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Wirtschaft: US-Präsidentschaftswahl: Gore und Bush buhlen um die Rentner

Im Endspurt der Werbekampagnen vor den Präsidentschaftswahlen in den USA spielt die Rentenversicherung eine zentrale Rolle. Und dies erstmals nicht nur bei der Demokratischen Partei, sondern auch bei den Republikanern.

Im Endspurt der Werbekampagnen vor den Präsidentschaftswahlen in den USA spielt die Rentenversicherung eine zentrale Rolle. Und dies erstmals nicht nur bei der Demokratischen Partei, sondern auch bei den Republikanern. Es war der demokratische Präsident Franklin D. Roosevelt gewesen, der die "Social Security" - das amerikanische Sozialversicherungssystem für Alters-, Arbeitsunfähigkeits- und Witwenrente - eingeführt hatte.

Vizepräsident Al Gore führt einen Blitzkrieg gegen die Ankündigung von George W. Bush, der das Rentensystem teilweise privatisieren will, sollte er gewählt werden. Demokraten umwerben die Zielgruppe der Senioren mit automatischen Telefonanrufen und Flugblättern. In Florida sprechen Wahlhelfer Senioren in Gemeindezentren und Drogerien an. Fast die Hälfte des sieben Millionen bis acht Millionen Dollar hohen Fernsehwerbebudgets, das für die letzte Woche von Gores Kampagne veranschlagt ist, soll sich mit dem Thema beschäftigen. George W. Bush reagiert mit vergleichbarer Schärfe und beschuldigt seinen Gegner, der Bevölkerung Schrecken einzujagen.

Da die beiden Präsidentschaftskandidaten in Umfragen Kopf an Kopf liegen, ist unklar, wer in dieser erbitterten Auseinandersetzung gewinnt. Doch es steht außer Frage, dass der Streit um die Renten sehr wohl über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen entscheiden könnte. Und dass die Wahl wiederum die Zukunft des Rentensystems bestimmen dürfte. Und wenn Gore nach diesem Sturmangriff in letzter Minute siegt, dann werden die Wahlen in einer Hinsicht eine Lehre sein: Trotz all des Geredes um eine neue Volkswirtschaft in einem neuen Jahrhundert, spielt das staatliche Rentensystem - zu Zeiten der Depression das Herzstück eines Wohlfahrtsstaates - weiterhin eine große Rolle in der amerikanischen Politik. Die "Social Security" ist sehr beliebt bei der Bevölkerung.

Bushs Plan könnte den Zusammenbruch der staatlichen Rentenkasse um mehrere Jahre hinausschieben. Anhänger meinen, er werde diese Gefahr sogar ganz beseitigen. Doch der Übergang zu einem teilprivatisierten Rentensystem wäre teuer, was es bei der Bevölkerung nicht gerade beliebt macht. Ein Teil der Kosten soll mit Überschüssen des Rentensystems und mit neuen Beiträgen finanziert werden. Doch möglicherweise müssten auch die Renten gekürzt werden.

Obwohl einige Aspekte von Bushs Vorhaben unpopulär sind, sind viele Amerikaner offener als je zuvor für Bushs Forderung nach einer Rentenreform, nachdem Ökonomen und Politiker seit einem Jahrzehnt davor warnen, das Rentensystem werde langfristig insolvent. Sie denke nicht, dass es das Rentensystem noch geben werde, wenn sie in den Ruhestand gehe, sollte es nicht zu grundlegenden Reformen kommen, sagt etwa die 30-jährige Hausfrau Tracey Mason aus Little Rock, Washington. Und das ist ein Grund, warum sie den Gouverneur von Texas wählen will. Denn der Vizepräsident werde "nichts tun". Tatsächlich schlägt Gore vor, einen Teil des erwarteten Haushaltsüberschusses in die Rentenversicherung zu stecken. Aber er schlägt keinerlei strukturelle Veränderungen vor, um die Renten langfristig zu sichern.

Natürlich, selbst wenn Bush die Wahlen gewinnt - der Umbau der Rentenversicherung wäre "politisch sehr schwierig", sagt der Meinungsforscher der Republikaner, Glen Bolger. Es wäre schwierig, mit einer kleinen Minderheit im Kongress größere Veränderungen vorzunehmen. Doch Bush würde es zumindest gelingen, die Republikaner von einem Fluch zu befreien, der seit Jahrzehnten auf ihnen lastet. Der Erdrutschsieg von Lyndon B. Johnson im Jahr 1964 lag zum Teil an seinen Beschuldigungen, der Republikaner Barry Goldwater wolle die Rentenversicherung abschaffen. Zwar gelang Jimmy Carter kein vergleichbarer Coup gegenüber Ronald Reagan im Jahr 1980, doch nutzten die demokratischen Kongressmitglieder regelmäßig die "Social Security", um den Republikanern während der Reagan- Ära zu schaden. Und ein unglückseliger Plan der republikanischen Senatoren, das Budgetdefizit durch eine Beschneidung der Sozialversicherungstransfers zu senken, kostete die Republikaner bei den Wahlen 1986 die Mehrheit im Senat.

Doch die Einstellung in der Bevölkerung hat sich im vergangenen Jahrzehnt verändert. Die Hausse an der Börse hat die Menschen gegenüber einer Privatisierung empfänglicher gemacht. Eine Umfrage der Senioren-Lobby AARP kam zu dem Ergebnis, dass 54 Prozent der Amerikaner sich grundsätzlich vorstellen können, dass ein Teil der Rentenversicherung auf private Pensions-Konten umgeleitet und in Aktien angelegt wird.

Eine Reihe ernsthafter, detaillierter Pläne - einige mit der Unterstützung von Demokraten - wurden auf dem Kapitolhügel bereits vorgestellt, die auf die Einrichtung privater Pensions-Konten innerhalb der Rentenversicherung abzielen. Bush und seine Helfer beziehen sich auf diese Vorschläge. Auch wenn es nicht länger politischer Selbstmord ist, die Privatisierung der Rentenversicherung zu erörtern, gibt es bislang keinen Konsens für eine solche Reform.

Ein all solchen Plänen innewohnendes Problem ist, was Experten euphemistisch als "Transaktionskosten" bezeichnen. In ihrer gegenwärtigen Struktur beruht das Rentensystem auf Transfers - die arbeitende Bevölkerung zahlt mit ihren Steuern die Bezüge der heutigen Rentner. Wenn die Arbeiter einen Teil ihrer Lohnsteuern für die private Altersvorsorge beiseite legen, dann muss eine neue zusätzliche Quelle her, um die Renten zu bezahlen. Bush würde die Lücke im kommenden Jahrzehnt mit einer Billion Dollar aus den Überschüssen der Rentenversicherung schließen. Aber wie er die Finanzierung langfristig leisten will, ist unklar. Viele der Kongresspläne sehen vor, künftige Rentenbezüge zu kürzen oder das Pensionierungsalter zu erhöhen.

Rentner sind eine entscheidende Zielgruppe im Präsidentschaftswahlkampf. Sie stellen einen wachsenden Anteil an der Bevölkerung. In Florida machen Senioren etwa ein Drittel der Wähler aus, und 90 Prozent von ihnen werden wählen gehen - zweimal soviel wie bei anderen Altersgruppen.

Demokraten sehen die Rentenversicherung als Chance an, die wichtige Wählerschaft der Älteren zurückzugewinnen. In den vergangenen Jahren hatten die Republikaner viele Senioren mit dem Appell an moralische Werte auf ihre Seite gezogen. Bei den Kongresswahlen 1998, die im Schatten der Monica-Lewinsky-Affäre geführt wurde, waren Über-60-Jährige die stärkste Wählergruppe der Republikaner. Doch ältere Wähler stehen auch Änderungen sehr viel ablehnender gegenüber als jüngere. In einer Umfrage des Pex Research Center waren nur 24,1 Prozent der Über-65-Jährigen für eine Teilprivatisierung der Renten, wenn dies eine Reduzierung der Transfers nach sich ziehen würde. Dagen waren es in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen fast 40 Prozent.

G. Simpson u. J. Schlesinger

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