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Verteilkämpfe. Kunden, die jetzt aussteigen, sollen weniger Geld bekommen, meint Erdland.

© Thilo Rückeis

Lebensversicherungen: Verbandschef: „Die Kunden müssen keine Angst haben“

Die Renditen sinken, die Versicherer müssen neu rechnen. Alexander Erdland, Präsident des Versicherungsverbands GDV, versichert, dass auf Lebensversicherungen Verlass ist. Dennoch erwartet er Hilfe von der Politik.

Herr Erdland, viele Menschen machen sich Sorgen um ihre Altersvorsorge. Was raten Sie Ihren Freunden und Nachbarn, wenn diese Sie fragen, was sie tun sollen?

Die Lebensversicherung gehört zur Altersvorsorge. Strenge Auflagen sorgen dafür, dass sich Kunden auf sie verlassen können. Die Finanzaufsicht Bafin und die Ratingagenturen haben bestätigt, dass die Lebensversicherungen all ihre Leistungsversprechen kurz- bis mittelfristig erfüllen können.

Trotz der niedrigen Zinsen, die die Versicherer für ihre Kapitalanlagen bekommen?

Die Lebensversicherung bietet lebenslange Renten und eine immer noch attraktive Gesamtverzinsung. Die Niedrigzinsphase hält ja jetzt schon einige Jahre an und wird wohl noch eine Weile weitergehen. Ein schrittweiser Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes ist aus unserer Sicht überfällig. Denn den Schaden haben diejenigen, die für die Altersvorsorge sparen. Die Zinsen und die Renditen sinken.

Die Postbank hat errechnet, dass die Sparer bei den Banken durch die Niedrigzinsphase allein in diesem Jahr 13 Milliarden Euro verlieren. Welchen Wertverlust haben die Kapitalanlagen der Versicherer in den letzten fünf Jahren erlitten?

Im Vergleich zu einem „normalen“ Zinsniveau hatten wir in den letzten fünf Jahren weniger Zinserträge von rund 8,5 Milliarden Euro. Aber Versicherte haben im Unterschied zu Zinssparern kein Geld verloren. Die Renditen der Lebensversicherungen liegen noch deutlich über der Inflationsrate. Denn die Lebensversicherer haben ja zum Glück Puffer aus langlaufenden höher verzinsten Anlagen.

Also noch mal: Kein Versicherungskunde muss Angst haben, dass seine Versicherung in den nächsten Jahren pleitegeht oder weniger zahlt als versprochen?

Eine solche Angst wäre nicht berechtigt. Wir Versicherer stellen uns auf die Umstände ein. Wir passen unsere Anlagestrategie und den Anlagemix an, und im Neugeschäft gibt es jetzt auch Produkte mit neuen Garantieformen. Wir erwarten aber auch im Interesse unserer Kunden eine Unterstützung durch die Politik, denn die Niedrigzinsphase ist ja politisch gewollt.

Schlecht für Sie, dass die FDP nicht mehr in der Regierung ist.

Wir sind nicht parteipolitisch fixiert. Wir reden mit allen Fraktionen. Wir suchen den Weg über Argumente, uns politisches Gehör zu verschaffen. Die Politik weiß, wie schwierig das Umfeld für die Lebensversicherer derzeit ist.

Wird die neue Regierung den alten Gesetzesvorschlag wieder aus der Schublade holen, der die Beteiligung der Kunden an den stillen Reserven einschränkt?

Ja, ich denke, das wird wieder aufgerufen. An dem Problem hat sich ja nichts geändert. Wir haben 2008 eine falsche und in sich unsinnige Regelung bekommen, nach der Kunden, die ihre Lebensversicherung kündigen oder deren Vertrag ausläuft, an den Bewertungsreserven beteiligt werden, die in dem Moment ihres Ausscheidens auf dem Papier stehen. Damals hat man primär an Aktien und Immobilien gedacht. Heute haben wir die paradoxe Situation, dass wir nur deswegen hohe Bewertungsreserven auf festverzinsliche Papiere haben, weil die Zinsen so niedrig sind. Aber diese Gewinne stehen nur auf dem Papier.

Um welche Größenordnung geht es?

Wir haben am 30. September dieses Jahres etwa 66 Milliarden Euro Bewertungsreserven bei Zinspapieren gehabt. Ein halbes Jahr früher, also am 31. März, waren es noch rund 15 Milliarden mehr. Die stillen Reserven schwanken stark. Es geht um den fairen Ausgleich zwischen den Versicherten. Es kann nicht eine Minderheit, die jetzt ausscheidet, ungerechtfertigt mehr kassieren auf Kosten der Mehrheit, die bleibt. Mit der bisherigen Regelung sind die Versicherer gezwungen, ihre alten, höherverzinslichen Titel zu verkaufen. Das ist aber fatal, denn wir brauchen diese gut verzinsten Papiere, um die Niedrigzinsen, die wir derzeit für Neuanlagen bekommen, auszugleichen.

Und wenn auch dieser Anlauf scheitert?

Unsere Ertragskraft würde geschmälert, die Überschussbeteiligungen würden weiter sinken. Hinzu kommt: Wir bauen derzeit ja Zinszusatzreserven auf, um unsere Kunden für die Niedrigzinsphase abzusichern. Aber das können wir nur, wenn wir ausreichend hohe Erträge haben. Daher muss die Politik das Thema Bewertungsreserven wieder aufgreifen, und sie wird das auch tun, da bin ich mir sicher. Es gibt 39 Millionen private Rentenversicherungsverträge, davon allein 15 Millionen Riester-Renten. Das ist eine wichtige Säule der Altersvorsorge.

Gibt es Massenkündigungen, weil sich möglichst viele Kunden die Beteiligung an den Bewertungsreserven sichern wollen?

Nein, die Stornoquote ist sogar geringer geworden. Selbst Verbraucherschützer raten, laufende Verträge nicht zu kündigen. Und das ist auch richtig so.

Die Europäische Zentralbank prüft jetzt die Banken auf Herz und Nieren. Würden alle deutschen Versicherer einen solchen Stresstest bestehen?

Die Unternehmen machen ständig eigene Stresstests, und auch die Bafin fragt die Versicherer regelmäßig ab. Außerdem stellen wir uns bereits heute Schritt für Schritt auf das neue Regelwerk Solvency II ein, das auf EU-Ebene strengere Anforderungen an unsere Eigenkapitalausstattung vorschreiben wird. Wir sind auf einem guten Weg.

Aber die Überschussbeteiligungen werden im nächsten Jahr weiter sinken, oder?

Unsere Renditen können sich immer noch sehen lassen. Wir hatten im letzten Jahr eine laufende Verzinsung von durchschnittlich 3,9 Prozent, mit den Schlussgewinnüberschüssen waren es sogar 4,6 Prozent. Aber auch wir können die Mathematik nicht außer Kraft setzen, in der Tendenz wird es eher nach unten gehen. Wir versuchen aber zugleich, unsere Kosten weiter zu senken. Die Lasten der Niedrigzinsphase sollten fair verteilt werden zwischen Unternehmen, Kunden und Vertrieb.

Sie finden, dass die Vertreterprovisionen zu hoch sind. Damit haben Sie sich in der Branche nicht nur Freunde gemacht.

Wir führen eine offene Diskussion. Die Abschlusskosten haben einen Anteil von 80 Prozent an den gesamten Betriebskosten. Und an diesen Abschlusskosten haben die Provisionen einen hohen Anteil. Das Thema beschäftigt übrigens auch die Politik, sowohl auf EU-Ebene als auch in Deutschland. Auch deshalb müssen wir als Verband ein Meinungsbild unter den Unternehmen herstellen.

Wollen Sie damit auch den schlechten Ruf Ihrer Branche aufpolieren? Viele Verbraucher glauben, dass die Versicherer von ihnen viel Geld kassieren, aber sich drücken, wenn sie zahlen sollen.

Es werden oft Einzelfälle skandalisiert. Tatsächlich sind die Beschwerdequoten beim Versicherungsombudsmann und bei den Unternehmen sehr niedrig und sogar rückläufig. Und auch Umfragen zeigen, dass die meisten Kunden zu ihren Vermittlern ein Vertrauensverhältnis haben. Wir regulieren in der Schaden- und Unfallversicherung im Jahr 23 Millionen Fälle, gerade einmal 0,6 Prozent davon landen vor Gericht und von denen erledigen sich 30 Prozent über Vergleiche.

Warum häufen sich dann die Berichte über Kunden, die man im Regen stehen lässt?

Das hat unterschiedliche Gründe: Kunden täuschen sich manchmal und glauben, gegen bestimmte Risiken versichert zu sein, sind es aber gar nicht. In solchen Fällen können und dürfen wir nicht zahlen. Aber wie gesagt, die große Mehrheit der Kunden ist zufrieden. Im Übrigen haben wir ja erst kürzlich bewiesen, wie ernst wir unsere Kunden nehmen. Bei der Flutkatastrophe sind wir sehr schnell vor Ort gewesen, haben die Schäden aufgenommen und den Betroffenen zügig Vorschüsse gezahlt.

Und nun steigen dafür die Beiträge in der Auto- und in der Gebäudeversicherung …

In der Wohngebäudeversicherung haben die Unternehmen in den letzten Jahren kein Geld verdient. Ob die Versicherer nun die Preise erhöhen oder ihre Bedingungen ändern, bleibt eine unternehmensindividuelle Entscheidung. Bei der Autoversicherung ist die Branche ebenfalls jahrelang nicht auf ihre versicherungstechnischen Kosten gekommen. Im Jahr 2012 hatten zahlreiche Unternehmen ihre Beiträge erhöht. Aber der Wettbewerb in der Autoversicherung ist hart. Man kann nicht jede Preiserhöhung durchsetzen.

Das Interview führte Heike Jahberg.

ZUR PERSON

DER CHEF

Alexander Erdland (62) ist auf einem Bauernhof groß geworden, hat sich dann aber der Finanzindustrie zugewandt. Der promovierte Ökonom ist Chef des Finanzdienstleistungskonzerns Wüstenrot & Württembergische AG und seit November 2012 zudem Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

DER STREIT
Anfang 2013 wollte die alte Regierung die Beteiligung der Kunden an den stillen Reserven, die durch Kursgewinne bei Wertpapieren entstehen, einschränken. Das sollte die Versicherer in der Niedrigzinsphase entlasten. Der Versuch scheiterte.

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