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Wirtschaft: Geb. 1965

Andreas Vogt

Es gelang ihm nicht, in Berlin Autos zu vermieten. Aber in Sachsen verkaufte er viele.

Eine Geschäftidee, ein viel versprechendes Produkt, das, kaum in die Welt gebracht, schon einschlägt wie Rubiks magischer Würfel. Dem einen gelingt es, dem anderen nicht. Was nützen die gescheitesten Kalkulationen, die hoffnungsvollsten Ideen, wenn das Glück ausbleibt? Unvorhersehbarer als der Markt verhält sich nur das Schicksal.

Anfang der neunziger Jahre kaufte der junge Börsenbroker Andreas Vogt zwei nagelneue, feuerrote BMW Z 1. Er parkte sie auf dem Grundstück der Eltern und eröffnete die erste Roadster-Vermietung nach der Wende in Berlin. Warmer Fahrtwind, gelb blühende Rapsfelder, die Sonne hinterm Platanendach: ein Ausflug im Sportcabrio auf märkischen Alleen, das war die Idee! Freunde und Kollegen nahmen das Angebot an, doch viel mehr kamen nicht. Ein Wagen musste wieder verkauft werden, den anderen behielt die Familie.

Eine Leidenschaft für schnelle und schöne Autos? Sicher, aber so entsteht noch kein florierendes Geschäft. Die Gunst der Stunde, die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse und eine glückliche Begegnung kamen zusammen, als Andreas Vogt schließlich noch einmal den Sprung in die Geschäftswelt wagte. Ein alter Mechanikermeister, der lieber Blaumann trug, als sich mit steuerlichen und verwaltungstechnischen Bestimmungen herumzuplagen, schlug Andreas Vogt vor, in seinem Dresdener Autohaus die Geschäftsführung zu übernehmen. Es lockte das Neue, die Aufbruchstimmung im Osten. Hier, dachte Andreas Vogt, würde er seine Ideen verwirklichen können. Ideen hatte er immer.

Das Geschäft mit den Autos für die Sachsen lief gut. Das erste, was es längs und quer auf den zum Blühen freigegebenen Landschaften gab, waren die neuen Karossen auf den neu gegossenen Fahrbahnen. Der alte Betreiber zog sich zurück, Andreas Vogt übernahm das Geschäft ganz und war, als es besonders gut lief, Chef von 80 Angestellten. Er arbeitete viel, jeden Tag 12 Stunden, manchmal mehr, er tat das gern.

In Stolpen, einer Kleinstadt östlich von Dresden, entdeckte der Jungunternehmer eine heruntergekommene Villa. Ein Fabrikbesitzer hatte sie gleich neben seine Produktionsstätten gesetzt. Andreas Vogt restaurierte das Haus, er war begeistert. Das war es, ein Stück wiedergewonnene Geschichte im neu verputzten Jugendstilkleid, ein Heim für ihn und seine Familie aus Berlin, deren Verwandtschaftsspuren bis nach Dresden reichten.

Auch für die Firma suchte er nach einem komfortableren Standort. Wieder sanierte er, diesmal mit noch mehr Geld. Aus dem leeren Fabrikgebäude wurde ein riesiges Haus mit drei Etagen, Dachausbau, Werkstätten, Ausstellungshalle. Fitness-Studio und Sauna durften auch nicht fehlen. Aus dem Haus schaut man aufs Erzgebirge.

Zur Einweihung, 1999, in der hochglänzenden Ausstellungshalle sang der Chor der Singakademie Dresden die „Carmina Burana“. Jemand sagte, die Halle sei ein toller Konzertsaal, man könnte die Autos doch eigentlich rausschieben.

Dieser Jemand wusste gar nicht, wie recht er hatte. Die, die es sich leisten konnten, hatten sich längst neue Autos gekauft, auch viele, die das Geld eigentlich nicht hatten. Der Boom war vorbei, die Flaute brach an.

Andreas Vogt aber setzte weiter auf die Zukunft, was sollte er tun, ein Autoverkäufer muss Optimist sein.

Bei einer Routineuntersuchung stellte ein Arzt Herzrhythmusstörungen und Herzmuskelschwäche fest. Eines Tages könnte das Herz einfach aussetzen, hieß es in der Diagnose. Es könnte, weil der unstete Schlag- Rhythmus den schwachen Muskel auszugleichen versucht, stolpern und zusammenbrechen. Andreas Vogt hatte keine Zeit zur Resignation. Laufende Verträge, die Angestellten, die Kredite, Marktwirtschaft.

Ein erkranktes Herz und ein Autohaus in der Krise. Wie viel dem einen zumuten, ohne dem anderen zu schaden? Andreas Vogt hörte immerhin mit dem Sport auf. Früher lief er Marathon. Nun schonte er sich, während das Autohaus dem Druck noch standhielt. Zwei Jahre währte die Balance. Dann, auf dem Heimweg von einem auswärtigen Geschäftstermin passierte es. Andreas Vogt spürte, dass etwas nicht stimmte und hielt an einer Raststätte. Er stieg aus und ging ins Gebäude. Sein Herz stolperte, dann brach es zusammen.

Es fand sich niemand mehr, der die Verantwortung für das Autohaus übernehmen wollte.

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