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Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe urteilte am Dienstag über die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB).

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Update

Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Verfassungsrichter erlauben EZB-Krisenkurs

Die Europäische Zentralbank darf Staatsanleihen von Krisenstaaten kaufen - auch unbegrenzt. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht. Die Richter wahren damit ihr Gesicht - und schützen die Euro-Zone vor Marktturbulenzen.

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Die Lage war ernst. Damals, im Sommer 2012, war auf einmal nicht mehr nur Griechenland das Problem. Auch auf die Pleite von Italien und Spanien setzten die Investoren plötzlich Geld, die Währungszone drohte auseinander zu brechen. Doch dann kam Mario Draghi. Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) versprach, alles zu tun, was nötig wäre – „whatever it takes“. Um zu zeigen, dass das nicht nur blumige Worte waren, kündigte er an, notfalls gezielt Staatsanleihen der Krisenstaaten zu kaufen und zwar unbegrenzt. Gebrauch machte er von diesem sogenannten OMT-Programm bis heute zwar nicht – er setzte später stattdessen ein anderes Kaufprogramm ein, das nicht nur ausschließlich auf Papiere von Krisenstaaten abzielte. Doch den Kritikern ging es ums Prinzip: Darf die EZB einfach so Anleihen von Krisenstaaten kaufen? Ist das nicht Staatsfinanzierung durch die Hintertür? Nach Monaten des Streits erteilte das Bundesverfassungsgericht ihnen am Dienstag eine Absage: Die Maßnahme verstoße nicht gegen das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbankpresse. Das OMT-Programm sei mit der Verfassung vereinbar.

Die Karlsruher Richter haben damit größere Verwerfungen vermieden. Hätten sie die EZB-Politik für nicht verfassungskonform erklärt, hätte das erhebliche Konsequenzen gehabt. Zwar ist das OMT-Programm (kurz für Outright Monetary Transactions), um das es in diesem Streit ging, bislang nie zum Einsatz gekommen. Doch sofort hätte sich die Frage gestellt: Was heißt das für das aktuelle Kaufprogramm? Um die Wirtschaft in Europa anzukurbeln und die niedrige Inflation in den Griff zu bekommen, kauft die EZB mittlerweile Anleihen für 80 Milliarden Euro – und zwar monatlich. Auch dieses Programm hätte in Frage gestanden, hätten die Richter Draghis Entscheidungen aus dem Sommer 2012 als verfassungswidrig erklärt.

Bei einem Brexit, kann die EZB nun Marktturbulenzen eindämmen

Die meisten Ökonomen begrüßten das Urteil des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag deshalb. „Die Entscheidung erhöht die Glaubwürdigkeit der EZB und der gemeinsamen Währung“, sagte zum Beispiel Reint Gropp, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle. Carsten Brzeski, Deutschland-Chefvolkswirt der ING-Diba, sagte, das Urteil gebe der EZB ausreichend Raum für weitere Anleihekäufe. Das könne auch helfen, mögliche Marktturbulenzen einzudämmen, sollten die Briten am Donnerstag für den Austritt aus der EU stimmen. Gleichzeitig haben die Verfassungsrichter den Notenbankern aber keinen kompletten Freifahrtsschein erteilt – sondern ihr Okay an ein paar Bedingungen geknüpft. Sie verlangen zum Beispiel, dass die Anleihekäufe begrenzt werden. Außerdem dürfen die Käufe nicht im Vorfeld angekündigt werden. Und die EZB darf nur Papiere erwerben, die bereits auf dem Markt sind – also keine, die dafür extra ausgegeben werden. Es sind Bedingungen, mit denen Draghi einigermaßen gut leben kann. Mit seinem jüngsten Kaufprogramm erfüllt er diese Vorgaben nämlich bereits. Allerdings könnte es für ihn schwerer werden, die Anleihekäufe noch weiter auszuweiten. „Da die EZB einige der Obergrenzen schon einmal angehoben hat, würde sie sich mit einer erneuten merklichen Erhöhung umso mehr dem Verdacht aussetzen, die Ziele nicht ernst zu nehmen“, meint Commerzbank-Ökonom Michael Schubert.

Kritik an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kam am Dienstag von Ifo-Chef Clemens Fuest. Das Kaufprogramm der EZB verfolge vor allem das Ziel „hoch verschuldeten Staaten den Zugang zu Krediten zu erhalten“. Ihn ärgert: „Die damit verbundenen Risiken tragen die deutschen Steuerzahler mit, ohne dass der Bundestag zugestimmt hat.“ Die Bedingungen, die die Verfassungsrichter stellten, hält Fuest für „viel zu schwach“. Dass die EZB künftig von Bundestag und Bundesregierung beobachtet werden soll, sei „eine zahnlose Bestimmung“.

Auch aus Brüssel kommt Lob für das Urteil des Bundesverfassungsgericht

In Brüssel reagierten die meisten Politiker dagegen erleichtert. „Die deutschen Verfassungsrichter haben sich für ein stärkeres, weil gemeinsames Europa entschieden“, lobte Udo Bullmann, Chef der SPD-Abgeordneten im Europaparlament. Ähnlich äußerte sich Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament: „Aus der Entscheidung geht die europäische Währungsunion gestärkt hervor.“

Selbst CSU-Politiker Peter Gauweiler, einer der Hauptkläger, konnte dem Urteil etwas Positives abgewinnen. Er nannte es einen „Erfolg des Verfahrens, dass die EZB jetzt gerichtlich kontrolliert werden kann“. Als Zentralbank ist die EZB politisch unabhängig. Ihr Ziel muss es stets sein, die Preissteigerung in Maßen zu halten. Wie nun klar wurde, können die Notenbanker trotzdem aber nicht einfach machen, was sie wollen. Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, betonte: „Die Europäische Zentralbank unterliegt wie jede europäische Institution kompetenzbeschränkenden Regeln, deren Einhaltung von Gerichten kontrolliert werden kann.“

Für ihn und seine Kollegen ging es bei dem Urteil auch darum, das Gesicht zu wahren. Die Verfassungsrichter waren in einer schwierigen Situation. Schließlich hatten sie den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt – jedoch nicht ohne vorher ihre eigenen Bedenken gegen das Kaufprogramm zu äußern. Denen folgten die Luxemburger Richter dann aber nicht. Stattdessen urteilten großzügig zugunsten der EZB: Grundsätzlich dürfe die Notenbank zur Euro-Rettung Staatsanleihen kaufen, das Programm überschreite nicht die Kompetenzen der Zentralbank, hieß es. Nun haben sich die Verfassungsrichter trotz ihrer früheren Kritik dem EuGH<TH>angeschlossen. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält diese Entscheidung für richtig: „Das Nachgeben des Bundesverfassungsgerichts ist weise, weil es einen Konflikt mit dem Europäischen Gerichtshof zu Fragen des europäischen Rechts nur verlieren kann.“

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