiben.

Aber Kohle zu fördern und zu verkaufen?

Die Deutsche Steinkohle AG, eine Tochter der RAG, produziert Energiesicherheit. Das ist ein Staatsauftrag, und der wird bezahlt. So wie andere Panzer oder U-Boote bauen, um damit einen Beitrag zur Sicherheit der Republik zu leisten. Steinkohle zur Stromerzeugung können wir vorerst nicht kostendeckend fördern.

Die Grünen sagen, Finanzminister Eichel könnte wegen der hohen Kohlepreise schon in diesem Jahr 250 Millionen Euro an Subventionen einsparen.

Das ist so leider nicht richtig. Denn durch die Stilllegung von Zechen und den kontinuierlich laufenden, immensen Personalabbau im Bergbau entstehen erst einmal weitere Kosten. Und wenn sich das Saarland weiter weigert, seinen finanziellen Sicherheitsbeitrag zu leisten, werden wir dort zusätzliche Kapazitäten abbauen müssen. Auch das kostet erst einmal Geld.

Die steigenden Kohlepreise bringen Eichel nichts?

Grundsätzlich ist natürlich richtig: Steigt der Weltmarktpreis, sinkt längerfristig auch der Sicherheitsbetrag der öffentlichen Hand.

Das heftige Tauziehen um den Emissionshandel, die Förderung erneuerbarer Energien und ganz aktuell um das Energiewirtschaftsgesetz hat gezeigt, dass gute Verbindungen in die Politik für Energiemanager von großem Vorteil sind. Profitieren Sie als Vorstandschef der RAG heute noch von Ihren Beziehungen?

Aber nur dann, wenn sich diese Gespräche auf die sachliche Diskussion und Beratung beschränken. Über persönliche Bande Unsachliches zum Gesetz machen zu wollen, das wird nicht funktionieren.

Da haben Sie als Wirtschaftsminister schlechte Erfahrungen gemacht?

Sie merken sehr schnell, wo jemand Lobbyismus in der primitiven Form versucht.

Sie haben eine Kampagne „Mittelstand in der Rohstoffkrise“ gestartet. Warum?

Weil es ist nicht selbstverständlich ist, dass Deutschland ein Industrieland bleibt. Die Debatte rund um Opel ist doch exemplarisch dafür. Wir haben im Vergleich zu sich entwickelnden Industrieländern ein paar objektive Nachteile.

Präsident des Stahlverbandes, mit dem Sie kooperieren, ist Jürgen Thumann. Und der ist designierter Chef des wichtigen Industrieverbands BDI. Sie sichern der Kohle schon mal wichtige Verbündete in Berlin.

Für die Wirkung der Kampagne ist es wichtig, dass der künftige BDI-Präsident dahinter steht. Es zeichnet Herrn Thumann aus, dass er über den Tellerrand des reinen Verbandsgeschäfts hinausblickt und die Frage stellt: Was braucht die Industrie, wenn sie die nächsten Jahrzehnte im Land bleiben soll?

Die heutigen Spitzenvertreter der Wirtschaftsverbände blicken nicht über diesen Tellerrand?

Das will ich nicht verallgemeinern. Aus meiner Zeit als Minister kenne ist genügend Forderungen aus den Bereichen Steuern und Lohnnebenkosten, die auf die lange Sicht angelegt sind. Aber in meinen vier Jahren ist mir nichts untergekommen, was sich auf langfristige Rohstoffsicherung bezogen hätte. Und ich gebe zu: Auch ich als Minister habe mir nie die Frage vorgelegt, ob und in welchem Umfang eine Volkswirtschaft beispielsweise auf Nickel angewiesen ist.

Ihre Kollegen aus der Energiewirtschaft bemängeln, dass die Regierung kein schlüssiges Energiekonzept habe

Zu Recht. Das letzte Energieprogramm für die Bundesrepublik Deutschland stammt vom Helmut Schmidt aus dem Jahre 1980.

Das hätten Sie als Wirtschaftsminister ändern können.

Auch mir ist es nicht gelungen, ein Energieprogramm der Bundesregierung zu publizieren. Es gibt wohl ein Energiekonzept des Wirtschaftsministeriums. Zu einem Kabinettsbeschluss ist es nie gekommen. Weil es darüber mit den Grünen keinen Konsens gab.

Beim Atomausstieg war sich Rot-Grün aber einig. Sie selbst haben den Vertrag mit der Industrie ausgehandelt.

Trotzdem werden wir langfristig um das Thema nicht herumkommen. Damals war der beschlossene Ausstiegsweg vernünftig, um eine gesellschaftspolitische Kontroverse abzuschließen. Selbst die Industrie dachte nicht mehr an den Neubau eines Atomkraftwerks. Dann kann man so ein Thema einfach mal beenden und auf Wiedervorlage legen, wenn der Fall notwendig werden sollte, also in zehn Jahren.

Die Kernkraftwerke sollten länger genutzt werden?

Ob die Reaktoren tatsächlich alle wie geplant bis 2021 stillgelegt werden, diese Frage muss ich heute nicht beantworten.

Wann denn?

In diesem Jahrzehnt nicht mehr, weil erst einmal die alten Anlagen abgeschaltet werden sollen.

Was unterscheidet ihren früheren Chefposten in einem Ministerium von dem als Manager eines Konzerns?

Wenn eine Entscheidung getroffen wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit hier deutlich größer, dass sie auch umgesetzt wird. Und die Wirtschaft ist schneller. In Politik und Wirtschaft entscheiden Menschen. Und die haben in der Regel unterschiedliche Qualitäten und Charaktereigenschaften. Die Fluthilfe für Ostdeutschland ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell Politik und Verwaltungen reagieren können. Und wir sehen bei Opel und Karstadt zurzeit auch, dass einige Unternehmen zu langsam geführt wurden, was sich jetzt bitter rächt.

Das Gespräch führte Dieter

Fockenbrock.

MANAGER

Werner Müller (58) ist Energiemanager seit mehr als 30 Jahren – unterbrochen durch vier Jahre auf dem Posten des Bundeswirtschaftsministers in der rot-grünen Koalition. Deshalb legt Müller auch großen Wert darauf, dass er kein Politiker in der Wirtschaft sei, sondern ein Manager mit Politikerfahrung – parteilos versteht sich.

POLITIKER

Im Jahr 1998 berief Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den gebürtigen Essener in sein Kabinett. Dort fiel der promovierte Sprachwissenschaftler bis ins Jahr 2002 als Quer- und Vordenker auf. Seine spektakulärste Aktion: der mit der Industrie vereinbarte Ausstieg aus der Atomenergie .

RAG-CHEF

Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung wechselte der ehemalige Veba- (jetzt Eon) und RWE-Manager im Juni vergangenen Jahres auf den Chefposten der RAG .

Hauptaktionäre der ehemaligen Ruhrkohle Aktiengesellschaft sind die Energiekonzerne Eon (39,2 Prozent) und RWE (30,2 Prozent) sowie der Industriekonzern Thyssen-Krupp (20,6 Prozent). Foto: Mike Wolff

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