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Fahrzeuge des neuen Carsharing-Anbieters auf einem Parkplatz in Sankt Petersburg.

© Photoagency Interpress/Russian Look via ZUMA Wire/dpa

Verkehr in der Großstadt: Carsharing nicht unbedingt ein Vorteil für die Umwelt

Das Auto abschaffen und lieber mit anderen eins teilen - das ist die Grundidee des Carsharings. Das soll Umwelt und Verkehr entlasten. Doch Fachleute meinen: Inzwischen passiert eher das Gegenteil.

Abends an der Haltestelle: Verabredet, die Zeit drängt, kein Bus in Sicht - aber ein Carsharing-Auto. Schnell die Mitgliedskarte dranhalten, einsteigen und losfahren. Komme der Bus, wann er wolle! So beschreiben Kritiker die Nutzer der stationslosen Leihwagen-Angebote, wie sie in den größten deutschen Städten aus dem Boden sprießen. „Das führt die Idee des Carsharing ad absurdum“, sagt etwa Jürgen Resch, der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Statt weniger Autos sei mehr Motorverkehr die Folge. Und damit mehr Schadstoffe und mehr Stau.

Am heutigen Dienstag legt der Bundesverband Carsharing die neuesten Zahlen zu dem seit Jahren wachsenden Markt vor. Besonders die Stationsunabhängigen wuchsen in den vergangenen Jahren, dahinter stehen vor allem die Autobauer Daimler (Car2go), BMW (Drive Now) und Citroën (Multicity). Die sogenannten Free-floating-Angebote in Großstädten machten schon 2016 rund 40 Prozent des Angebots aus. Die klassischen stationsbasierten Anbieter wachsen in kleineren Städten. Carsharing-Verfechter sprechen schon mal von „Klimaschutz durch Autofahren“. Ein Wagen ersetze mehrere private Autos, betont der Branchenverband seit Jahren.

„Bequemlichkeitsmobilität“

Doch stimmt das noch? Der Geograf Stefan Weigele hat nachgerechnet. Schon 2014 wertete er in seiner Hamburger Beratungsgesellschaft Civity Millionen Datensätze stationsunabhängiger Fuhrparks aus. Ergebnis: Viele Fahrten sind wenige Kilomeger lang und führen nach Feierabend allenfalls von einem Szeneviertel ins nächste - trotz Bus-Monatskarte im Portemonnaie. „Bequemlichkeitsmobilität“ als „Ersatzprodukt für das Fahrrad, den öffentlichen Verkehr und das Taxi“, nennt Weigele das. Durchschnittlich führen solche Carsharing-Fahrzeuge eine Stunde pro Tag - und wären damit so ineffizient wie ein Privatauto.

Warum also das Ganze? Die Fahrt mit dem Sharing-Auto ist teurer als das Busticket - erhöht somit die Mobilitätsausgaben der Kunden, wie es in der Untersuchung heißt. Für die Autobauer sieht sie einen Milliardenmarkt. Die bequemen Carsharing-Autos ohne Station bringen neue Nutzer auf den Geschmack, vermutet der Autoexperte Stefan Bratzel. Der Professor aus Bergisch-Gladbach spricht von einer „Einstiegsdroge in das Autofahren“. Daimler formulierte vor einer Weile, letztlich sei eine Fahrt mit Car2go immer auch eine Probefahrt mit dem Smart. Auch das Bundesumweltministerium ließ die Angebote erforschen.

Der Trend geht weg vom eigenen Auto

Während beim stationsbasierten Anbieter Flinkster 72 Prozent der Kunden kein Auto haben, sind es beim Free-floating-Angebot Drive Now nur 43 Prozent. 10 Prozent der Drive Now-Nutzer gaben an, ihren Privatwagen zugunsten von Carsharing verkauft zu haben. Doch 18 Prozent planten den Privatkauf. Auch bei dieser Frage war der Trend weg vom eigenen Auto bei den Flinkster-Kunden ausgeprägter. „Free-floating Systeme ziehen offensichtlich Haushalte stärker an, die am privaten Autobesitz festhalten“, bestätigt der Branchenverband.

Kunden stationsbasierter Systeme verzichteten eher. „Die stationären Carsharing-Konzepte, die mit viel Herzblut und Pfiffigkeit gemacht sind, sind wunderbar - selbst wenn damit nur ein Zweitwagen verhindert wird“, meint Umwelthilfe-Geschäfsführer Resch. Er warnt Kommunen aber davor, Carsharing etwa durch kostenlose Parkplätze und reservierte Stellflächen zu fördern - Möglichkeiten, wie sie ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht. „Das ist eine Verkaufsförderung für die Autoindustrie“, sagte Resch. Die einzige Lösung für Verkehr und Umwelt sei, Busse und Bahnen besser und günstiger zu machen - anstatt sie durch Carsharing zu kannibalisieren.

Die Bus- und Bahnbetreiber sehen jedoch keine Bedrohung - zu klein sei der Konkurrent. „Wie viele Fahrzeuge bräuchte man, um nur eine U-Bahn-Linie in Berlin zu ersetzen?“, fragt Lars Wagner, der Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. „Und wo sollten diese zusätzlichen Fahrzeuge alle noch fahren, die Straßen sind doch schon voll.“ Die Lösung liege in Kooperationen beider Welten, wie es sie teilweise schon gebe, um mit Carsharing Lücken im Netz zu schließen. (dpa)

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