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Nicht betreten. Nur im Fernsehen ermitteln Gerichtsmediziner auch am Tatort. Foto: dpa

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Wirtschaft: Unfall oder Mord?

Gerichtsmediziner klären nicht nur die Todesursache unnatürlich Verstorbener, sie begutachten auch lebende Opfer von Gewalt

Wenn Jan Josef Liefers als Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne zu Opernmusik um den Obduktionstisch tänzelt, ist es Sonntagabend und Boerne hilft im „Tatort“ Mordfälle zu klären. Die TV-Sendung hat dem Beruf viel Popularität verschafft – und zugleich ein schiefes Bild davon gezeichnet. Denn während Boerne mitten in den Ermittlungen steckt, arbeitet der echte Rechtsmediziner eher im Hintergrund.

Rechts-, Gerichts- oder forensische Medizin – all das sind Namen für dieselbe Fachrichtung. „Sie nimmt eine Vermittlerrolle zwischen der Medizin und der juristischen Seite ein“, so Hansjürgen Bratzke vom Berufsverband Deutscher Rechtsmediziner in Frankfurt. In Deutschland arbeiten nach jüngsten Daten der Bundesärztekammer 214 Fachärzte für Rechtsmedizin. Viele sind bei universitären oder städtischen Instituten tätig.

Rechtsmediziner werden hinzugezogen, wenn jemand eines unnatürlichen Todes stirbt – im Unterschied zu Pathologen, die sich mit der Krankengeschichte von natürlich Verstorbenen befassen. Bevor eine Leiche in die Gerichtsmedizin kommt, muss der Notarzt eine ungeklärte Todesursache oder einen unnatürlichen Tod diagnostizieren. Die Polizei beschlagnahmt die Leiche dann, der Staatsanwalt muss eine Untersuchung anordnen und ein Richter zustimmen.

Der Gerichtsmediziner versucht daraufhin, die Todesursache zu klären und den Sterbevorgang zu rekonstruieren. Daneben begutachtet er lebende Opfer und Beschuldigte von Gewaltverbrechen – etwa beim Verdacht auf Misshandlung oder Missbrauch von Kindern. Der Arzt trifft Aussagen über den geistigen Zustand von Straftätern und achtet dabei etwa auf Drogen- oder Alkoholprobleme. In Haar-, Blut-, Sperma- und Speichelproben sucht er Spuren eines Täters. Viele Stunden stehen sie am Obduktionstisch. Dann geht es darum, nach verdächtigen Spuren zu suchen, ohne sich von Verdächtigungen leiten zu lassen.

„Wir müssen ruhig an die Aufträge herangehen. Ein emotionales Gutachten ist kein gutes Gutachten“, erklärt Hansjürgen Bratzke. Bei Kindesmisshandlungen zum Beispiel sei die Gefahr groß, dass die Expertise von Gefühlen beeinflusst wird. Das kann die Deutung eines Befunds verfälschen, wenn es etwa um die Frage geht, ob ein blauer Fleck ein Indiz für eine Straftat ist oder nicht. Hier ist also eine professionelle Distanz gefragt. Das gilt auch deshalb, weil Gerichtsmediziner ständig mit dem Tod konfrontiert sind. Und dabei manchmal in menschliche Abgründe blicken.

Der Weg zum Rechtsmediziner führt über ein Medizinstudium und die anschließende Ausbildung zum Facharzt. Vergütet wird in der Regel nach dem Tarif für den öffentlichen Dienst. Die Bundesagentur für Arbeit gibt als Richtwerte knapp 3600 bis gut 4700 Euro brutto im Monat an.

Hohe Arbeitsbelastung und 14-Stunden-Tage sind laut Berufsverband an der Tagesordnung. „Wir sind chronisch überlastet“, klagt Bratzke. Nach 36 Dienstjahren hat er seine Berufswahl dennoch „keinen Tag bereut“ – wegen ihrer Vielfältigkeit. Arbeit dürfte es für ihn auch weiterhin genug geben. Über die Zahl der unaufgeklärten Morde lasse sich zwar nur spekulieren. Experten gingen aber davon aus, dass auf jedes entdeckte Tötungsdelikt ein unerkanntes kommt. dpa

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