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Umfrage unter Fachleuten: Warum Berlin noch lange keine "Smart City" ist

Der Senat sähe Berlin gern als führende "Smart-City-Metropole". Doch es gibt Rückschläge und Gezänk zwischen CDU und SPD. Unternehmen fühlen sich im Stich gelassen, belegt eine neue Umfrage.

Berlin - Es geht um den Megatrend Urbanisierung und die Frage, welche Regionen und Unternehmen es am besten verstehen, daraus Geschäftsmodelle zu entwickeln: Nach Angaben der Vereinten Nationen lebten 2008 erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Mitte des Jahrhunderts sollen schon 70 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Gebieten leben. „Wir wollen angesichts dieser Entwicklung ein Ausrufezeichen setzen“, rief Berlins Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) im September 250 Besuchern einer Fachtagung rund um sogenannte „Smart-City-Lösungen“ zu. Wie sich jetzt zeigt, gibt es in Berlin bei diesem Thema vor allem Fragezeichen.

Ergebnisse der VBKI-Umfrage zu Smart City Berlin: Potezial hoch, Status-quo schlecht.
Ergebnisse der VBKI-Umfrage zu Smart City Berlin: Potezial hoch, Status-quo schlecht.

© Fabian Bartel, VBKI

Das geht aus einer Untersuchung hervor, die der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) heute vorstellen will. Sein Arbeitskreis Intelligente Infrastruktur hat 491 Experten bei Unternehmen und Instituten der Hauptstadtregion identifiziert, die sich intensiv mit Smart-City-Produkten und Dienstleistungen befassen. 121 Fachleute haben seit dem Sommer die Fragen des Arbeitskreises beantwortet. Ergebnis: 45 Prozent schätzen Berlins Potenzial auf diesem Gebiet als stark ein, zwölf Prozent sogar als „sehr stark“. Doch mehr als die Hälfte (51 Prozent) bewerten den Ist-Zustand mit der Schulnote 4 oder schlechter (siehe Grafiken).

Abwarten reicht nicht

„Unsere Untersuchung zeigt, dass das Thema Smart City zu Recht eines der großen Zukunftsversprechen am Hauptstadtstandort ist. Wir sehen aber auch: Berlin wird sich nicht von selbst in eine führende Smart City verwandeln“, deutet VBKI-Präsident Markus Voigt die Zahlen. Um das große Wertschöpfungspotenzial zu heben, bedürfe es noch „erheblicher Anstrengungen“ aller beteiligten Akteure. „Abwarten reicht nicht, der Prozess muss – zumal aus der Politik – noch aktiver begleitet werden“, sagt Voigt. Vor allem die jungen Unternehmen, die Start-ups, fordern einen größeren Beitrag der Politik, geht aus den Zahlen hervor. Auf ihrer To-do-Liste stehen vor allem „bessere politische Rahmenbedingungen“ und „bessere Infrastruktur“ – beispielsweise intelligent gesteuerte Stromnetze und Verkehrskonzepte. Besser müssten auch die Ausstattung mit Breitband-Internet, die Unterstützung von Hochschulen und die Qualität von Behörden und deren Leitung werden, schreiben die Autoren.

Der Senat hatte im April Eckpunkte seiner Smart-City-Strategie beschlossen, die Standortförderagentur Berlin Partner, unter Aufsicht von Senatorin Yzer, soll ein Konzept dazu ausarbeiten. Doch seither ist bei dem Thema nicht viel Gutes passiert.

Ein Sammelsurium ohne roten Faden

Ein Rückschlag war zum Beispiel das Scheitern einer Bewerbung um Fördergelder im Rahmen des milliardenschweren EU-Programms „Horizon 2020“. Berlin war mit Partnern aus Paris und Bologna und dem Projekt „Smart NExUS“ ins Rennen um 25 Millionen Euro Fördermittel gegangen. Yzer flog persönlich nach Brüssel, um den Boden für den 130 Seiten dicken Antrag zu bereiten, den Berlin Partner ausgearbeitet hatte. Ein Teil des Konzepts sah vor, dass Bosch, VW, die TU Berlin, die Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin, die Institute Fraunhofer Fokus und InnoZ die Gartenstadt Lichterfelde „intelligent vernetzen“ sollen. Nun ist klar: Aus Brüssel gibt es kein Geld. Welche der 42 Städte-Konsortien EU-Mittel bekommen, gibt die Kommission wohl erst Anfang 2016 bekannt.

Umfrageergebnis des VBKI: Berlins Senat tut zu wenig für die "Smart City"
Umfrageergebnis des VBKI: Berlins Senat tut zu wenig für die "Smart City"

© Fabian Bartel, VBKI

„Die Absage ist keine Überraschung“, meint Nicole Ludwig, Sprecherin für Wirtschaft der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Die Bewerbung war ein buntes Sammelsurium von größtenteils bereits laufenden Projekten, für die hier nur eine weitere Finanzierungsquelle gesucht wurde – der smarte Faden fehlte völlig.“

Nachhaltigkeit als Triebfeder

Die Grüne fordert, der Senat solle das Thema nicht von Wettbewerben abhängig machen, sondern endlich eine klare Richtung vorgeben und diese ressortübergreifend vorantreiben – gemeinsam sowohl mit Wissenschaft und Forschung, den Landesunternehmen und Institutionen wie der Technologiestiftung als auch den vielen klugen Start-ups dieser Stadt. „Eine entscheidende Triebfeder von Smart City muss der Nachhaltigkeitsgedanke sein“, sagt Ludwig. „Dank Smart-City-Technologien wird die klimaneutrale Stadt machbar.“

Stefan Franzke, Sprecher der Geschäftsführung von Berlin Partner, verteidigt die Arbeit seines Hauses. „Die Inhalte der Bewerbung waren sehr gut zugeschnitten auf die Bedürfnisse Berlins, das muss erste Priorität sein bei einer Ausschreibung. Auch wenn wir uns damit bei der Beantragung der Mittel nicht durchsetzen konnten, halten wir an den Projektinhalten für Berlin fest“, beteuert er. Für die verschiedenen Ansätze prüfe man nun „andere Fördermöglichkeiten auf Landes- und Bundesebene“.

Mehr Zuverlässigkeit, mehr Personal

Er sei „auch trotzig“ wegen der Niederlage, sagte Thomas Schäfer, Chef der Stromnetz Berlin, am Mittwoch auf dem Mittelstandskongress der Berliner CDU. „Jetzt liegt es an uns zu prüfen, was wir trotzdem machen können.“ Bis Ende November werde sich zeigen, ob das Konsortium zusammenbleibt und weiterhin gemeinsam an der Smart-City-Umsetzung arbeitet. „Doch wie das nun finanziert wird, muss jeder in seinem Haus prüfen.“

Die Finanzierung durch die EU wäre sowieso nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen, argumentierte dagegen Manfred Vogelbacher, Geschäftsführer der Kanal- und Rohrleitungstiefbaufirma Stehmeyer+Bischoff. Er forderte „Rahmenbedingungen und Zuverlässigkeit“ vom Senat. So müsse der Verkehrssenator mehr Personal einsetzen, damit Ideen auch umgesetzt werden können.

40 Mbit sind zu wenig für Berlin

„In der Verkehrslenkung ist ein großer Bedarf“, sagte auch Wirtschaftssenatorin Yzer in ihrer Eröffnungsrede auf dem Mittelstandkongress – wohl mit Blick auf die von SPD-Mann Andreas Geisel geführte Verwaltung, die dafür zuständig ist. „Wir werden als Wirtschaftsverwaltung danebenstehen mit Stoppuhr und den Ausbau vorantreiben“, drohte sie  – um dann auf ein anderes Problem zu kommen, das sie selbst auch nicht lösen kann, sondern praktischerweise nur der Bund und private Netzbetreiber wie die Deutsche Telekom und Vodafone: die digitale Infrastruktur. „40 Mbit sind zu wenig für Berlin. Hier geht es um 200 Mbit oder gar 5G. Jeder, der wachsen will, braucht nicht nur einen Download, sondern auch einen Upload“, fachsimpelte sie.

So geht das oft: Alle sind sachkundig, aber niemand zuständig, eine CDU-geführte Verwaltung stichelt gegen ein Haus unter Obhut der SPD. Und umgekehrt. Dazu kommt ein Regierender Bürgermeister, der sich zunehmend selbst für das Thema Digitalisierung in allen Facetten begeistert. Michael Müller (SPD) macht Yzer so eines ihrer zentralen Themen streitig. Mancher landespolitische Beobachter sieht in diesem Gezänk um ein Prestigethema den wichtigsten Grund dafür, dass Berlin nicht so „smart“ ist, wie es sein könnte.

"Smart City"? Nie gehört

Womöglich müssten Senat, Bundesregierung, auch Industrie und Medien noch früher ansetzen: bei der Aufklärungsarbeit. Darauf deutet ein Ergebnis der VBKI-Studie hin. Demnach gaben 52 Prozent der befragten Experten die Einschätzung ab, „dass die Bürgerinnen und Bürger dem Terminus ,Smart City‘ keinerlei Bedeutung beimessen beziehungsweise nichts mit ihm anfangen können“.

Und es gibt jene, die zwar um die Bedeutung des Themas wissen, davon aber offenbar schon jetzt die Nase voll haben. Um die kümmern sich die Berliner Linksfraktion und die Rosa-Luxemburg-Stiftung. „This is not a smart city – Raum und Verteilungskampf in der Stadt der Zukunft“, lautet der griffige Titel ihrer Tagung am 7. November im Abgeordnetenhaus. Dort geht es um Fragen wie „Neue Industrie, neue Netze, neue Produktionsformen: Machen smarte Infrastrukturen alles besser?“. Das Impulsreferat hält André Wilkens, Autor des Buches „Analog ist das neue Bio“. Vielleicht erforscht die UN ja bald auch diesen Megatrend.

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