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Verbändeforscher Speth: „Investoren sind mächtiger als Lobbyisten“

Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht der Politikwissenschaftler Rudolf Speth über den Einfluss von Verbänden auf die Politik und erklärt, warum heutzutage die Märkte das Maß aller Dinge sind.

Herr Speth, warum brauchen Politiker Lobbyisten überhaupt?

Weil sie Arbeitsplätze, Wachstum und ökonomische Stärke wollen, um wiedergewählt zu werden. Das klappt nur, wenn der Export gut läuft, die Löhne steigen und viele Patente angemeldet werden. Die richtigen Entscheidungen können Politiker aber nur treffen, wenn sie von der Wirtschaft mit den relevanten Informationen versorgt werden. Niemand möchte Gesetze verabschieden, die an der Wirklichkeit vorbeigehen.

Früher galten die großen Verbände als sehr mächtig und hatten stets das Ohr des Kanzlers.

Heute ist ihre Durchschlagskraft geringer als früher. Ein Grund ist, dass die Unternehmenslandschaft vielfältiger geworden ist. Durch die Globalisierung haben sich die Gewichte verschoben, für viele Konzerne ist Deutschland nur noch ein Markt unter vielen. Das große Geschäft wird in China gemacht. Die Großen brauchen die Verbände ohnehin nicht, um sich Gehör zu verschaffen.

Das war aber früher nicht anders.
Früher gab es die Deutschland AG, also eine enge Verflechtung zwischen der deutschen Industrie und der Finanzwirtschaft. Die Banken kontrollierten letztlich über ein Netz von Beteiligungen die Wirtschaft. Heute ist die Deutschland AG längst Geschichte, Investoren vom Kapitalmarkt haben das Sagen.

Wenn der Markt Druck macht, hat das mehr Gewicht in Berlin, als wenn ein BDI-Präsident meckert?

Ja, und die Finanzmarktakteure kommen nicht aus einem nationalen Kontext, sondern aus aller Welt, sie sitzen in der Londoner City oder an der Wall Street.

Kommen kleine und mittlere Firmen dabei unter die Räder?

Die Gefahr besteht, schließlich können sich die meisten keine teuren Repräsentanzen in Berlin, Brüssel oder Washington leisten. Sie müssen versuchen, sich über ihren Abgeordneten Gehör bei der Politik zu verschaffen. Schließlich geht es oft um Mittelständler, die in ihrer Branche oft Weltmarktführer sind – das ist ja das Rückgrat der deutschen Wirtschaft.

Sieht die Verbändelandschaft in zehn Jahren noch so aus wie heute?

Die wichtigen Lobbygruppen müssen sich europäisieren, rein nationale Verbände haben ausgedient. Und sie müssen sich in der medialisierten Gesellschaft zurechtfinden. Wenn ihnen das nicht gelingt, setzen sich im politischen Prozess womöglich nur noch die Interessen der reichsten und mächtigsten Gruppen durch. Das wäre dann auch ein beträchtliches Problem für die Demokratie.

Rudolf Speth (55) ist Politikwissenschaftler an der Universität Kassel und forscht über Lobbyismus und die Rolle von Interessengruppen. Mit ihm sprach Carsten Brönstrup.

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