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Urteil: Bernard Madoff: Insasse 61727-054

Im größten Betrugsfall der Wall-Street-Geschichte ist das Urteil gefallen. Der geständige Finanzjongleur Bernard Madoff wurde zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt.

New York - Hass und Wut brechen sich am frühen Montagmorgen vor dem Bezirksgericht von Südmanhattan Bahn. Eine kleine Gruppe von Opfern des Betrügers Bernard Madoff wartet verbittert auf den letzten Auftritt des Menschen, der mehr als 50 Milliarden Dollar an Kundengeldern veruntreut und tausende Anleger in den Ruin getrieben hat. „Lebenslänglich ist das Mindeste, was wir brauchen“, sagt die 32-jährige New Yorkerin Jen Meerow, deren Vater seine Lebensersparnisse von zwei Millionen Dollar durch Madoffs Betrugssystem verloren hat. Wie die Übrigen in der Schlange will die zierliche Person den geständigen, von den Klatschmedien „Monster Madoff“ genannten 71-Jährigen bis zu seinem Tode büßen sehen.

Bezirksrichter Dennis Chin verurteilte Madoff im größten Betrugsfall der Finanzgeschichte zu 150 Jahren Gefängnis. Das Urteil wird den Opfern nur zeitweise Linderung verschaffen. Das wissen sie. Denn ob sie jemals wieder das Leben führen können, für das sie jahrzehntelang gearbeitet haben, ist höchst unwahrscheinlich. Dem vermuteten und immer noch nicht ganz aufgeklärten Schaden von 65 Milliarden Dollar stehen bislang nämlich nur sichergestellte Vermögenswerte von 1,25 Milliarden Dollar gegenüber.

Der überall und in fast allen Schichten der US-Bevölkerung spürbare Hass auf Madoff resultiert nicht nur aus dem Umfang des Betruges. Genauso schwer wiegt der Verrat am amerikanischen Traum, den Madoff lange verkörperte. Mit ein paar Tausend Dollar, die er als Rettungschwimmer und mit der Installation von Sprinkleranlagen verdiente, gründete der aus kleinen Verhältnisses stammende Madoff 1960 eine Brokerfirma an der Wall Street. Er brach mit den Regeln der Alteingesessenen und wurde – so glaubte man lange – durch die Einführung des elektronischen Börsenhandels reich. Häuser und Appartements im Wert von 15 Millionen Dollar an der noblen Upper Eastside und am Strand von Long Island dokumentierten seinen Aufstieg in den bewunderten Kreis derer, die es geschafft hatten.

Diese Illusion platzte, als er am 12. Dezember 2008 die Forderungen seiner Anleger nicht mehr bedienen konnte und sich den Behörden stellte. Seither werden die, die es vorgeblich mit ehrlicher Arbeit geschafft haben, den amerikanischen Traum zu verwirklichen, nicht mehr unvoreingenommen bewundert wie früher. „Machen wir uns nichts vor: Er ist lediglich die Personifizierung der ganz gewöhnlichen, alltäglichen Gier, die wir schon unseren Kindern mitgeben“, fasste ein Leserbrief im Boulevardblatt „Daily News“ die Stimmung zuletzt treffend zusammen.

Zudem fühlen sich alle Amerikaner irgendwie als potenzielle Madoff-Opfer. In einem Land ohne öffentliches Rentenversicherungssystem sind sie praktisch alle von der persönlichen, auf Vertrauen basierenden Beratung durch Vermögenverwalter abhängig. „Madoff hatte eine direkte Beziehung zu seinen Opfern, denen er die Altersvorsorge zerstörte. Das wirkt sich nachhaltig negativ auf die ganze Branche aus“, meint der legendäre Investor und Milliardär Wilbur Ross. „Praktisch alle Vermögensverwalter berichten über Anleger, die in der Nach-Madoff-Ära harte Fragen stellen und alles genau wissen wollen, bevor sie ihr Geld da lassen“, sagt Steve Crosby von der Beratungsfirma PWC bei der Vorstellung einer Umfrage unter Vermögensverwaltern.

Mit der Verurteilung Madoffs wird die juristische Aufarbeitung des Falls nicht beendet sein. Opfergruppen hoffen, dass es den Strafverfolgungsbehörden gelingt, Madoffs Behauptung von der Alleintäterschaft zu erschüttern. Bislang ist er unter den Personen im Zentrum des Skandals der einzige Angeklagte. Die übrigen Mitglieder seiner Familie, inklusive seiner Frau Ruth, konnte er durch die Übernahme der Gesamtschuld bislang schützen. Zwar übergab Ruth Madoff fast ihren ganzen Besitz im Wert von mehr als 60 Millionen Dollar am Wochenende dem Staat, aber Anwälte vermuten, dass bei der Familie noch weit mehr zu holen ist.

Madoff selbst wird den Ausgang der Prozesse wohl nur noch als gewöhnlicher Strafgefangener beobachten können. Direkt nach Verkündung des Strafmaßes wird er vermutlich ein letztes Mal seinen dunklen, maßgeschneiderten Anzug gegen die kakifarbene Gefängniskleidung mit der Insassennummer 61727-054 tauschen. Wohl niemand in Amerika wäre traurig, würde er diese Kluft nie wieder ausziehen dürfen.HB

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